Zurück zum Teil II: Via Gebennensis

Tag 22: Le-Puy-En-Velay(F)-Monistrol-d'Allier(F), 8.5h, 5°C

In Le-Puy endet die Via Gebennensis aus Genf. Am Marktplatz beginnt dafür die Via Podiensis, die nach St-Jean-Pied-de-Port führt. Die nächste Zwischenstation auf diesem Weg ist Conques, mein Ziel für diese Woche.

Es ist Montag Morgen, ein nebliger Tag. Die Stadt ist in Bewegung, Kinder gehen zur Schule, Menschen zur Arbeit. Ich mache mich auf den Weg. Ich werde sehr vorsichtig laufen und den Fuss möglichst schonen. Der Fuss schmerzt noch leicht, aber auf vollständige Abschwellung zu warten ist zu langwierig.

Kurz vor dem Verlassen der Altstadt sehe ich noch eine Pilgerfigur an einer Hauswand. Auf den ersten Blicke scheint es der Hl. Jakob zu sein, es ist jedoch der Hl. Rochus.

Rochus hat vor allem während der Pestzeiten den Jakobus als Pilgerfigur ersetzt. Er ist an einem begleitenden Hund zu erkennen und zeigt sein blosses Bein mit einer Pestbeule. Oft trägt er auch ein Brot in der Hand.

"Rochus von Montpellier (* um 1295, gest. am 16. August 1327) half der Legende nach auf der Pilgerfahrt nach Rom vielen Pestkranken.

Vieles in seinen Leben gilt als Legende. Rochus wurde als Sohn reicher Eltern in Montpellier geboren. Nachdem er mit 20 Jahren seine Eltern verloren hatte, verschenkte er sein Vermögen und trat in dem Dritten Orden des hl. Franz von Assisi ein. Als er 1317 nach Rom pilgerte, half er unterweges bei der Pflege von Pestkranken. Diese soll er nur mit Hilfe des Kreuzzeichen wundersam geheilt haben. In Rom angekommen heilte er weiter, ohne dass er zu Ansehen oder Reichtum kam. Als Rochus auf seiner Rückreise in Piacenza 1322 selbst mit der Pest infiziert wurde, wurde er von niemanden gepflegt.

Er "empfahl sich Gott" und ging in eine einsame Holzhütte im Wald. Dort wurde er der Legende nach von einem Engel gepflegt, und der Hund eines Junkers brachte ihm Brot, solange bis er wieder genesen war und er nach Piacenza zurückgehen konnte, wo er weiter heilte bis er dort die Pest besiegt hatte. Als er wieder in seine Heimatstadt kam erkannte ihn aufgrund seiner Verunstaltungen durch seine Pesterkrankung keiner und er wurde unter dem Verdacht der Spionage ins Gefängnis geworfen. Rochus dankte Gott für diese Prüfung und brachte geduldig fünf Jahre im Gefängnis zu, bis er starb.

Nach seinem Tod erkannte man ihn anhand eines kreuzförmigen Mals, das er seit seiner Geburt auf der Brust hatte." >Quelle http://de.wikipedia.org/wiki/Rochus_von_Montpellier

Verabschiedung aus der Stadt.

1521 km nach Santiago.

Mit der Schonhaltung des Fusses will es nicht so recht gelingen, der Weg ist zu uneben. Ich bin froh, als ich aus der Stadt heraus bin. Der Nebel legt eine stinkende Abgaswolke über sie. Auch der Lärm der Autos und überhaupt das Tempo sind momentan nichts für mich. Ich bin "entschleunigt", wie es der aktuelle Trend will.

Nach wenigen Kilometern bin ich wieder in der Natur, abseits vom Trubel der Kleinstadt mit den eigentlich nur 20 Tausend Einwohnern.

Saint Christophe sur Dolaizon. Die Farbe der Steine ändert sich, ist nun rot-braun. Kirche aus dem 11.ten Jahrhundert.

Die Kirche hat einen interessanten Glockenturm.

Liac. Bäuerliches Hinterland mit vereinzelten Höfen und Weilern. Der nächste Ort heisst Lic.

Das Weideland und die Äcker sind durch Steinmauern begrenzt, ähnlich wie in Irland.

Ramourouscle. Ich bin froh, dass einige Strecken heute über Strassen führen. Der Fuss scheint sich einzulaufen. Nach wie vor versuche ich, ihn nicht ruckartig zu bewegen an Steinen oder Tritten, oder ihn zu überdehnen an Stufen.

In Ramourouscle sehe ich einen interessanten Bildstock von 1631 mit einem Engel als Hauptdarsteller.

Neben dem Bildstock steht ein Gestell, das ich mir nicht ganz genau erklären kann. Es ist wohl zum Einstellen von Vieh. Aber ob es eine alte Waage ist, zum Schlachten dient, zum Beschlagen hält oder eine Deckvorrichtung ist, wird mir nicht klar. Auf Höhe des Kopfes ist jedenfalls ein Stein, der hier etwas schwer zu erkennen ist. Eine Kuh könnte somit den Kopf nicht auf den Boden senken.

Die Kapelle von Monbonnet, leider verschlossen. Ich wäre gerne kurz gesessen.

Montbonnet. Soll ich hier schon Unterkunft suchen und das Bein schonen? Es sind erst 14 km seit Le-Puy. Eigentlich auch viel zu früh, aber ich möchte es nicht übertreiben gleich nach den Ruhetagen. Die Realität regelt das dann für mich: Alles geschlossen. Ich kann mir nicht mal den erhofften Grand Café gönnen. Also weiter, immer aufwärts.

Nach einer Weile komme ich dann auf einen Höhenzug auf rund 1250 Hm. Blick zurück auf Le-Puy, es liegt hinter dem Hügel gegenüber im Tal.

Blick nach vorne, also Richtung Westen. Eigentlich läuft man durchgehend Richtung Westen bis nach Santiago, mit einem kleinen südlichen Einschlag in Frankreich. Den Höhenzug im Hintergrund sehe ich gut, dort werde ich in einigen Stunden oder Tagen vorbeilaufen.

Wie lange braucht man, um zum Horizont zu laufen? Sind viele tiefe Täler dazwischen? Was für eine Bodenbeschaffenheit wird dort sein? Wo werde ich den Höhenzug kreuzen, ist von hier schon einTurm oder Ähnliches zu sehen, auf das ich zulaufe?

An diesem Punkt stelle ich mir diese Fragen noch nicht. In einiger Entfernung zu meinem Standort steht ein Übertragungsturm. Im Laufe der nächsten zwei Tage sehe ich diesen Turm beim Zurückschauen noch als kleinen Punkt am Horizont. Da wird mir erst richtig bewusst, welche Entfernungen ich an einem Tag zurücklege. Wie wunderbar die Fortbewegung zu Fuss ist!

Im Laufe der Strecke habe ich solche Aussichtspunkte noch öfter. Ich versuche mir dann auszumalen, wie es am Horizont sein wird. Die Wirklichkeit stimmt kein einziges mal mit der Fantasie überein.

Vor mir der Weiler Le Chier auf 1040 Hm. Es geht bergab ins Tal.

Le Chier. Durch die sonnige Süd-Ost Lage ist der Schnee weitgehend geschmolzen.

An schattigen Stellen wie an diesem Steg bleibt der Schnee liegen, kann stellenweise auch überfroren sein.

Am Weg ins Tal nach Saint-Privat-d'Allier ist diese schöne Gesteinsformation zu sehen. Eigentlich möchte ich in Saint-Privat-d'Allier übernachten, aber auch hier ist alles geschlossen. Es geht weiter abwärts ins Tal der Allier. Ich hoffe und bin zuversichtlich, in Monistrol-d'Allier unterzukommen. Der GR65 geht durch Waldgebiete, es liegt Schnee und es gibt Eisstellen. Ich entschliesse mich die Strasse zu laufen, um den Fuss zu schonen. Leider verpasse ich so die Chapelle St.Jaqcues aus dem 13. Jahrhundert, die einen schönen Blick über die Schlucht der Allier bieten soll.

Das Gestein wird abgebaut und verwertet.

Monistrol-d'Allier auf 550 Hm. Die Allier ist ein Wildwasser Paradies, im Sommer ist hier wohl recht viel los, wenn ich die Postkarten in der Bar richtig deute. Endlich einen Kaffee, auch wenn es schon später Nachmittag ist.

Dann ab zum Gite und tatsächlich, er hat geöffnet! Und was für ein Gite, sehr gemütlich. Hier kann man es aushalten. Schnell noch Einkaufen gehen, heute morgen waren die Geschäfte in Le-Puy noch geschlossen. Dann aber doch ein Schreck, das Geschäft hat geschlossen. Die Bar ist kurz davor zu schliessen. In der Bar frage ich um Rat, die Wirtin überrascht mich dann. Sie geht in die Küche, holt mir ein Päckchen Spagetthi und ein paar Tomaten. Klasse, herzlichen Dank!

Es wird nun deutlich länger hell abends, es ist fast Mitte Februar. Nach dem Kochen und Essen bleibt mir noch Zeit für einen Spaziergang.

An der Kirche ein interessanter Doppelbildstock. Diese Bildstöcke kenne ich nicht aus Deutschland, hier sind sie eher die Regel.

Ich habe ein mobiles Telefon dabei und lasse mich jeden Abend von meiner Familie anrufen, die Kinder sollen nicht den Eindruck haben, dass ich unerreichbar für sie wäre. Heute passiert es erstmals, dass es keine Netzabdeckung gibt und ich nicht telefonieren kann. Wir haben zwar schon vorher diese Möglichkeit besprochen, hoffe aber trotzdem, eine Verbindung zu erhalten. Ich befürchte, dass die Familie sich nach den Ruhetagen Sorgen macht, wenn ich mich nicht melde (ich lasse es normalerweise 1x klingeln wenn ich Unterkunft habe und werde dann zurückgerufen. Ansonten wäre die Telefonrechnung wohl teuerer als die ganzen andere Kosten der Tour zusammen).

Ich gehe etwas die Anhöhe hoch, keine Verbindung. Also wieder runter ins Tal. Dann versuche ich, aus einer Telefonzelle zu telefonieren. Als ich dann tatsächlich eine finde, akzeptiert sie nur Karten.

Von dem Aufenthalt inMonistrol-d'Allier lerne ich zwei Dinge:

  • Immer einen kompletten Essenvorrat für mindestens einen Tag dabeizuhaben.
  • Eine Telefonkarte für Frankreich (und später Spanien) zu besitzen.

Meine warme Essenvorratsration sieht normalerweise wie folgt aus

  • 250 g Reis. Braucht kein Öl oder Fett für die Zubereitung. Ist schnell gar, stopft nicht, auch wenn ich wegen grossem Hunger zuviel davon esse (siehe die Schlafstörung nach den Spagetthi in St-Jeures. Allerdings war das auch eine Megaportion).
  • 1 Zwiebel. Hält sich lange, gibt Geschmack und ist zumindest Gemüse. Koche ich zusammen mit dem Reis.
  • 1 Knolle Knoblauch. Hält sich lange, gibt Geschmack (Schärfe, wenn keine Pfeffer verfügbar ist). Den Knoblauch koche ich auch mit dem Reis und den Zwiebeln zusammen. Ich verwende nicht die ganze Knolle für ein Essen, obwohl es mir wohl die Hose wärmen würde :)
  • 1 Dose Fisch. Das Wasser oder Öl darin geben sie Sosse. Füge ich nach dem Garen zu dem Reis.
Dazu habe ich immer ein Brot dabei und ein kleines Päckchen Butter, schmilzt ja nicht um diese Jahreszeit. Für morgens Honig, in den praktischen Plastikflaschen, die es inzwischen gibt. Für Mittags und zwischendurch entweder Wurst oder Käse. Dazu esse ich viel Obst. Gerne esse ich auch rohe Karotten oder Kohlrabi unterwegs. Ich muss schauen, den Vitamin -und Mineralhaushalt in Ordnung zu halten.

Für das warme Essen koche ich mir natürlich auch andere Mahlzeiten, wenn ich was einkaufen kann. Den Reis und die anderen Sachen habe ich fortan immer dabei, um nicht nochmal ohne Essen dazustehen. Der Vorrat wiegt nicht allzuviel und gibt mir ein Gefühl der Sicherheit.

Tag 23: Monistrol-d'Allier(F)-Domain du Sauvage(F), 9h, 10°C

Nach einem guten und umfangreichen Frühstück von der freundlichen Madame im Gite geht es aus dem Tal hinauf auch die Hochebene. Das Wetter verspricht heute gut zu werden. Ich freue mich auf den Tag und die Etappe. Mein Fuss hat sich wesentlich gebessert. Ich creme zwar noch, aber die Schwellung ist weitgehend verschwunden.

Im Aufstig aus dem Tal komme ich an dieser, in eine Höhle gemauerte Chapelle Madeleine vorbei. Die Kapelle war früher ein bekannter Wallfahrtsort. Links und rechts der Kapelle hat man Gräber in den Felsen gehauen.

Blick in das Innere der Kapelle, der Blitz des Fotos hellt sie etwas auf. Meine Kamera ist übrigens eine kleine Canon IXUS 400 mit 500MB Speicherkarte.

Blick zurück auf das Tal der Allier. Monistrol liegt im Tal am rechten Bildrand.

Der Weg führt bergauf in den Schnee, es wird kälter in der Höhe. Ich sehe die Radspur des Landwirts aus dem Gite in Le-Puy. Er musste das Rad schieben, seine Fussspur ist neben der Radspur gut zu sehen.

Hof unterwegs.

Blick zurück über Monistrol. Herrliches Wetter heute mit guter Fernsicht.

Der Wind bläst offensichtlich regelmässig und stark aus derselben Richtung.

Auf der Hochebene vor Saugues. Im Hintergrund über dem Wald sind schneebedeckte Höhenzüge zu sehen. Ich nähere mich dem Massif Central.

Blick auf Saugues. Saugues war früher die Hauptstadt der Provinz Gévaudan. Dieser Name erlange Bekanntheit durch La bête du Gévaudan, der Bestie vom Gévaudan.

Sie ist der Verursacher einer Serie von mörderischen Überfällen mit rund 100 Opfern, die sich von 1764 bis 1767 in der Gegend um Saugues ereignete. Ob es ein Wolf, ein Hund, eine Kreuzung davon oder gar ein Mensch war, konnte nie ermittelt werden. Die Theorie um den Wolf wird touristisch in Saugues verwertet.

Nach Saugues wird es nun langsam ernst. Croix du Fau ist freigegeben, nun komme ich also in Gebiete, die offiziell wegen Schnee gesperrt sein können.

Seit dem späten Vormittag ist es warm geworden, fast Föhnwetter. Der Schnee schmilzt rasant schnell und läuft in Rinnsalen die Wege entlang. Unterwegs falle ich um Jahrzehnte zurück und baue Staudämme in die Rinnsale, welche die Eisplatten durchfräsen wie Canyons.

La Clauze, eine kleiner Weiler mit einem Wehrturm aus Granit.

Von der Burg aus dem 12.ten Jahrhundert ist nicht mehr viel übrig ausser dem sonderbar geformten Turm.

Ansonsten verfallen nun auch profane Gebäude und Höfe in dem Ort.

Le Falzet. Hier gäbe es eine Unterkunft auf einem Bauernhof. Mein rechter Fuss ist wieder soweit fit. Es ist erst Nachmittag, ich entscheide mich daher, noch etwas weiterzugehen.

Ein herrlicher Winternachmittag. Die Strecke zieht sich nun, ich werde müde. Mein Fuss ist aber ok und das ist die Hauptsache im Moment. Ich sehe wieder die Fahrradspur. Der Landwirt ist hart im nehmen! Ich sehe einige steile Ansteige, an denen die Radspur eher kurze Streifen neben der Fussspur sind. Da hat er das Rad wohl geschultert und das Vorderrad schleifte bei den Schritten im Schnee.

Ich stehe hier an der Strassenabzweigung. Hinter mir führt die Strasse weiter auf den Bergrücken hoch. Dieser Weg hier geht links vom dem Weg ab und ist ein Privatweg. Zufahrt zum Domain du Sauvage. Ein ehemaliges Landgut und Hospital der Templer, nun im Landeseigentum. Das Gehöft ist verpachtet, auf dem 750 Ha grossen Gelände stehen viele Pferde. Das Gehöft ist hinten am Ende des Weges zu erkennen.

Der Gite im Gehöft ist neu umgebaut und riesengross. Ausser einem Telefon, Internet und Mobilfunknetzabdeckung ist alles vorhanden. Ideal wohl für Schulklassen oder grosse Gruppen. Hier kann man sicherlich schön Urlaub machen, weit abgelegen und ruhig, mitten in der Natur.

Ich wasche meine Kleidung mit der Hand und verteile sie auf den Heizkörpern im Gite zum Trocknen.

Tag 24: Domain du Sauvage(F)-Aumont Aubrac(F), 8h, 3°C

Normalerweise findet man in der Küche eines Gite Lebensmittel und Utensilien, die Pilger zurückgelassen haben oder die bereitgestellt werden. Meist sind das Gewürze, Salz, Pfeffer, Essig, Öl, Tee und ähnliches. Weil der Gite recht neu ist, ist diesbezüglich heute Morgen nichts vorzufinden ausser einer halben Flasche Rotwein. Den Wein will ich zum Frühstück dann doch nicht konsumieren, daher koche ich mir Wasser. Ein Bekannter mit chinesischer Verwandschaft hat mir mal erzählt, dass seine Schwiegermutter immer nur pures heisses Wasser tränke, Tee oder Kaffee seien ihr zu auftragend und schwer im Geschmack.

Mit einer vorzüglichen Kanne heissen Wassers gestärkt ziehe ich los.

Es ist bitterkalt durch den Nebel, der Wind bläst kräftig über die Höhe.

Beim Verlassen des grossen Gehöftes sehe ich es fast vor mir, wie verwundete und erschöpfte Tempelritter aufgepäppelt wurden, um mit einem der sinnlosen und barbarischen Kreuzzüge in den Nahen Osten zurückzukehren.

Kurz nach der Passhöhe Col d' Hospitalet auf 1304 Hm stand ein 1198 gegründetes Hospital der Tempelritter, das ursprünglich dem Jakobus, dann dem Rochus geweiht war. Während der Religionskriege wurden die Gebäude zerstört, nur die gefasste Rochus-Quelle ist noch vorhanden. Ihr Wasser soll bei Augenleiden und schlecht heilenden Wunden helfen.

Nach Espalion 84 km, wohl zuviel für eine Tagesetappe :)

Als ich in tiefere Lagen komme löst sich der Nebel. Seit dem Abschied zuhause vor 24 Tagen habe ich zwar viel Feuchtigkeit gesehen in Form von Nebel, Schnee und Eis auf dem Boden, es gab jedoch keinerlei Niederschläge. Heute fällt erstmals kurz leichter Nieselregen.

Monts de la Margeride heisst der Höhenzug, den ich heute Morgen überquert habe. Die touristische Route heisst folglich Route en Margeride. Im Hintergrund die ersten Häuser von St-Alban-sur-Limagnole. Im Ort unten gibt es eine Bäckerei, die das leckerste Mandelgebäck auf dem ganzen Jakobsweg backt! Leider habe ich mir den Namen der Bäckerei nicht notiert, sie ist auf den linken Strassenseite in der Nähe der Kirche.

Hütten im Wald. So sah es hier wohl auch vor Jahrhunderten aus.

Les Estrets, schöne Wanderwege hier in der Gegend.

Ankunft in Aumont Aubrac, interessant verbautes ehemaliges Seitenportal der Kirche. Es gibt zwei Gites, einer davon soll das ganze Jahr über geöffnet haben. Das ist leider nicht so, der Gite wird umgebaut. Im Pfarrsaal soll man auch übernachten dürfen laut Reiseführer. Ich kann allerdings den Pfarrer nicht erreichen. Habe in Pilgerbüchern gelesen, dass Pilger auch schon in den Kirchen übernachtet haben. Ziehe die Kirche als Notfall-Schlafplatz in Betracht, aber Aumont Aubrac ist vergleichsweise gross und geschäftig, da werde ich sicher anderweitig unterkommen.

Treffe dann auch den Pfarrer an, er ist nicht gerade begeistert mich aufzunehmen. Aber seine anderen offerierten Optionen sind geschlossen. Wir verabreden uns zur Abendmesse, zu der er jetzt gehen wird in einem Schwesternheim. Ich gehe noch schnell Einkaufen für mein Abendessen.

Dann kann ich das Schwesternheim nicht finden und irre durch die Stadt. Eine Frau hilft mir und führt mich zu einem von aussen fast dunklen Gebäude. Komme gerade noch rechtzeitig, die Messe vor drei älteren Damen ist eben vorbei. Der Pfarrer nimmt mich mit zum Gemeindehaus. Ich habe eine Küche zur Verfügung, Dusche und kann auf einer Matraze in einem Zimmer unter dem Dach schlafen, das normalerweise wohl Bastelzimmer und Unterrichtsraum ist. Danke!

Beim Einkaufen hat mich ein Passant vor der Durchquerung des Aubrac gewarnt, es läge aktuell ca. 40 cm tief Schnee. Ich meine, dass ich dann ja noch genügend Bodenfreiheit hätte, bin zwei Köpfe grösser als er. Wir lachen.

Morgen steht in der Tat eine härtere Etappe an. Es wird durch das Bergland Aubrac gehen, das von den Flüssen Truyère und Lot begrenzt wird. Das Aubrac ist ein Granit Plateau, es ist im Mittel 1000 Hm hoch und kaum besiedelt. Ausserdem ist es für Wetterextreme und viel Schnee bekannt.

Nachts werde ich durch ein Geräusch wach, das ich lange nicht gehört habe. Starker Regen prasselt lautstark auf das Dach und das Fenster meines Bastelzimmers. Bisher war es ja trocken, was die Niederschläge betrifft. Was ziehe ich nun an, wenn es morgen noch so heftig regnet? Regenjacke über die Windstopperjacke? Nur Windstopperjacke? Nur Regenjacke? Ich liege eine Weile wach und grübele. Ach, erst mal sehen, wie das Wetter wirklich wird.

Herrlich, im Schlafsack mit Dach über dem Kopf! Was interessiert mich jetzt der Regen? Ich liege trocken, das ist alles was jetzt gilt. Das Prasseln schläfert mich ein.

Tag 25: Aumont Aubrac(F)-St-Chely-d'Aubrac(F), 10h, 6°C

Am Morgen regnet es noch immer heftig. Als ich aus dem Fenster schaue, gibt es trotzdem eine Überraschung, die mich freut: Der Schnee ist weg!

Ich entscheide mich beim Frühstück dafür, in Regenhose und Regenjacke zu laufen. Wenn es zu kalt werden sollte, werde ich die Windstopper Jacke darunter ziehen.

Es regnet in Strömen, der Himmel ist ganz dunkel, die Regenwolken jagen sich. Als ich nach La Chaze-de-Peyre komme, klärt sich der Himmel über dem Ort schlagartig auf. Rechts und links von mir ziehen die Regenwolken ab.

La Chaze-de-Peyre in der Région Languedoc-Roussillon, Département Lozère. 10 Einwohner auf einen km2.

Der Regenbogen gibt mir Mut. Obwohl hinter mir der Himmel noch tiefschwarz ist und es innerhalb weniger Minuten wieder regnen könnte, entschliesse ich mich dazu, auf Petrus zu vertrauen und mich umzuziehen.

Die Regenjacke und -hose sind unangenehm zu tragen. Obwohl aus atmungsaktivem Material, bin ich in kurzer Zeit von innen genausso nass wie von aussen. Ich schwitze mehr, als das Material abgeben kann. Der Vorteil der Regenklamotten ist, dass kein kaltes Regenwasser auf der Haut durchströmt und der Wind abgehalten wird.

Das Wohnhaus ist direkt an die Kirche angebaut, das habe ich nicht oft gesehen.

Dann geht es hinaus auf die Hochebene. Der Schnee ist tatsächlich innerhalb weniger Stunden im Regen komplett weggeschmolzen. Die Wege sind natürlich entsprechend aufgeweicht. Herrlicher Sonnenschein, die schwarzen Regenwolken sind nun weggeblasen. Sehr windig mit starken Böen, ich muss meinen Hut mit dem Halteband festzurren, damit er nicht weggeblasen wird.

Nach einigen Kilometern Jakobsweg ist Schluss auf dem GR65. Entweder entkleiden und durch das Wasser waten, oder die Stiefel und Hose fluten. Der Boden ist durch den Schnee und nun das Wasser so aufgeweicht, dass ich teilweise fast bis zum oberen Schaftrand der Stiefel darin einsinke. In einigen hundert Meter Entfernung läuft die Strasse hier parallel zum GR65. Ich laufe quer durch die Weide zur Strasse, mit Umwegen um die Seen, die sich schnell bilden. Auf der Strasse geht es dann zügig voran, nur sehr wenige Autos kommen vorbei. Ich bin begeistert, was für ein Tag!

Vor Jahren war ich mit meinem Bruder für eine Weile in Island, die Landschaft und die Witterung hier erinnern mich daran. Das würde ihm auch gefallen.

Die Wassermassen steigen immer weiter, aus den Hochlagen läuft viel Wasser nach. Es war richtig, auf die Strasse auszuweichen. Hier bin ich sicher und komme gut voran.

In tieferen Lagen steht das Wasser.

Nasbinals. 27 km bisher, ein unerwarteter Tagesverlauf. Die romanische Notre-Dame-de-la-Carce aus dem 11.ten Jahrhundert. 1000 Jahre alt! In dieser rauhen Umgebung so gut erhalten.

Ich werde weitergehen, wer weiss wie morgen das Wetter wird. Ein Passant warnt mich eindringlich davor, auf dem GR65 Pfad zu gehen, das sei zu gefährlich. Aber das hatte ich auch nicht vor. Ich möchte nach Aubrac, weitere 9 km, dazu muss ich noch auf den 1400 Hm hoch gelegenen Pass gehen.

Auf der Passhöhe, das hat sich nun doch noch ordentlich gezogen. Die Weideflächen sind hier noch unter Schnee begraben. Nun noch zwei Kilometer hinunter nach Aubrac. Dort sollen etliche Gites und Unterkünfte sein. Grosse Enttäuschung, alle Gites sind geschlossen, nur Hotels sind offen. Ich habe aber nicht die geringste Lust auf ein Hotelzimmer. In den letzten Jahren habe ich beruflich viel in Hotelzimmern genächtigt, die Atmosphäre eines Hotels wäre mir heute zuwider. Lieber lege ich mich in eine Bushaltestelle, wenn es sein muss.

Also entweder Bushaltestelle oder weitergehen.

Es ist 17 Uhr und wird bald anfangen zu dämmern, müde bin ich auch. Aubrac liegt auf 1305 Hm. Der nächste Ort wäre Saint-Chély d'Aubrac auf 805 Hm, 8 km entfernt. Das sollte eigentlich noch drin sein, geht ja nur bergab. Im Tal wird das Wetter auch gemässigter sein.

Ich entschliesse mich, den Abstieg noch anzugehen.

Rund zwei Kilometer vor Saint-Chély d'Aubrac beginnt es zu regnen. Wird wohl nur ein Schauer sein, denke ich. Dass dem nicht so ist merke ich, als es zu spät ist. Innerhalb weniger Minuten bin ich durchnässt, bei dem Regen hilft keine Wachsschicht mehr auf der Hose.

Als ich in den Ort komme, sehe ich ein Sportheim. Jawohl, das sieht gut aus, im Notfall kann ich hier unterkommen, das Dach steht weit vor und bietet Regenschutz.

Dann ist aber doch noch jemand in der Touristeninformation. Der Gite ist offen, ich habe ein Bett für heute Nacht!

Nach einer herrlich heissen Dusche koche ich mir Reis aus meiner Vorratsration. Fabian, der junge Herbergsvater, kommt mit einer Flaschen schwerem Aperitifwein. So muss das sein. Eben noch sehr darüber gefreut, eine potentielle, trockene Unterkunft im Freien gefunden zu haben. Nun mit einer Flasche Wein in einer warmen Behausung, heiss geduscht.

Fabian hat eine deutsche Freundin, Birgit. Sie ist alleine quer durch die Alpen gelaufen, via Innsbruck, Liechtenstein und die Schweiz. Sie ist auf der Suche nach einem Plan für ihre Zukunft. Sie hat sich unterwegs auch einige Klöster intensiv angesehen und getestet, ob das was für sie wäre. Sie ist seit letztem Jahr Juli unterwegs und war bereits bis St-Pied-de-Port gelaufen, ist aber wieder nach Saint-Chély d'Aubrac zu Fabian zurückgekehrt. Das echte Leben.

Tag 26: St-Chely-d'Aubrac(F)-Estaing(F), 10h

Heute geht es weiter ins Tal des Lot hinunter, 400 Hm auf 16 km Distanz nach St.Come d´Olt. Das Wetter geht zur Sache. Wenn es hier schon so schneit, muss es oben auf der Hochebene des Aubrac richtig abgehen. Ich bin froh, gestern so weit gelaufen zu sein.

Der Weg ist überflutet, es gibt kaum Ausweichmöglichkeiten. Also ständig über Mauern und Zäune klettern.

Kurz nach der Aufnahme hält eine Autofahrerin, ich solle in keinem Fall auf den GR65 Pfad laufen, das wäre zu gefährlich. Das hatte ich auch eingesehen in den steilen Abwärtspassagen, darum laufe ich jetzt ja auf der Strasse.

Weiter unten im Tal wird es etwas wärmer, statt Schnee fällt Regen. Aber es ist nun klare Sicht, ich bin unter der Wolkendecke.

Das Zeichen des GR65 unterwegs.

Im Tal des Lot angekommen. Der Fluss mündet nach 481 km in die Garonne. Die Wassermenge ist stark von den Jahreszeiten und der Witterung abhängig und kann von rund 15 m³/s im Sommer auf 700 m³/s im Winter und Frühjahr anschwellen.

Saint-Côme-d'Olt auf 385 m.

Olt ist die okzitanische Bezeichnung für den Fluss Lot. Okzitanisch (Langue d'oc) ist eine galloromanische Sprache, die im südlichen Drittel Frankreichs sowie in Randgebieten Italiens und Spaniens gesprochen wird. Es ist die alte Sprache, in der die Troubadoure gedichtet haben. Nun ist sie am Aussterben.

Bemerkenswert ist die gedrehte, achteckige Tumspitze der Kirche.

In der Kirche Saint-Côme-et-Saint-Damien. Ich bemerke , dass der Opferstock rabiat aufgebrochen worden ist. Das sieht frisch aus, die Splitter liegen noch auf dem Boden. Ich hoffe, dass ich nicht verdächtigt werde, wenn jetzt jemand reinkommt oder wenn ich gegangen bin.

Saint-Côme-d'Olt ist eine wunderbare kleine Stadt, mit verwinkelten Gässchen und vielen alten Gebäuden.

Blick auf die Stadt vom Lot aus.

Nach einigen Kilometern im strömenden Regen entlang des Flusses liegt etwas abseits des Wegs, kurz vor Espalion, die Eglise de Perse. Der Chor und die Apsis wurden im 11.ten Jhd erbaut. An dieser Stelle wurde 730 der Hl. Hilarian von den Sarazenen enthauptet. Die Kirche ist die Kapelle eines ehemaligen Klosters, das 1060 gestiftet wurde und zum Kloster Conques gehörte. Es wurde während der Religionskriege 1537 zerstört, nur diese romanische Kapelle blieb verschont.

Sarazenen ist übrigens eine seit dem Mittelalter gebräuchliche, oft abwertend gebrauchte Bezeichnung für die Araber und andere islamische Völker. In neuerer Zeit ist der Ausdruck nicht mehr gebräuchlich.

Die Kirche ist bis auf den Altar leer. Die Leere bringt die alten Gemäuer und den Raum voll zur Geltung. Draussen regnet es in Strömen, innen herrscht eine ganz eigenartige, friedliche Stimmung. Ich fühle mich fern der Welt, singe in Ergriffenheit.

Das Portal der Kirche. Unten im Tympanon eine Darstellung des jüngsten Gerichtes und der Apokalypse, darüber eine Darstellung des Pfingstgeschehens. Oben links sind kleine Figuren in der Mauer eingelassen, Detailfotos sind hier zu finden.

Nur noch wenige Meter, dann bin ich in Espalion. Es ist Freitag Nachmittag, geschäftiges Treiben in der Stadt. Auch hier, wie auch in Saint-Côme-d'Olt, viele geistliche und profane historische Gebäude.

Espalion in der Region Midi-Pyrénées, Departement Aveyron, hat 4.500 Einwohner. Im Gegensatz zum grauen Granit auf der Hochfläche des Aubrac herrschen hier die roten Töne des Sandsteins vor. Ich gehe zur Touristeninformation, sie kündigen mich beim Gite in Estaing an. Ich rechne damit, dass ich wegen Hochwasser vielleicht Umwege laufen muss und recht spät ankommen werde. Estaing möchte ich aber in jedem Fall heute schaffen. Dann könnte ich morgen nach Conque laufen und dort am Sonntag den Ruhetag einlegen.

In den wenigen Kilometern seit St-Come hat sich der Lot verändert und hat jetzt die intensive Farbe des Bodens. Von den Äckern unterwegs erodiert die Erde und läuft in Strömen über Strassen und Wege in die Bäche und den Fluss.

Dann geht es weiter durch das Tal. Wieder etwas abseits vom Weg, hochwassersicher erhöht, liegt Saint-Pierre-de-Bessuéjouls. Eine Kapelle aus dem 11.ten Jahrhundert. Detailbilder sind hier zu finden. Ich nehme mir nicht viel Zeit, nach einem kurzen Innehalten geht es weiter.

Der GR65 ist hier durch den Regen zu glitschig. Um vor der Dunkelheit die 11 km nach Estaing zu schaffen, laufe ich an der Strasse.

Eine weitere Kapelle unterwegs, Trédou.

Dann komme ich nach Estaing. Ich bin völlig aufgeweicht vom ganztägigen Regen, für heute reicht es.

Estaing ist namentlich wohl am meisten bekannt durch Valéry Giscard d’Estaing, den Alt-Präsidenten Frankreichs. Der Name kommt allerdings aus der weiblichen Vorfahrenlinie und wurde erst im 20.ten Jhd durch staatliche Erlaubnis an den Vater von Valéry, einen hohen Politiker, zuerkannt. Die Bewohner wollen jedoch mit dieser Sippschaft nichts zu tun haben, was sie mir sympatisch macht.

In einem Café kann ich den Schlüssel zum Gite abholen. Überraschung, der Gite liegt in der Stadt in einer Kapelle. In einem Seitenraum hinten in der Kapelle ist die Küche, oben unter dem Dach die Betten, in Séparées. Allerdings gibt es keine Heizung ausser dem offenen Kamin, es ist kalt. Oben im Schlafraum ist die Scheibe des Fensters kaputt. Mit Waschen und Trocknen wird es hier nichts.

Ich habe noch eingekauft und koche mir was Leckeres. Dazu gönne ich mir eine Flasche Wein, es ist ja schliesslich Freitag Abend. Das Feuer lodert und wärmt den Raum.

Auf dem Bild ist gut zu sehen, dass die Hose durch den Regen piccobello sauber ist. Obwohl ich sie während der Reise nicht wasche steht sie gut da.

Die Strümpfe trocknen dampfend, ebenso die Einlagen.

Durch die Wetterlage zieht der Schornstein jedoch kein bisschen, ich muss ständig lüften um nicht zu ersticken. Meine Kleidung riecht noch nach Tagen nach Rauch.

Tag 27: Estaing(F)-Conques(F), 8.5h

Samstagmorgen. Der Regen ist weg, blauer Himmel. Vom Rauch heute Nacht rieche wie ein Köhlerhaufen.

Estaing (320 Hm) ist ein schönes, altes Städtchen, wie die anderen Orte am Lot, die ich gestern gesehen habe.

Die Spuren des Dauerregens.

Dann geht es aus dem Tal des Lot auf die Höhe.

Golinhac (650 Hm). In der Kirche der heilige Rochus als Pilger mit Jakobsmuschel.

Und zu meiner Überraschung eine asiatische Madonna.

Schon vor der Ankunft nach Golinhac wummert die Bassline von Hard-House, einer Techno-Musik Stilrichtung, von weitem durch den Wald. In der Kirche klappern dann auch die Fenster in den Rahmen. Im benachbarten Gemeindehaus sind ein paar Jugendliche zu sehen, sie haben augenscheinlich die Nacht durchgefeiert. Schöne Abwechslung.

Nach Golinhac geht es weiter auf die Höhe, die Musik begleitet mich noch eine Weile.

Espeyrac (370 Hm). Es geht heute auf- und ab, eine profilierte Landschaft wie diese gefällt mir sehr.

Im Ort alles vollgeparkt, es findet eine Hochzeit statt.

Sénergues (650 Hm). Die Kirche St.Martin wurde 819 erstmals erwähnt. Nach 28 km seit Estaing bin ich froh, dass es nach Conques nur noch 9 km sind und ich morgen einen Ruhetag habe.

Kurz nach Sénergues schlägt das Wetter um, ein Gewitter zieht vorbei. Glücklicherweise in einiger Distanz, bei mir regnet es nur. Dann wieder klarer Himmel.

Auf der Höhe sehe ich ein Regenfront auf mich zukommen.

Innerhalb weniger Minuten ist sie mit grosser Heftigkeit da. Ich bin auf freiem Feld, notfallmässig ziehe ich Regenhose und -jacke über. Das war knapp, aber richtig. Es schüttet, dass ich kaum noch das Gelände um mich herum sehen kann. Minuten später ist der Zauber wieder vorbei.

Wo bitte geht es nach Conque? Ich sehe nur Felder und Wälder. Der Höhenzug, auf dem ich laufe, läuft nun spitz zusammen. Seitlich sind tiefe bewaldete Täler eingeschnitten. Dann geht es vom Höhenweg ab in das Tal hinunter.

Der Weg hinab ist allerdings mühsam, das Wetter muss ziemlich gewütet haben in letzter Zeit. Umgestürzte Bäume versperren den Pfad, Dornen drohen meine Regensache zu zerreissen. Ich ziehe sie aus, ich werde sie bis Compostela sicher noch gut brauchen können.

Auf einmal öffnet sich der Hohlweg und ich bin in einer anderen Welt. In der Abendsonne kleine Häuschen wie aus dem Bilderbuch mit rauchenden Kaminen. Conques!

Auf 280 Hm in einem engen Tal, eher einer Schlucht.

Von der Vereinigung Les plus beaux villages de France wurde Conques zu einem der schönsten Dörfer Frankreichs erklärt. Ideal für den Ruhetag morgen.

Tag 28: Conques(F)

Ich wohne in der grossen Pilgerherberge direkt an der romanischen Klosterkirche Ste-Foy. Gestern abend wurde ich sehr warm empfangen. Es sind noch andere Pilger und Gäste da, sie gehen allerdings nicht den Chemin de Saint-Jacques-de-Compostelle, sondern laufen oder verbringen ein Wochenende in der Region.

Morgens regnet es noch stark, die Bewölkung lockert sich jedoch auf.

Die Herberge ist Teil eines Klosters. Der Prior liest die Messe in einer kleinen, beheizten Kapelle des Klosters. Wer möchte, kann teilnehmen.

Die Mahlzeiten nehmen wir zusammen ein. Ein schönes Erlebnis mit reichhaltigem und vielgängigem französischem Essen und gutem Wein. Welch Unterschied zu meinen Mahlzeiten unterwegs! Leider kann ich mich nicht bei den lebhaften Gesprächen beteiligen, aber ich fühle mich wohl.

Kreuzigungsgruppe in der Kapelle. Maria und Johannes unter dem Kreuz.

Das wird die neue Hundehütte für die Hunde der Pilger. Alleingehende Frauen, die ich unterwegs getroffen habe, hatten meist Hunde dabei. Die Hunde mussten ihr Gepäck meist selbst mit Packtaschen tragen, und taten das mit sichtlichem Vergnügen.

"Conques romanische Klosterkirche Ste-Foy und sein kleines Museum gehören zu den Höhepunkten der Kulturgeschichte des südlichen Frankreich. Trotzdem ist der Ort wegen seiner abgelegenen Lage wenig besucht, aber außerordentlich angenehm. Conques und seine Klosterkirche liegen stark an einem Berghang, und genau diese Lage drohte der Kirche einstmals zum Verhängnis zu werden.

Die Kirche hat ihren Namen nach der heiligen Fides, im Französischen Ste-Foy genannt. Fides war der Name eines kleinen Mädchens, das zur Märtyrerin geworden war. Sie war die Tochter eines angesehenen Bürgers von Agen und am 6. Oktober des Jahres 303 im Alter von 12 Jahren auf Befehl des Dacius zum Tode durch Enthauptung verurteilt worden, weil sie sich angeblich geweigert hatte, die heidnischen Götter anzubeten. Sie war damit eine der ersten der vergleichsweise wenigen französischen Märtyrer. Die religiöse Fantasie und die emotionale Erregung erfuhren noch eine bedeutsame Steigerung durch den Umstand ihres jugendlichen Alters und ihrer damit verbundenen Jungfräulichkeit. Ihre Gebeine sind am 14. Januar 866 nach einem Raub feierlich hierher gebracht worden und wurden seitdem mit inbrünstiger Andacht verehrt.

Die Klosterkirche, die einen älteren karolingischen Bau ersetzte, wurde kurz nach 1041 begonnen und zu Beginn des 12. Jhs. weitgehend vollendet und steht damit in der Phase der Früh- und Hochromanik. Im Mittelalter gehörte sie zu einer Benediktinerabtei. Nach Tournus in Burgund besitzt sie möglicherweise das älteste Tonnengewölbe großen Ausmaßes, das ungefähr 1060 gebaut wurde. Dieses Datum ist aber nicht ganz gesichert. Manches spricht dafür, dass in Conques die oberen Teile des Langhauses zeitlich nach der großen Kirche St-Sernin in Toulouse errichtet wurden. Dann wäre Conques zumindest in dieser Hinsicht nicht ganz so bedeutend.

Die Klosterkirche hat einen fünffachen Staffelchor, genau gesagt eine Kombination von einem Staffelchor und einem Kapellenkranz. Das ist eine von jenen Vorformen des späteren Kapellenkranzes." >Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Conques

Im folgenden die ausführliche Beschreibung dieses Tympanon. Viele der alten Kirchen unterwegs haben einen Tympanon, der nächste prachtvolle kommt in Moissac. Daher die Beschreibung der Details an dieser Stelle, um die Hintergründe und Geschichten zu den Figuren exemplarisch zu sehen.

Hier ein Foto des Tympanon in grosser Auflösung. (Quelle Jean-Pol Grandmont, Wikipedia)

"Die Hauptattraktion der Klosterkirche von Conques ist das große Tympanon des Eingangsportales aus der Zeit vor 1130. Es gehört auf eine Stufe zusammen mit den Tympana von Chartres, Autun und Vézelay. Wir haben hier eine Art Kompendium mittelalterlicher Geschichtenerzählung vor uns, die sich nicht nur auf biblische Szenen beschränkt.

Das Generalthema des Tympanons ist das Jüngste Gericht. Diesmal bevölkern ganze 117 Gestalten die Szenerie. Ursprünglich befand es sich gar nicht an der Außenseite der Kirche, sondern - wie in Vézelay - im Innern einer Vorkirche und ist deshalb so gut erhalten. Das Material ist rötlicher und gelber Sandstein.

In der Mitte der vielschichtigen Erzählung thront natürlich - wie fast immer - Christus in der Mandorla - mit deutlichen Farbresten, von denen aber nicht sicher ist, ob es die mittelalterlichen Originalfarben sind. Sicher ist nur, dass diese Figuren bemalt waren. Gemäß der Matthäusvision vom Jüngsten Gericht, nach der Christus die Schafe zu seiner Rechten und die Böcke zu seiner Linken versammelt (Mt. 23, 33), teilt er mit seinen ausgestreckten Armen die Welt des Jenseits in das Paradies zu seiner erhobenen Rechten und die Hölle zu seiner nach unten weisenden Linken. Diese Teilung der Welt in Gut und Böse, die die gesamte christliche Kunst des Mittelalters beherrscht, ist bis in die Gegenwart kulturbestimmend wirksam.

In einem elliptischen Glorienschein, der Mandorla, sitzt Christus als höchster Richter mit einem Pallium bekleidet. Auf dem Kreuz im Nimbus/Heiligenschein hinter seinem Haupte steht die Inschrift: „Judex“ (Richter). Mit der rechten Hand weist er den Auserwählten den Himmel: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters“ sagt die seitliche Inschrift; mit der Linken weist er den Verdammten die Hölle: „Weichet von mir, Verfluchte“ heißt es auf der anderen Seite.

Zu seiner Linken, also von vorne aus rechts von ihm, sind vier Engel zu sehen. Von den zwei Christus zugewandten Engeln hält einer das Buch des Lebens, der andere ein Weihrauchgefäß. Die beiden den Verdammten zugewandten Engel halten Lanze, Schild und Wimpel. Sie halten die Verdammten fern, wie auf dem Schild geschrieben steht: „Die Engel werden die Bösen von den Gerechten trennen“. In der Hölle wird jeder nach seinen Sünden bestraft. Die Qualen, welche hier den Verdammten auferlegt werden, beziehen sich auf die Todsünden. Die Personen dieser fürchterlichen Szenen waren keine erfundenen Wesen, sondern Zeitgenossen.

Über Christus steht sein Kreuz zwischen dem Mond (luna) rechts und der Sonne (sol) links. Das Kreuz wird als Zentrum der Schöpfung, als Mittelpunkt der Welt und der Geschichte angesehen. Auf dem Querbalken steht die Schrift: „Dieses Kreuzzeichen wird am Himmel erscheinen, wenn der Herr kommt zu richten“ (Mt. 23, 30). Auf jeder Seite des Kreuzes – hier nicht zu sehen - stößt ein Engel ins Horn, um die Menschheit zur jüngsten Versammlung zu rufen.

Zur Rechten Christi, also von vorne aus gesehen links von ihm, befindet sich die moralisch „gute“ Seite, die Seite der Tugenden und der Erlösten - das heißt aber auch: die Seite mit den langweiligeren Themen. Zunächst sind – über den Figuren - Spruchbändern zu sehen, die von vier Engeln gehaltenen werden und auf denen die Kardinaltugenden verzeichnet sind: Glaube - Hoffnung - Liebe - Demut. Darunter folgt eine Schar von Heiligen und Gestalten, die voller Vertrauen auf Christus zugehen: ganz rechts zunächst die Jungfrau Maria, dann folgt der heilige Petrus mit dem Schlüssel und einem Stab in den Händen, dann der Eremit Dadon, der Gründer des Klosters von Conques, gefolgt vom Abt Oldoric, dem ersten Erbauer der Basilika - unter dem Caritas-Spruchband. Er führt keinen Geringeren als Karl den Großen an der Hand, dessen Freigiebigkeit den Bau oder die Fertigstellung einer früheren Kirche am gleichen Ort ermöglicht hatte. Der Kaiser trägt eine Krone und hält eine kleine Figur in der Hand, vermutlich soll sie die heilige Fides darstellen. Zur damaligen Zeit gehörten Deutschland und Frankreich kulturhistorisch noch zusammen.

Um den Kaiser herum sind Mitglieder seiner Familie versammelt. Es folgen nach links – eine Stufe höher - die drei Gestalten, die zur Zeit der Heiligen Fides mit ihr den Märtyrertod erlitten. Der letzte in der Reihe ganz links in der Ecke ist Arosnidus, der berühmte Mönch, der den „frommen Diebstahl“ beging, der Conques zu den Reliquien der Fides verhalf, die in Agen entwendet und nach – wie es heißt - „mancherlei Abenteuern“ an diesen Ort verbracht wurden. Hier wird also ein eindeutiger Diebstahl im Nachhinein als wohlgefälliges Werk für den eigenen Ruhm hingestellt und entschuldigt.

Unterhalb der vorigen Szene stellen zunächst links oben in einer schmalen Zwickelzone drei kleine Arkaden die Kirche von Conques dar. Drei Arkaden sind immer ein Zeichen von Heiligkeit und stehen normalerweise für das Himmlische Jerusalem, mit dem sich die Kathedrale von Conques hier symbolisch gleichsetzt. Unter diesen Arkaden hängen die eisernen Fesseln der gefangenen Christen, die durch die Heilige Fides aus den Händen der Mauren befreit wurden. Rechts daneben ist Ste-Foy, die Schutzpatronin der Basilika zu Conques, kniend im Gebet vor der Hand Gottes zu sehen, die sie aus den Wolken heraus segnet.

Darunter sieht man als Hauptszene dieses Teils das himmlische Jerusalem. Im Mittelpunkt thront Abraham, der die Auserwählten empfängt, symbolisiert in zwei kleineren Gestalten mit Heiligenscheinen. Zu seiner Linken stehen die Gerechten des Alten Testaments, zu seiner Rechten die Märtyrer, die heiligen Männer und Frauen des Neuen Testaments.

Hier an diesem Ort herrscht auf ewig großer Friede. Das wird in der betont ruhigen Ausdruckssprache des gesamten Körpers der Gestalten deutlich und genau dieses Darstellungsschema macht solche Szenen aus den himmlischen Sphären immer etwas langweilig im Vergleich zur Gegenseite.

Unten in der Mitte liegt der Eingang zum Paradies. Vor der Tür mit ornamentierten Beschlägen empfängt ein Engel die Auserwählten, die sich an der Hand halten und am Eingang drängen - wie bestürzt von dem Dämon und dem fürchterlichen Anblick gegenüber. Man muss sich bei diesen heute eher amüsant wirkenden Szenen deutlich vor Augen halten, dass sie in einer Zeit entstanden sind, als die Angst vor der höllischen Verdammnis durchaus real und sehr intensiv war.

Und damit kommt jetzt endlich auch die Gegenseite zum Zuge. Die ganze Szenerie des Tympanons ist in der Mitte geteilt zwischen der Welt des Guten links und der Welt des Bösen rechts. Das biblische Ungeheuer, der Leviathan, verschlingt mit aufgerissenem Rachen die Verdammten, die von einem Teufel mit einer schweren Keule hineingestoßen werden, wobei er den Kopf wendet, um die Auserwählten zu sehen, die ihm entgehen. Das muss man sich jetzt in den entsprechenden Farben vorstellen.

Die Szenen in dem schmalen Streifen darüber sind links die Auferstehung: Engel heben die Grabsteine auf und helfen den Toten aus den Gräbern, - und rechts anschließend die Szene der Seelenwaage. Von der Waage sind nur noch die beiden Schalen übrig. Auf der einen Seite der Erzengel Michael, auf der anderen ein Dämon mit verschmitztem Gesicht, der mit dem Finger auf eine der Schalen drückt, damit sie sich zu seinen Gunsten neige.

Ganz rechts daneben sind in diesem oberen Streifen in einer bildlichen Allegorie die Gewissensbisse dargestellt, und zwar in einer sehr wörtlichen Version. Die Verdammten werden tatsächlich von kleineren Dämonen in den Schädel gebissen. Man merkt an solchen Szenen, dass hier in der Hölle, in der Welt des Bösen, augenscheinlich mehr los ist als in der statischen Welt des Paradieses, wo alle nur huldvoll herumstehen. Aber die Sache wird noch dramatischer.

In einer weiteren Szene des unteren Teils herrscht der Dämon der Finsternis in seiner ganzen Unbarmherzigkeit. Satan thront inmitten emsiger Teufelchen und empfängt die Verdammten. Im rechten Teil des Tympanons, das die Welt des Bösen zeigt, werden in eindringlich erzählerischem Stil die sieben Todsünden bestraft: die Völlerei, die Wollust, der Geiz, die Üppigkeit, der Zorn, der Neid und die Faulheit. Unter den Füßen des Satans liegt zunächst - für alle Ewigkeit in den Flammen - der Faulenzer mit einer Kröte, dem Symbol der Faulheit, an seinen Zehenspitzen. Links davon erwarten ein Mann und eine Frau angebunden und mit gefesselten Händen die Strafe für die Wollust. Wie wird sie ausfallen? Ein sich über den beiden befindender Teufel erkundigt sich boshaft bei Satan.

Noch weiter links steht direkt an der Eingangspforte zur Hölle der Hochmut, dargestellt durch einen aus dem Sattel geworfenen Ritter, der im wahren Leben ein ehrgeiziger Nachbar der Abtei war und dieser nach ihren Gütern trachtete. Er wird von einem Teufel vom Pferd gezogen und von oben von einem anderen aufgespießt. Zu Lebzeiten war er von den Mönchen des Klosters exkommuniziert worden. Hier kommen also neben den welthistorischen Themen sehr lokale Aspekte aus der Klostergeschichte mit in die Darstellung des Jüngsten Gerichtes hinein.

Rechts des Satans sind an einem Gehängten die Folgen des Geizes dargestellt. Man erkennt ihn an seinem Beutel mit Geld um den Hals. Die Szene rechts daneben ist schwerer zu verstehen. Die Aussage ist folgende: In der Hölle gibt es keine üble Nachrede, keine Verleumdung, keine Lüge mehr, also werden die bösen Zungen herausgerissen. Und ganz rechts ist die aufs höchste gesteigerte Wut zu sehen: zur Beruhigung wird ein kleines Bad in einem siedenden Kessel verordnet.

Auch hier gibt es in einem schmalen oberen Streifen noch einige Sondergeschichten, die man ohne Erläuterung kaum entschlüsseln könnte. Zunächst links in der Mitte das Thema des Neides: Die Neidischen „sterben immer noch vor Neid“ heißt es auf der Inschrift. Der Teufel zeigt einem Spieler eine Pansflöte, das Instrument seiner Träume, aber ein anderer Teufel hindert ihn, sie zu ergreifen und sorgt damit für echte Tantalusqualen. Und in der rechten Mitte erscheint das Los der Wilddiebe, die in den Wäldern der Abtei gejagt haben: Sie werden wie ein Hase am Spieß gebraten, und der Hase hilft dabei. Die Wilddieberei gehört nicht zu den sieben Todsünden, sondern wieder zu den lokalen Themen der Klostergeschichte.

Der obere rechte Teil des Tympanons ist voll von weiteren menschlichen Schwächen: zunächst der Hochmut der Mächtigen, der ebenfalls gezüchtigt wird. Man verbeugt sich zwar noch, aber welche Schmach! Der Teufel als kniebeugender Höfling entreißt währenddessen mit seinen Zähnen dem Fürsten die Krone.

In der Szene 'Drei Geistliche sind in einem Netz gefangen' werden diese von einem dickbauchigen Teufel mit Mühe davon geschleppt: einer von ihnen hält einen Bischofstab. Es ist Étienne, der Bischof von Clermont und Verwalter der Abtei von Conques im 10. Jh., der den Kirchenschatz geplündert hat. Davor, gebeugt und gedemütigt, Begon II., auch er war Abt des Klosters. Er verdankte seine Ernennung zum Abt betrügerischen Machenschaften und hatte darüber hinaus die Güter der Abtei verschleudert. Also auch hier sind wieder deutliche lokale Themen angesprochen, und zwar auch gegen ehemalige Klostervorstände.

Rechts davon sind sind zunächst die Häretiker dargestellt, erkennbar an dem Pergament und dem Buch der Irrlehren - hier als Schriftrolle, die sie in der Hand halten. Einer liegt auf dem Boden, der Teufel verschließt ihm mit seinem Fuß den Mund. Die Aussage ist eindeutig: Schluss mit den Irrlehren! Und noch weiter rechts am äußersten Rand ist der Falschmünzer dargestellt - vor ihm seine Instrumente, die ihn an den Grund seiner Verdammnis erinnern.

Die Inschrift, die auf dem durchlaufenden Balken steht, sollte vor dem Eintritt in die Kirche die Gläubigen im Glauben stärken und die Zweifelnden zur Umkehr bewegen. Dementsprechend lautet sie: „Die Gemeinschaft der Heiligen steht voller Freude vor Christus dem Richter. So wird den Auserwählten, vereint, um die Freuden des Himmels zu empfangen, Ruhm, Friede, Ruhe und ewiges Licht zuteil. - Die Keuschen, Friedfertigen, Mildtätigen und Frommen sind erfüllt von Freude und Zuversicht und fürchten nichts. Die Gottlosen werden somit der Hölle überantwortet. Die Bösen werden von Strafen gequält, von Flammen verzehrt, sie zittern und stöhnen auf ewig inmitten von Teufeln. Die Diebe, Lügner, Betrüger, Geizigen, Entführer, sie werden alle mit den Übeltätern verurteilt. Ihr Sünder wisset, dass ihr ein schreckliches Gericht erleiden werdet, wenn ihr euren Lebenswandel nicht ändert.“

Darunter steht die Szene die Hurerei: was diese beiden getan haben, zeigt ein Teufel sichtbar auf einem Pergament, zu beider größter Schande also in aller Öffentlichkeit. Hier sind übrigens die langen Haare der Frau Hinweis auf zügellose Sinnlichkeit. Und ganz rechts außen die Völlerei: Die Schlemmer müssen ihre Schlemmereien 'zurückgeben', falls nötig mit wirksamen Mitteln, hier: indem man den Sünder an den Füßen aufhängt". Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Conques

Der sehr schöne und ruhige Ort, die überaus freundliche Aufnahme in der Herberge, die gute Atmosphäre - ein herrlicher und würdiger Ruhetag.

Tag 29: Conques(F)-Figeac(F), 11h, 6°C

Nach einem umfangreichen Frühstück und der Morgenmesse verlasse ich die Herberge, etwas wehmütig. Ein regnerischer Tag bahnt sich an. Auf halbem Weg vom Dorf ins Tal bemerke ich, dass ich den Schlüssel zu meinem Zimmer noch einstecken habe. Unbenutzt, ich habe das Zimmer nicht abgeschlossen. Also wieder zurück, zur Belohnung gibt es noch eine saftige Birne.

Dann aber wirklich los. Der Fluss im Tal führt leichtes Hochwasser.

Vom Tal dann ein steiler Anstieg auf die Höhe.

Noailhac, in dreissig Jahren von 300 auf 190 Einwohner.

Es regnet, ist ungemütlich und stürmisch. Die Kirche kommt genau richtig, erst einmal verschnaufen. Nachdem ich die Tür laut knarrend geöffnet habe, schauen viele Augen auf mich. Drinnen ist Beerdigungs-Gottesdient (Seelenamt). Jetzt kann ich nicht gleich wieder gehen und setze mich hinten in die volle Kirche. Die warme Heizung kommt genau richtig. Der Pfarrer ist der Prior aus dem Kloster, mit dem ich einige festliche Mahlzeiten verbringen durfte. Er erkennt mich natürlich und lächelt mir zu. Etwas später, in den Lobesreden auf den Toten, werde ich sogar namentlich erwähnt als Beispiel, dass der Weg des Lebens eine Pilgerschaft sei.

Auf einigen meiner früheren Reisen hatte ich die Möglichkeit, an Hochzeiten und Beerdigungen teilzunehmen. Das sind oft recht emotionale Ereignisse, die regional sehr unterschiedlich begangen werden. In Frankreich ist der Ablauf ähnlich wie in Deutschland. Überhaupt finde ich, dass die Franzosen und Deutschen einander recht ähnlich sind. Es gibt sicher Unterschiede in Essenskultur und anderen Dingen. Was Mentalität, Sauberkeit, Distanz, Umgang mit Tieren und der Natur betrifft, finde ich viel Übereinstimmung. Ist darin auch mit ein Grund für die Hass-Liebe zu sehen, die so viel Leid in den häufigen Deutsch-Französischen Kriegen der letzten Jahrhunderte gebracht hat?

Auf der Höhe, der Himmel klart auf. Blick von der Kapelle St-Roche hinter Noailhac über das Land.

Schöne Fenster in der Kapelle St-Roche.

Decazeville lasse ich auf Anraten des Reiseführers buchstäblich links liegen und bleibe auf dem Höhenzug.

Agnac. Ich werde langsam müde. Kein Geschäft oder Bar bisher.

Dann geht es runter ins Tal des Lot, Livinhac-le-Haut Région Midi-Pyrénées, Département Aveyron. Hier gibt es endlich einen Café, aber keine Möglichkeit einzukaufen. Montags ist Ruhetag.

Das letzte Foto für heute, Blick auf das Dorf Cognac, das ich kurz darauf passiere. In Montredon soll für heute Schluss sein. Ich bin froh, als ich ankomme.

Die Freude wärt allerdings kurz. Die Unterkunft ist geschlossen.

Ich könnte mich irgenwo drunterlegen, es gibt aber kein Geschäft oder Restaurant, wo ich noch was essen könnte. Ich habe zwar noch einen Rest Brot dabei, etwas Käse und Fisch, aber ich möchte nach einem solchen Wocheneinstieg doch was ordentliches und warmes essen. Es ist kurz vor 17 Uhr. Pro Stunde laufe ich normalerweise je nach Wegzustand rund 4 km/h. Es können aber bei voller Ausnutzung meiner Beinlänge und entsprechender Eile an die 7 km/h werden, das halte ich dann 2-3 h aus.

Auf dem Strassenschild an der kleinen Landstrasse steht ein Wegweiser, nach Figeac seien es 15 km. Figeac ist relativ gross, dort komme ich sicher unter. Ich habe bereits über 25 km in den Beinen heute, bin allerdings gut aufgepäppelt vom Ruhetag gestern. Ausserdem zieht eine schwarze Regenfront auf, hier irgendwo zu schlafen wird auch nicht gemütlich.

Also Regenhose und -jacke an, damit ich nicht stoppen muss unterwegs. Und ab.

Bei dem Tempo werde ich wohl zweieinhalb Stunden brauchen. Der Schweiss läuft mir nach kurzer Zeit schon aus den Ärmeln, wenn ich die Arme nach unten hänge. Dann kommt der Regen.

Regen? Das ist eine Wasserwand. Waagrecht von vorne. Selten habe ich mich so durchnässt gefühlt. Im Sommer hätte ich wohl am besten in Badehose laufen können, dazu ist es jetzt etwas zu frisch. Aber ich würde dampfen wie eine kochende Kartoffel!

Ich laufe gegen die Dunkelheit und gegen die Wasserwand an. Nach einer Stunde schreie ich meinen Frust raus und brülle Petrus an.

Kurz danach ist es windstill, nur von den Blättern tropft noch Wasser. War ich das?!? Wenn man längere Zeit alleine in der Natur ist, ihr ausgeliefert ist, hat man einen anderen Zugang zu den Dingen.

In Dunkelheit auf einer gefährlichen Einfallsstrasse komme ich im Abendverkehr endlich nach Figeac. Meine Füsse glühen, meine Beine schmerzen. Ich kann die Vorwärts-Bewegung kaum stoppen, als ich endlich ankomme. Eigentlich möchte ich ins Accueil Chrétien au Carmel de Figeac, einem Kloster. Vielleicht komme ich so herrlich unter wie gestern in Conque. Als ich es endlich finde, komme ich jedoch nicht mal durch die Gesichtskontrolle ins Innere des Gebäudes, die Tür schlägt vor mir zu. Mithilfe einiger Passanten finde ich nach einer weiteren Weile eine Pension für Fernfahrer und Fernarbeiter, Gite de la Voie Romaine. Kein Gite, wie ich sie bisher kenne. Hier wohnen Leute von überall her, die die Woche über in der Region arbeiten.

Ich habe mächtigen Hunger, kriege auch eine grosse Portion. Der Kreislauf rotiert allerdings noch dermassen, dass ich fast nichts essen kann.

Später sitze ich noch etwas mit zwei Arbeitern aus Rumänien, einem Mädchen und einem Jungen. Wir sitzen lange und lachen. Sie haben hier grosse Langeweile, monatelang deponiert in einem Projekt.

Die Nacht ist unruhig, die Beine glühen.

Tag 30: Figeac(F)-Cajarc(F), 7h, 13°C

Der Schlaf war etwas dünn, der Kreislauf war die halbe Nacht sehr aktiv. Dafür ein wunderschöner Morgen mit Sonnenschein. Nach einem guten Frühstück sehe ich mir Figeac kurz an. Die Stadt ist lebendig und nett.

Dann geht es wieder auf die Höhe. Aiguille du Cingle ist einer der vier Obelisken aus dem 13.ten Jahrhundert, der die Grenzen eines von 755 von Peppin gegründetes Benediktinerklosters markiert. Innerhalb dieser Grenzen wurde Asyl gewährt.

Das Gebiet zwischen Figeac und meinem geplanten Sonntagsziel Moissac ist das Quercy, ein Jurakalkgebiet. Auf der kargen Fläche weiden vor allem Schafe auf Feldern und Weiden, die von kleinen Steinmauern begrenzt werden. Rinder, wie hier im Bild, sind eher die Ausnahme.

Die steinernen Hütten der Schäfer heissen Cazelles, sie sind in der Gegend häufig zu sehen.

La Cassagnole ist ein kleiner Ort. Nach einer kurzen Verschnaufpause in der Kirche erschrecke ich, als ich die zwei Puppen auf der Empore sehe. Sie sind in Lebensgrösse und sehen aus wie echte Mönche.

Die typische Form der Scheunen. Dieses Exemplar ist recht klein in den Ausmassen.

Gréalou, auf 375 Hm.

Das Quercy ist eine sehr ruhige Gegend mit weiten Ausblicken.

Ein altes Steinkreuz, mit vielen abgelegten Steinen der Pilger.

Gleich daneben ein Dolmen, ein vor-keltisches Objekt aus der Megalith-Kultur, wahrscheinlich ein Grab.

"Der Bau mit Megalithen erfolgte in Europa kulturunabhängig etwa zwischen 4.500 (Bretagne) und etwa 800 v. Chr., als die letzten auf Sardinien verbaut wurden. Um die Megalithbauten ranken sich heute noch einige Geheimnisse. So weiß man weder genau, welchem Zweck sie dienten, noch wie sie aufgerichtet oder transportiert wurden. Mit der Christianisierung entstanden Legenden über das Entstehen von Megalithen durch des Teufels Hand. Einige Steine tragen den Teufel im Namen (Devils Arrows, Devils Circles etc.) und viele wurden im frühen Mittelalter, besonders aber seit der Industrialisierung zerstört. Megalithen fielen Flurbereinigungen, landschaftlichen Projekten oder dem Kirchen- und Hafenbau zum Opfer. In Norddeutschland wurden sie zum Deichbau und, - zerkleinert - als Strassenpflaster verwendet. Es wird angenommen, dass in manchen Gebieten nur noch etwa fünf Prozent der Objekte erhalten sind. Im 18. und 19. Jh. interessierte man sich wieder für die Megalithanlagen. Aus dieser Zeit stammt die Vermutung, die Bauwerke seien auf die Druiden der Kelten zurückzuführen. Heute weiß man, dass die Steinsetzungen jungsteinzeitlich und damit deutlich älter sind." Quelle: Wikipedia

Eichenwälder dominieren die Bewaldung.

Bei der Ankunft in Cajarc ist es noch hell. Ich hatte heute morgen in der Touristeninformation bereits ein Zimmer reservieren lassen. Es kann auch stressfrei gehen.

Tag 31: Cajarc(F)-Vaylats(F), 9h, 5°C

Heute Nacht habe ich gut und lange geschlafen, ich war auf Vermittlung der Touristenauskunft in einem privaten Gite untergekommen. Die Familie baut übrigens gerade einen neues Haus, das ausschlisslich als Gite verwendet werden wird, es wird in Zukunft hier also mehr Platz geben.

Ein diesiger und kalter Tag scheint bevorzustehen.

Anfangs geht es über die Landstrasse, da der Fluss hier sehr breit ist und das Tal fast ausfüllt.

Doch dann geht es wieder in die Eichenwälder, eine herrliche Ruhe. Nichts zu hören, auch keine Flugzeuge oder Motorengeräusche in der Ferne.

Abgelegene Gehöfte am Weg, teils verfallen, teils aktiv wie dieser hier.

Die Dicke dieser Mauern überrascht mich. Waren sie früher viel höher gebaut? Oder mussten sie stabil genug sein, die vorbeiziehenden Karren und Wagen abzuhalten?

Mas de Palat, einer der Weiler am Weg. Im Hintergrund ist im Wald ein Wasserturm zu erkennen, den habe ich vorgestern schon von weitem gesehen.

Limogne-en-Quercy, Région Midi-Pyrénées, Département Lot. Etwas über 700 Einwohner bei einer Bevölkerungsdichte von 22 Einwohner pro km². Limogne-en-Quercy ist eine richtiges Städtchen, mit Gaststätten und Geschäften.

Ein Waschplatz, wesentlich grösser als die Waschhäuschen, die ich bisher gesehen habe. Es würde mich interessieren, ob diese Waschplätze noch benutzt werden. Ich kann es mir nicht recht vorstellen, der Platz ist wohl eher historisch.

Dolmen du Joncas, ein schönes vorkeltisches Grab am Chemin.

Varaire, ein kleiner Ort, aber immerhin gibt es einen Einkaufsladen.

In Varaire ist eine der Kirchen, die einem Flohmarkt gleicht. Interieur verschiedenster Stile ist zusammengestellt.

Ein grosses, eingefasstes Waschhaus in Varaire. Möglicherweise wird es auch als Schwimmbad oder Wasserbecken für die Feuerwehr verwendet. Im Sommer ist es sicherlich einladend.

Ich laufe noch etwas weiter, heute möchte ich wieder in einem Kloster übernachten. Monastère des Filles de Jésus ist mein Tagesziel, es liegt am GR65B, einer Alternative zum GR65. Das letzte Stück zieht sich dann noch, es geht heute kilometerweit über einen alten Römerweg.

Im Kloster in Vaylats angekommen erhalte ich ein Bett in einem Aussengebäude, ein paar Meter abgesondert vom eigentlichen Kloster. Ich habe noch ein paar Minuten vor dem Abendessen und dusche. Herrlich, was eine heisse Dusche nach einem langen Tag doch ausmachen kann. Zu meiner Überraschung esse ich dann nicht mit Mönchen oder Schwestern, sondern sitze in einem Raum mit 7 Senioren am Tisch. Der Altersduchschnitt dürfte 80+ sein. Französisch ist die einzige Sprache hier, aber es gibt viel zu lachen.

Mir werden von den älteren Damen Riesenmengen Essen zugeschanzt. Heute gibt es Suppe, danach eine Wurstplatte mit Butter und Brot, dann Kartoffeln mit Karotten- und Endiviengemüse mit Fleisch, anschliessend die obligatorische Käseplatte. Da dies etwas dürfig wäre, gibt es noch einen Zwetschgen-Kuchen. Zum Abschluss eine Schale mit Obst. Beim Wein kann ich mit den Herrschaften kaum mithalten. Nach viel Gezwinker und Gekichere zieht man sich zurück.

Wunderbar, es ist noch früh am Abend, ich werde lange schlafen können.

Tag 32: Vaylats(F)-Lascabanes(F), 9h, 5°C

Heute ist ein grauer Tag, immerhin zum ersten Mal seit Aumont Aubrac ohne Niederschlag. Ganz im Gegensatz zum Grau des Himmels gibt es schön gefärbtes Gestein am Boden zu bewundern.

Das Laufen geht mühsam, auch gestern war es recht anstrengend. So eine lange Killeretappe wie die von Conques nach Figeac am Montag hängt doch in den Knochen. Ich bin mir nicht sicher, ob es dabei die Distanz ist, oder das hohe Tempo, das ich dann laufe wegen der Dunkelheit. Ich vermute, dass es am Tempo liegt, das zehrt viel Kraft.

Flaujac Poujols, ein kleiner Ort den ich streife. Ich entscheide mich gegen Mittag, Cahors mit der berühmten Brücke auszulassen. Das wäre ein Schlenker von sicher 12 km. Die Etappe wird auch so lange genug mit 36 km, ich möchte unbedingt am Samstag in Moissac sein. Muss ein Fax schicken, wie ich in einem der täglichen Telefonate in die Heimat gehört habe.

Zur Abkürzung des Wegs verlasse ich den Pfad und quere ein tiefes Tal Richtung L'Hospitalet. Hier bin ich wieder dankbar um die Karte. Inzwischen bin ich übrigens beim Blatt #57 "Cahors-Montauban". Ich bin wohl nicht der einzige, der diesen Weg einschlägt, in L'Hospitalet gibt es eine Variante des GR65.

In L'Hospitalet gibt es ansonten nichts, kein geöffnetes Café, keine funktionierende Telefonzelle, um den Gite für heute abzuklären. Ein Café Grande hätte jetzt Wunder bewirkt.

Dafür kommt jetzt ein kilometerlanges, zähes Stück über einen Hügelrücken. Ein Motocross Fahrer hat mit seinem Motorrad eine tiefe Spur in den Weg gefräst. Er hat wahrscheinlich nur wenige Minuten gebraucht für diesen verschlammten und aufgeweichten Weg, ich muss nun seitlich an der Böschung laufen, um nicht im Morast stecken zu bleiben.

Lascabanes, 167 Einwohner. Hier soll ein geöffneter Gite sein? Menschenleere Strassen.

Der Gite ist tatsächlich geöffnet!! Und was für ein schöner! Nochmals 10 km anzuhängen in der Dämmerung wäre mir sehr schwer gefallen. Ich bin müde und erschöpft. Koche mir was, trinke eine Kanne Tee. Heisse Dusche, schlafen.

Ich trinke momentan tagsüber zuwenig , wahrscheinlich bereitet das dem Körper auch Mühe. Aber die meisten Brunnen und Wasserhähne sind abgestellt, Geschäfte sind selten.

Nachts wache ich erstmals auf ohne zu wissen, wo ich bin. Ich frage mich kurz, was ich denn eigentlich mache. Schnell finde ich mich jedoch zurecht und schlafe glücklich wieder ein.

Tag 33: Lascabanes(F)-Moissac(F), 11h, 5°C

Ich habe heute Nacht gut geschlafen. Meine Füsse schmerzen etwas, aber die Aussicht auf gleich zwei freie Tage treibt mich heute voran. Wie gesagt muss ich morgen in Moissac sein. Morgen ist Samstag, den Sonntag werde ich dann auch in Moissac bleiben, dort sollte einiges zu sehen sein.

Was Wetter ist heute Morgen vielversprechend, die Sonne sollte es duch die Wolkendecke schaffen.

Auch hier gibt es noch die Schäferhütten, aus unbehauenen Steinen aufgesetzt.

Die Felder sind voller Steine, der Boden ist nicht sehr fruchtbar, daher ist wohl die Viehzucht gewinnbringender gewesen als Ackerbau.

Der Boden in der Quercy Blanc ist ein heller, stellenweise weisslicher Kalkboden. Wasser kann sich auf diesen Böden schlecht halten und versickert schnell.

Auf der Höhe bläst ein schneidender Wind. Die Sonne scheint heute, kommt aber nicht gegen den kalten Wind an.

Montcuq in der Région Midi-Pyrénées, Département Lot. 1250 Einwohner. Der Ortsname leitet sich vom lateinischen Montem Cuci ab, das bedeutet "Kuckuksberg".

Montcuq ist bekannt für die Herstellung von Meringues und Waffeln, den Gaufres de Saint Daumes Waffeln.

Montcuq ist ein gemütlicher Ort, der bei den Engländern momentan wohl sehr beliebt ist als Alters- und Zweitwohnsitz. Es gibt sogar ein englischsprachiges Buchgeschäft.

Ich habe nicht nachgesehen, ob unter dem gewachsenen Kreuz ein echtes Kreuz steht. Auf jeden Fall ist es originell.

Die Ab- und Anstiege auf die Hochflächen sind steiler als sie von hier aussehen.

Ein Wegweiser, noch 1144 km nach St. Jacques de Compostelle. Der Motocross-Fahrer, dessen Spuren ich gestern gefolgt bin, ist hier auch gefahren, deutlich ist seine Spur zu sehen.

Im Hintergrund, etwas erhöht über der Gegend, ist im Dunst eine befestigte Stadt zu sehen. Das muss Lauzerte sein, ein historischer Ort.

Eine der ersten Blüten auf einer Wiese an einer windgeschützten Stelle.

Kurz vor Lauzerte, wunderbar auf einem Hügel gelegen. Lauzerte ist ein gut erhaltenes und schön renoviertes, historisches Städtchen.

Die Kirche Saint-Barthélemy. Wie immer ist auch hier die Kirche mein erster Anlaufpunkt. Hier kann ich erstmal verschnaufen und freue mich über die oft wunderbaren architektonischen Kleinode in der ländlichen Gegend.

Es ist Nachmittag. Wenn ich hier übernachte, könnte ich morgen früh die 25 km nach Moissac laufen. An der Touristeninformation hängt ein Schild, dass sie in 30 min wieder geöffnet werden würde, aber niemand kommt. Ich ziehe das sichere vor und mache mich auf den Weg nach Moissac. Ich werde an der Strasse laufen, die führt einigermassen direkt, der GR65 macht einen grossen Bogen.

Blick zurück auf Lauzerte. Von dieser Seite aus ist der Ort leider etwas verbaut. Ich laufe recht schnell, um nicht zu viel in der Dunkelheit gehen zu müssen.

Durfort Lacapelette, hier gibt es ein kleines Geschäft, eine Flasche Cola baut den Blutzucker wieder etwas auf. Noch 13 km, dann habe ich mein Wochenziel erreicht. Diese Strecke wird jedoch noch mühsam werden, da es längs der Strasse geht und bald anfangen wird zu dämmern.

Dann endlich Moissac, nach einem langen 11h Tag. Die Beine sind sehr schwer und die Füsse fühlen sich an, als ob sie explodieren würden. Die letzten Kilometer musste ich halb an der Strasse, halb im Strassengraben laufen.

Die Autofahrer konnten mich erst im letzten Moment sehen. Einige sind sicher vom Freitagsumtrunk von der Arbeit gekommen, ich habe versucht entsprechend vorsichtig zu sein.

Im Gegenlicht habe ich jedoch fast nichts gesehen und stolperte entsprechend viel.

In Moissac gibt es einen Karmel Gite auf einer Anhöhe oberhalb der Kirche. Von aussen ist kein Licht zu sehen, ich gehe trotzdem hoch. Nach einigem Klingeln wird die schwere Tür geöffnet. Ja, ich könne unterkommen. Phantastisch! Ich bin froh und glücklich, gut angekommen zu sein

und eine Unterkunft gefunden zu haben. Ich bin zu kaputt um noch zu kochen. Ich habe ein eigenes kleines Zimmer mit 2 Etagenbetten für mich. Ich dusche, esse eine Packung Erdnüsse und lese noch ein bisschen.

Tag 34-35: Moissac(F)

Ein herrlicher Tag heute. Kalt, aber strahlend blauer Himmel. Nach dem Frühstück gehe ich in die Stadt hinunter und suche ein Internetcafe. Es gibt keines, was mich bei einer Stadt von knapp dreizehntausend Einwohnern etwas wundert. Immerhin gibt es ein Zentrum für Jugendliche, das noch ein paar Stunden offen hat und einige Computer mit Internetanschluss bietet.

Zurück im Stadtzentrum setze ich mich später in ein Cafe und geniesse den wunderbaren Tag Auf dem zentralen Platz ist Markt, der allerdings recht früh abgebaut wird.

Dann sehe ich mir in Ruhe das absolute Highlight der Stadt an. St-Pierre, eine ehemalige Benediktinerabtei.

Das Portal des ehemaligen Klosters gilt als das großartigste Portal in Südwest-Frankreich und zusammen mit dem Kreuzgang ist es eines der Hauptwerke der europäischen Skulptur der Romanik überhaupt.

Dieses Portal ist das einzige, was von der ehemaligen Abteikirche erhalten geblieben ist. Die übrige Kirche wurde vor allem während der Albigenserkriege von 1207 bis 1214 schwer beschädigt. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde auf den romanischen Resten eine gotische Kirche errichtet.

Blick nach Osten in der Kirche. Am Abend gegen 6 Uhr ist vorn in der Kirche eine Vesper von Nonnen. Es war ein junge Nonnen dabei mit einer fantastisch klaren Stimme als Vorsängerin. Sie konnte das grosse Kirchenschiff problemlos mit einem grossartigen Klang füllen.

Blick nach Westen zum Eingang und dem Turm.

"Das Tympanon wird auf 1120/30 datiert und ist damit eines der ältesten überhaupt. Aber es geht nicht nur um das Tympanon, sondern auch um die Standbilder in den Seitengewänden und vor allem um den Trumeaupfeiler in der Mitte des Eingangs. Das ganze Portal wurde zwischen 1110 und 1131 geschaffen, also in der berühmten Phase des Wiedererstehens der plastischen Bildkunst nach den langen Jahren der ideologischen Verdammung der Plastik überhaupt in der Zeit des frühen Christentums und des beginnenden Mittelalters. Besonders in Frankreich ist zu Beginn des 12. Jahrhunderts eine ganz neue Bewegung durch die Bildhauerei gegangen." (Quelle Wikipedia)

Bei der obigen Quelle in Wikipedia ist eine umfassende und detailierte Beschreibung dieser Szene zu finden.

"Verkündigung und Heimsuchung

Hauptthema der gesamten Anlage ist die Parusie, die zweite irdische Erscheinung Christi als Richter des Jüngsten Gerichts. Die untere Partie des rechten Gewändes: links und rechts jeweils die Zweiergruppen der Verkündigung und der Heimsuchung, also zwei Szenen vor der Geburt Christi. Das sind typische Themen an den Portalen, die später in der Gotik ebenfalls verwendet werden. Hier haben wir die gleichen erregt überlängten Figuren wie im Tympanon. Deutlich ist zu erkennen, dass -wie immer bei großen Portalanlagen- nicht nur ein Künstler verantwortlich ist, sondern mehrere. Die rechte Gruppe der "Heimsuchung" ist deutlich bewegter und elegant-fließender gestaltet als die eher statische Gruppe links. Auch die Gewandfaltung ist deutlich unterschieden.

Anbetung

Die beiden kleineren Szenen, die sich im selben Bogenfeld darüber befinden, beziehen sich deutlich aufeinander, gehören eigentlich zusammen, werden aber durch die Säule getrennt. Beide bilden die altbekannte "Anbetung": links die drei Weisen aus dem Morgenland, rechts Maria mit dem Kind. Diese Szene wird auch als die erste Parusie Christi bezeichnet, sein erstes Erscheinen auf Erden als menschliches Wesen im Gegensatz zur zweiten Parusie nach seinem Tod als Richter des Jüngsten Gerichts.

Flucht nach Ägypten und Darstellung im Tempel

Der schmale Steifen über dem doppelten Bogenfeld zeigt drei verschiedene Szenen. Ganz links ist die Stadt Sotine und der Sturz der Idole dargestellt, eine mittlerweile kaum mehr bekannte Geschichte, dann die Flucht nach Ägypten im Zentrum und rechts die Darstellung im Tempel in einem unglaublich gut erhaltenen Zustand, vor allem, wenn man diese Szene mit dem heutigen Aussehen der Großplastiken darunter vergleicht. Sämtliche Gewandfalten, alle Bewegungsgesten und Gesichter dieser Gruppe sind seit 1120 unbeschädigt geblieben. Man könnte den dunklen Verdacht hegen, dass diese Tafel nicht immer hier angebracht war, sonst wäre wohl kaum ausgerechnet der Teil am besten erhalten, der dem Regen am stärksten ausgesetzt ist."

Auch für das linke Gewänd führt die Quelle eine umfangreiche Beschreibung an.

"Geiz/Habsucht

Die Zweiergruppen auf der anderen Gewändeseite lassen schon eher erkennen, dass sie vor nunmehr knapp 900 Jahren angefertigt wurden. Ihr vergleichsweise schlechter Erhaltungszustand hat nichts damit zu tun, dass hier die Sünden und Laster dargestellt sind. Hier sieht man eine von einem kleinen Teufel wortwörtlich besessene Figur, die den Geiz oder die Habsucht, die avaritia darstellt.

Völlerei

Die berühmte rechte Zweiergruppe stellt eine andere der sieben Todsünden dar, die Völlerei, die Luxuria. Von den beiden Figuren weist die teufelsähnliche Gestalt links einen prallgefüllten Bauch auf, darüber aber die bloßen Rippen, die an ein Skelett erinnern und darauf hinweisen sollen, dass auch der im Luxus Lebende dem Tode geweiht ist. Bei der weiblichen Gestalt rechts hat der Bildhauer zu einem ähnlich drastischen Motiv gegriffen. Hier gehen die Brüste nach unten in Schlangen über, die sich gegen den eigenen Körper wenden. Eine Kröte greift ihr Geschlechtsteil an. Hier wird also nicht nur gegen die Völlerei, sondern auch gegen die Sexuallust gewettert.

Stolz, Habsucht, Unkeuschheit und die gesellschaftlichen Veränderungen des beginnenden 12. Jahrhunderts

Diese unmittelbare Verbindung von Habsucht und Unkeuschheit auf dieser Gewändeseite, die in vielen romanischen Bildprogrammen Südfrankreichs verbreitet ist, ist auch ein Ausdruck zeitgenössischer gesellschaftlicher Veränderungen. Das was jetzt als Quelle allen Übels die Habsucht ist, war vorher einmal das Laster des Stolzes. Stolz war aber nicht mehr zeitgemäß, wohl aber die Habsucht. Was hat sich hier historisch verändert?

Etwas kurz gefasst ist Stolz eine Haltung sich selbst gegenüber, Habsucht aber eine Handlung, die auf andere übergreift. Hier wird eine neu entstandene und wachsende Schicht der Gesellschaft angegriffen, die gerade durch die Ansammlung materieller Mittel - durch Geldverleih, Warenproduktion und Handel - als städtische Bürgerklasse sich zu etablieren im Begriff steht. ...

Die großen damals neuen gotischen Kathedralen, die immens teuer waren, waren überhaupt nur deswegen finanzierbar, weil der traditionelle Warenverkehr und das feudal-persönliche Verhältnis auf dem Land durch den neuen Geldhandel in der Stadt allmählich ersetzt wurde. Und diejenigen Gesellschaftsschichten, die den Geldhandel kontrollierten, wurden jetzt zu Beginn des 12. Jahrhunderts reich und sie werden hier in Gestalt der Habsucht an der Seite des Luxus symptomatisch verdammt – sicher von Leuten, die wesentlich weniger Geld hatten. (Toman, Rolf (Hrsg.): Die Kunst der Romanik. Architektur - Skulptur - Malerei. Köln 1996, S. 344)

Aber nicht nur das: hier äußert sich das Unbehagen an einer großen gesellschaftlichen Veränderung. Durch den neuen Geldverkehr wurde der Einzelne von seiner Verpflichtung aus feudaler Abhängigkeit zunehmend befreit, da er immer häufiger bezahlen konnte, was er zuvor durch persönlichen Dienst zu erbringen hatte. Und die Unkeuschheit – diese Figur rechts - wurde in diesem Zusammenhang verstanden als die sinnliche Seite dieses ökonomischen Gewinnstrebens, als eine unerhörte neue Freiheit des Individuums, die die Menschen dem Einflussbereich der Kirche tendenziell entzieht, die zugleich auch die religiösen und moralischen Grundlagen des frühmittelalterlichen Feudalismus in Frage stellt.

So gesehen gehört dieses Reliefprogramm in Moissac weniger einer allgemeinen religiösen Anklage gegen die dort dargestellten Laster an, vielmehr entäußert sich in ihm ein klerikal gesteuerter Widerstand gegenüber einer immer stärker werdenden historischen Veränderung der mittelalterlichen Gesellschaft. Man kann solche Reliefs also auch in anderen als rein künstlerischen-formalen Zusammenhängen sehen.

Die Hölle und der Tod des Geizigen

Die oberen kleinen Szenen - noch innerhalb des Rundbogens - sind links die leider schwer beschädigte Darstellung der Hölle und rechts daneben - besser erhalten - der Tod des Geizigen. Der Leichnam des Geizigen liegt in einem plastisch sorgfältig dargestellten Bett, während zu seinen Füßen ein Teufel mit seinem Sack voll Geld abzieht als Hinweis darauf, dass man Geld nicht über den Tod hinaus behalten kann – wenn man bedenkt, was gerade gesagt wurde über die Entstehung der neuen Besitzschichten. Hier argumentiert die Kirche also sinngemäß, dass ihr Einflussbereich über den Tod hinausgeht, der des Geldes aber nicht. Vor dem Bett kniet wahrscheinlich die Gattin, die dünn und ausgemergelt aussieht, weil der Geizige sie zu Lebzeiten nicht ausreichend ernährt hat, - sondern sein Geld wahrscheinlich mit anderen Weibern durchgebracht hat, siehe die Luxuria unten. Aber all sein Kapital hat ihn nicht davor bewahren können, nach dem Tod in die Hölle fahren zu müssen. Seine Seele, die gerade sinnbildlich aus seinem Mund heraus will, wird sofort von einem Teufel ergriffen, bevor der schwebende Engel rettend eingreifen kann.

Geschichte des Lazarus

Die Relieftafel darüber führt in etwa das Thema des Geizes weiter, indem die Geschichte des Lazarus erzählt wird. Ganz rechts ist die Szene des Gastmahls des Reichen in Gegensatz gesetzt zum Tod des Lazarus in der Mitte. Die Szene ganz links zeigt Lazarus in Abrahams Schoß, wie es der Gleichniserzählung von Jesus entspricht aus dem 16. Kapitel des Lukas-Evangeliums, auf das sich diese Darstellung bezieht."

"Damit ist das plastische Programm dieser Portalanlage aber noch nicht erschöpft. Der Pfeiler in der Mitte, der sogenannte Trumeaupfeiler, der das große Tympanon stützt, ist vielschichtig mit ausdrucksgesteigerten Gestalten regelrecht umzogen. ...

Auf der anderen Seite des Portals steht der Prophet Jeremias. In ihm kann man unschwer das lang gestreckte Vorbild für den berühmten Jesaias von Souillac erkennen. Obwohl diese ganzen Gestalten verhältnismäßig flach sind und der Kontur des Trumeaupfeilers angepasst, offenbaren diese Propheten doch in ihrer lebhaften Bewegung das Gefühl innerer Erregung wie beim darüber liegenden Tympanon. Mit äußerster Sorgfalt hat der Bildhauer nicht nur ein absolut neues Motiv in die Geschichte der Plastik eingebracht, sondern auch gleich einen Höhepunkt in der künstlerischen Technik erreicht."

Bei Nacht ist das Portal wunderbar ausgeleuchtet und auch dann sehr eindrucksvoll.

"Der Kreuzgang von Moissac ist neben der Portalanlage die zweite künstlerische Attraktion. Er hat gewaltige Ausmaße und erinnert allein schon mit seiner Größe an die ehemalige Bedeutung dieser Abtei. Mit seinen zehn Marmorreliefs an den Eckpfeilern und seinen ehemals 88 Kapitellen ist er nicht nur einer der umfassendsten, ältesten und schönsten in Frankreich, sondern zugleich der größte und am reichsten ausgestattete Kreuzgang der gesamten Romanik.

Er wurde zwischen 1059-1131 errichtet, ist also wesentlich älter als das Portal. Insgesamt kann man hier 76 erhaltene Kapitelle und zehn Großreliefs besichtigen. Eine in sich geschlossene Thematik ist dabei nicht ablesbar - die dargestellten Themen sind im Gegenteil sehr vielschichtig. Außerdem wurde beim Wiederaufbau des Kreuzgangs im 13. Jahrhundert nach der Zerstörung 1212 die ursprüngliche Anordnung nicht beibehalten.

Die Kapitelle der Säulen enthalten ganze Enzykolpädien von Szenen und Figuren des Alten und des Neuen Testanebts sowie den Taten und Leiden der Heiligen - und sie waren, soviel wir wissen, zumindest teilweise farbig." (Quelle ebenfalls Wikipedia)

Eine ausgezeichnete Beschreibung des kompletten Kreuzgangs in englischer Sprache mit Fotos, Lageplan und Erklärung der einzelnen Arkaden ist hier zu finden.

In der Neuzeit musste der Kreuzgang beinahe dem Eisenbahnbau weichen. Unvorstellbar, wie man überhaupt auf diese Idee kommen konnte.

Im Inneren der Kirche sind einige schöne, teilweise fast 1000 Jahre alte Plastiken versammelt.

Der Gite auf einer Anhöhe über der Stadt. Ruhig um diese Jahreszeit, im Sommer ist hier sicher mehr Betrieb.

Im Essensraum des Gite. Am Wochenende hat ein Seminar stattgefunden in den Räumlichkeiten, von den Teilnehmern wurde ich zum Essen eingeladen. Ich bin immer wieder beeindruckt von den kulinarischen Qualitäten und der Art, mit der die Franzosen das Essen zum einem Fest machen.

Blick über die Stadt, im Hintergrund ist die Tarn zu sehen, die in der Nähe in die Garonne mündet.

Blick etwas weiter nach links, die historische Altstadt mit der Abteikirche im Vordergrund.

Das Äquadukt von 1853 verbindet den Canal du Midi mit einem Seitenkanal der Garonne. Unter der Brücke fliesst die Tarn durch.

Ansonsten ist Moissac nicht die spannendste Stadt und kann den Vergleich mit beispielsweise Le-Puy oder Conques nicht standhalten, die beide auf ihre Art sehr interessant und eindrücklich sind. Ich kann mich jedoch im freundlichen Gite gut von der harten Woche erholen und neue Kräfte sammeln.

Tag 36: Moissac(F)-Auvillar(F), 5h, 8°C

Le-Puy, Conques und Moissac hatte ich mir als Ziele für den jeweils kommenden freien Sonntag eingeplant, und die Etappen unter der Woche dann ungefähr entsprechend eingeteilt. Wobei ich zuhause überhaupt keine Detail-Planung vorgenommen habe, das hat sich unterwegs so ergeben. Für diese Woche kann ich im Pilgerführer allerdings kein rechtes Ziel für den nächsten Sonntag ausmachen. Ich nehme mir vor, die Woche ruhig anzugehen und plane rund 200 km als Wochenstrecke. Das wäre dann etwas mehr als 30 km pro Tag bei 6 Tagen laufen.

Ein sonniger aber kühler Tag bahnt sich an. Die Strecke wird weitgehend eben sein, entlang der Tarn und dann der Garonne.

Die Frühlingsanzeichen verdichten sich. Ohne den kalten Wind entlang des Flusses wäre es wohl ein milder Tag. Ich kann mich heute sogar erstmals im Windschatten eines Baumens eine Weile ins Gras legen und in den Himmel schauen!

Espalais in der Région Midi-Pyrénées, Département Tarn-et-Garonne. 290 Einwohner, zwei davon nutzen die gute Witterung aus und machen einen Spaziergang. Was werden die wohl über mich denken, wenn ich sie gleich überhole?

Der etwas verschlafene Eindruck dieser Gegend kommt nicht nur durch das antike Auto am Strassenrand. Ich möchte nicht behaupten, dass Moissac mit seinen 13-tausend Einwohnern hektisch wäre, aber im Vergleich zu den Dörfern ist es dort natürlich lebhaft.

Ich komme nach Auvillar oberhalb der Garonne, bin etwas über 20 km gelaufen. Es gibt einen Gite hier, der wohl auch geöffnet hat. Der nächste Gite ist rund 15 km entfernt. Heute möchte ich kein Risiko nehmen, nicht wieder ein harter Wochenanfang, der mich dann die ganze Woche hindurch verfolgt. Also soll es gut sein für heute.

Nur 5h gelaufen, ein seltsames Gefühl, mittags schon fertig zu sein. In der Touristeninformation gibt es den Schlüssel zum Gite. Ein ganzes Haus! Ich lege den Rucksack ab und erkunde den Ort.

Wie immer zuerst zur Kirche. Sie war der Mittelpunkt der Dörfer, ist es heute auch noch oft.

Blick über die Garonne, durch das Tal bin ich heute von der rechten Seite gekommen.

Es gibt viele alte Häuser, in den Hinterhöfen verfallen manche davon.

Ein gusseisernes Kreuz mit den vier Evangelisten, wie ich inzwischen gelernt habe. Die Symboldarstellungen verwendet man in der Ikonographie:

* den Engel für Matthäus,

* den Löwen für Markus,

* den Stier für Lukas und

* den Adler für Johannes

Die Symbolik sehe ich oft in den Kirchen, meist sind sie an den Predigtkanzeln angebracht. Unterwegs wie hier sehe ich sie selten.

Ich kann nicht einschätzen, ob sie Säulen vielleicht gar römischen Ursprungs sind. Auf jeden Fall ein recht schmales Haus, vielleicht einmal an die Stadtmauer oder ein Tor angebaut.

Etwas ausserhalb des Ortes finde ich dieses lädierte Gebäude, es ist eine alte Kapelle. Leider verschlossen. Womöglich würde einem die Decke auf den Kopf fallen.

Innerhalb des Ortes hingegen liebevoll restaurierte Häuser. Auvillar ist von der Vereinigung "Die schönsten Dörfer Frankreichs" ausgezeichnet. Les Plus Beaux Villages de France, das hört sich sogar für mich nicht-Französischsprachler schön an.

Der interessante Uhren-Turm, Tour de l'Horloge, begrenzte früher den Ort.

Leider muss ich feststellen, dass montags die Geschäfte geschlossen haben. Immerhin kann ich ein Brot und ein paar Büchsen Bier in einem Tabakladen kaufen. Ich gehe zurück in den Gite, um mir die Notration zu kochen. Dann schaue ich mir den Gite an. Sogar eine Waschmaschine mit Tumbler sind installiert. Ich kann es kaum fassen, als ich in den ersten Stock gehe: es gibt eine (saubere) Badewanne!! Erstmals seit 36 Tagen eine Wanne. Heisses Wasser.

Spüli gibt den besten Badeschaum auf der Welt. Davon bin ich überzeugt, als ich mich in den Schaum lege mit einer Büchse kaltem Bier. Ich weiche mich ein, die Haut wird krebsrot. Sie ist sowieso gut durchblutet von der ständigen Bewegung und der guten Luft, nun kann sie mit dem Hitzeschock kaum umgehen.

Ich geniesse. Ich kann mir jetzt nichts Schöneres auf dieser Welt vorstellen.

Tag 37: Auvillar(F)-Lectoure(F), 8h, -6°C

Ich konnte nicht gut schlafen und lag lange wach, habe gelesen. Ich gehe morgens erst einkaufen, den Proviant auffüllen. Wenn ich schon dabei bin, hole ich mir auch frisches Baquette und frühstücke im Gite. Danach den Schlüssel abgeben, dann geht es gut gerüstet los.

Das Wetter ist anfangs schön, aber es weht ein eisig kalter Wind. Ich muss meine Ohren gegen die Kälte schützen. Auf St. Antoine freue ich mich, ich habe im Führer das Bild des interessanten Kirchenportals gesehen.

Das mozarabische Portal der Kirche in St.Antoine. In der Kirche selbst ist wieder ein Stilmix wie auf einem Flohmarkt. Neben der Kirche gibt es ein kleines Café, das auch Lebensmittel verkauft. Der Espresso und die Wärme tun mir gut. Nach einer kurzen Pause geht es weiter.

Eine wunderschön geformte, ruhige Landschaft liegt vor mir, auf dem Hügel gegenüber liegt Flamarens.

Nach einem steileren Anstieg, als es vorher den Anschein hatte, bin ich in Flamarens, Région Midi-Pyrénées, Département Gers. 146 Einwohner. Das Schloss im Bild ist privat, der Besitzer fährt hier gerade durch das Tor und verschliesst es dann. Besichtigen ist nicht möglich für mich.

Die Kirche links im Bild bildet glücklicherweise eine Ausnahme unter den Kirchen am Chemin de Compostelle:

Sie ist verfallen.

Für das Bild halte ich die Kamera durch das verschlossene Eingangsitter. Aussen am Gitter hängt eine Kasse, in die man Spenden für die Restaurierung werfen kann. Es wird wohl eine ganze Weile dauern mit den Arbeiten, wenn sie auf diese Spenden angewiesen sein sollten.

Nach einem weiteren Marsch komme ich dann nach Miradoux. Es ist Mittagszeit, alles ist geschlossen. Der Name klingt in meine Ohren sehr schön, er passt nicht ganz zu dem, was ich sehe. Vielleicht kommt es auch daher, dass es hier bitterkalt ist. Der eisige Wind macht es recht ungemütlich. Die Kirche ist immerhin intakt.

Die Kirche Saint-Ornes ist aus dem 13.ten Jahhundert, sie wurde aus Materialien einer älteren Burg gebaut. Nur der Turm der Burg steht noch - er wurde in den Kirchturm intergriert.

In der alten Markthalle esse ich etwas Brot und Käse, trinke dazu einen Liter Milch, den ich im Café von St.Antoine gekauft habe. Milch ist mein absoluter Getränke-Favourit, wenn ich mich in der freien Luft bewege. Das war schon immer so, auch bei Fahrradtouren früher.

Dabei liegt die Milch ja erstmal einigermassen schwer im Magen, aber ich habe grossen Appetit danach. Jo mei, wenn's schee mocht, fällt mir da nur ein.

Mittags wird es auf einen Schlag bedeutend wärmer, fast mild. Vielleich ist es eine Art Föhn, ich bin ja nicht mehr weit vom Gebirge entfernt. Es sind ungefähr 120 km Luftlinie zu den Pyrinäen. Ich laufe leicht schräg süd-westlich an diesem langgestreckten Gebirgszug entlang, bis ich ihn bei St-Jean-Pied-de-Port schneide.

Gegen 15 Uhr bin ich in Castet-Arrouy, einem kleinen Ort. Der Gite ist geschlossen. Ich muss nach Lectoure gehen, dort gibt wohl es ein Kloster zum Übernachten, allerdings ist laut Führer nur von April bis Juli geöffnet. Es gibt auch einen regulären Gite, der allerdings umgebaut wurde. Ob der schon fertig ist? Im Führer steht keine Telefonnummer bei diesem Gite, sonst hätte ich angerufen.

Nach Lectoure sind es rund 10 km.

Ich muss also die Handbremse aufmachen und schnell laufen, um vor 16.30 Uhr bei der Touristeninformation anfragen zu können, die schliessen wohl um diese Zeit. Falls die nichts vermitteln können, müsste ich noch einige Kilomenter anhängen.

In Rekordtempo laufe ich nach Lectoure. Grosse, schnelle Schritte. Es geht weiterhin recht hügelig auf- und ab, nach kurzer Zeit bin ich schweissgebadet.

Mit Mühe erreiche ich einige Minuten vor 16.30 die Touristeninformation. Sie hat geöffnet! Hätte sie allerdings in einer halben Stunde auch noch, hier hat bis 17 Uhr geöffnet. Egal.

Die freundlichen Damen versuchen zu helfen. Nach einigen Telefonaten werde ich jedoch nervös, Schulterzucken zeigt mir zwischen ihren Gesprächen, dass alles geschlossen ist. Ich werde doch nicht noch weitergehn müssen? Das würde mir heute nicht gefallen. Ich bin aber immer noch so am schwitzen und hecheln, dass ich mir erstmal keine weiteren Gedanke mache.

Endlich kommt Bewegung in die Mienen. Ich kann doch ins Kloster, sie nehmen mich auf in der Not, super! Ich bedanke mich herzlich und schaue mir erstmal die mächtige Kirche an, sie ist gleich neben der Touristen-Info.

Die Sonne scheint nun prächtig, es ist nichts von der Kälte zu spüren, die vor einigen Stunden noch über der Gegend lag.

Die Kathedrale St-Gervais war früher Bischofssitz, wie mit den riesigen gekreuzten Bischofsstäben im Chor jedem deutlich gemacht wird. Sie wurde zwischen dem 14. ten und 17. ten Jahrhundert an die Stelle eines römischen Tempels gebaut.

Der grosse Turm überragt den gepflegten Ort, der auch ein Heilbad hat. Leider ist das schon geschlossen, ich hätte mich gerne in einen Sole-Whirpool gelegt.

Dann gehe ich zum Kloster. Accueil chrétien au presbytère. Ich hoffe auf ein schönes Erlebnis wie in Conque oder gute Gesänge wie in Moissac. Der Anfang ist gut, ich erhalte ein kleine Schlafzelle in einem ansonsten wie immer menschenleeren Schlafsaal. Im Sommer geht es hier bestimmt anders zu. Schnell Duschen, gleich ist Vesper in der Hauskapelle.

Doch welche Enttäuschung. Kein kultureller oder liturgischer Höhenflug. Ungefähr 40 hochbetagte Nonnen und zivil gekleidete Damen sind in einem Seitenschiff der Kirche innerhalb des Klosters versammelt. Eine der Damen begleitet die wahrhaft dünnen Gesänge auf einer kleinen Orgel, die klanglich einer der verheerenden Bontempi-Orgeln aus den 1970-ern in nichts nachsteht.

Ich möchte dem Kloster ausdrücklich für die freundliche Aufnahme danken (!) und nicht schlecht über die Gastfreundschaft sprechen, dieser Teil des Abends war jedoch -zum Glück- einmalig.

Ich habe sogar einen Aussenschlüssel für das Kloster erhalten, was auch einmalig ist. Nach der Vesper gehe ich ins Ortszentrum, heute möchte ich mir etwas gönnen und gehe Essen, erstmals seit Genf. Ich finde auch ein Restaurant und wundere mich dann beim Essen über mich selbst - es ist ein auf Meeresfrüchte spezialisiertes Restaurant. Wie in den letzten 30 Tagen auch esse ich ... Fisch. Das Essen ist gut, der Wein ebenfalls. Zufrieden gehe ich zurück in mein Quartier und schlafe selig ein.

Tag 38: Lectoure(F)-Condom(F), 9h

Ich werde heute früh wach und frühstücke Brot mit Butter und Honig, mein Camino Lieblingsfrühstück. Nach dem Verlassen des Klosters werfe ich den Schlüssel in den Briefkasten. Eine Bar hat bereits geöffnet, es gibt also sogar einen Kaffee. Das muss förmlich ein guter Tag werden, nach diesem perfekten Start.

Von Lectoure geht es runter ins Tal. Beim Zurückblicken sehe ich durch den Nebel die Sonne hinter dem Kirchturm der Kathedrale aufgehen.

Nebelschwaden ziehen durch das Tal.

Durch den Nebel ist es recht kühl, aber einiges milder als bei dem sehr kalten Wind gestern Morgen.

Die ersten Kilometer geht es durch wunderbar abgelegene und stille Natur. Nach einer Weile löst sich der Nebel auf und die Sonne kommt durch.

Bei Marsolan wird ein See gestaut für die landwirtschaftliche Bewässerung, im Sommer ist es wohl eine trockene Gegend.

Ich laufe einen fünf Kilometer langen Umweg über La Romieu, dort soll eine Stiftskirche mit einem schönen Kreuzgang sein. Anfangs nehme ich nicht wahr, einen Umweg zu gehen, es hätte dann aber auch einen kürzeren Weg gegeben, wie ich im Führer sehe.

Der Pilgerweg zum Wallfahrtsort Rocomadour kreuzt in der Nähe den GR65.

Als ich aus einem Waldstück komme, traue ich meinen Augen nicht.

Ein kleiner Ort, 500 Einwohner. Mittendrin, massiv und gross, ragt eine Kirche auf. St.Pierre, aus dem 14.ten Jahrhundert. Wie konnte sich ein so kleiner Ort eine so grosse Kirche leisten? Ich bin fasziniert. In meiner Phantasie sehe ich die Pilger vor mir, die zur Mithilfe auf der Baustelle gebeten werden und einige Wochen oder Monate arbeiten gegen Kost und Logis.

Der Name des schönen Ortes kommt von dem gascognischen Arromieu, das Pilger bedeutet. Die mächtige Stiftskirche aus dem 14. Jahrhundert, die mit ihrem Turm eher an eine Burg erinnert, verdankt La Romieu dem hier geborenen Kardinal Arnaud. Der Kirchenfürst sorgte für das Wohlergehen des Ortes, wie die verbliebene Festungsmauer, Reste des Kardinalspalastes und der Turm bezeugen. Die nahe gelegene Abtei von Flaran, ebenfalls eine bedeutende Etappe der Jakobspilger, beherbergt eine ständige Ausstellung über die Jakobswege. >(Quelle http://www.jakobus-info.de/unser_weg/camino2-4.htm>)

Leider ist die Kirche verschlossen, Mittagspause. Immerhin gibt einen kleinen, geöffneten Lebensmittelladen. Käse und Baguette, herrliche süsse Stückchen und ein Liter frische Vollmilch. Nachdem ich auch noch einen Grand Café auf der Strasse in einem sonnigen Plätzchen einnehmen kann, bin ich über den geschlossenen Kreuzgang hinweggetröstet.

Nach dieser angenehmen Pause geht es weiter durch eine hügelige Gegend. Auf einem Höhenzug komme ich an die einsame Chapelle Sainte-Germaine aus dem 13. ten Jahrhundert, von einem kleinen Friedhof umgeben.

Dieser Ort hat eine wunderbar ruhige und friedvolle Ausstrahlung.

Beim Weitergehen blicke ich nochmals zurück auf die Kapelle. Bilderbuch Anblick.

An solchen Orten könnte man meinen, es hätte die blutige europäische Geschichte der letzten Jahrhunderte nicht gegeben. Dieser Zwiespalt zwischen gefühltem Frieden und wissend von Unrecht und Gewalt verfolgt mich oft an historischen Plätzen. Der Preis für den jetzigen Frieden war hoch.

Es gab viele Zeiten, da ich diesen Weg nicht ohne Lebensgefahr hätte laufen können.

Ankunft nach Condom, die letzten Kilometer für heute.

Condom, Region Midi-Pyrénées, Département Gers. 32000 Einwohner. Condom war früher Hochburg der Armagnac-Herstellung, daher gibt es auch gibt es ein Museum, das der Armagnac-Herstellung gewidmet ist, musée de l'Armagnac.

In einem Fotogeschäft kann ich die Bilder von meiner Camera auf CR-ROM brennen lassen, der Memory-Stick ist fast voll. Eine CD sende ich per Post nach Hause, eine behalte ich bei mir als Backup, falls die versendete CD verloren gehen würde. Dann formatiere ich den Stick und kann wieder bedenkenlos 500 Fotos machen. Ich wusste nicht, dass Fotogeschäfte inzwischen fast überall diesen Service bieten. Die müssen natürlich auch mit der Zeit gehen.

In der Mitte des Ortes ragt die spätgotische Cathédrale St-Pierre auf. Während der Hugenottenkriege drohte die Hugenottenarmee 1569 mit der Zerstörung des Doms, was von den Dorfbewohnern glücklicherweise durch der Zahlung eines beträchtlichen Lösegelds verhindert werden konnte.

Die Pfingstgeschichte, detailreich in Stein gemeisselt.

"Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten,

Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden. Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken. " >(Apostelgeschichte, Kap 2. Quelle: http://alt.bibelwerk.de/

Ich komme in einem sehr guten, grossen Gite unter. Wie immer bin ich alleine. Für die Aussentüre erhalte ich einen Code, ich kann also ausgehen und die Türe von aussen öffnen.

Als ich Glocken läuten höre, gehe ich in die Kirche. Es gibt am Ende des Gottesdienstes den Segen, aus Asche wird ein kleines Kreuz auf den Kopf gestreut. Diesen Segen gibt es am Aschermittwoch, ich habe also den Karneval völlig unbemerkt verpasst! Wobei, in Konstanz waren die Strassen schon für die Fasnet geschückt, wie mir jetzt wieder einfällt.

Seinen Namen erhielt der Aschermittwoch übrigens, weil Asche der Palmen vom Palmsonntag des vergangenen Jahres am Aschermittwoch geweiht und den Gläubigen vom Priester auf die Stirn oder den Scheitel gestreut werden. Dabei erinnert der Priester die Gläubigen: Gedenke, o Mensch, du bist Staub, und zum Staube kehrest du zurück. Asche ist Symbol sowohl der Vergänglichkeit wie der Buße und Reue. Quelle www.heiligenlexikon.de

In der Stadt sehe ich eine Pizzaria, die sehr gemütlich aussieht. Mit Handschlag werde ich begrüsst und erhalte eine gute Pizza. Den Wein verkneife ich mir. In den letzten Jahren habe ich es mir zu Angewohnheit gemacht, in der Fastenzeit keinen Alkohol zu trinken. Die Fastenzeit dauert vier Wochen, von Aschermittwoch bis Ostern.

Ich beschliesse, auch auf dem Camino diese Gepflogenheit beizubehalten. Es wird mir schwerfallen, schliesslichlich laufe ich durch viele hochrangige Weinbaugebiete.

Tag 39: Condom(F)-Eauze(F), 9h

Ich habe gut geschlafen heute Nacht, die Matraze war recht neu und nicht durchgelegen. Nach dem Frühstück gehe ich in ein Café. Bei einer Tasse Kaffe schreibe ich Postkarten an meine Familie. Das mache ich normalerweise abends oder zwischendurch.

Desweitern kaufe ich in einem Bastelgeschäft Papier, um meinen Pilgerausweis zu erweitern, der fast voll ist. Täglich hole ich mir im Gite oder einer Kirche unterwegs einen Jakobsstempel ins Pilgerbuch.

Die Regel verlangt, dass man als Fusspilger die letzten 100 km vor Santiago mit Stempeln nachweisen kann, um vom Pilgerbüro als Pilger anerkannt zu werden und eine Pilgerurkunde, die Compostela zu erhalten. Die Tradition der Pilgerausweise geht auf die früheren Empfehlungs- oder Geleitschreiben zurück. In diesen Schreiben wurde um Hilfe und Unterstützung für den Pilger gebeten. Der Pilgerausweis dient aber gleichzeitig als Herbergsausweis. Nur mit diesem Ausweis ist es möglich, in Spanien in der Hochsaison in den Pilgerherbergen zu übernachten.

Ich mache eine kurzen Abstecher über Larressingle. Eine Burg, die weitgehend original erhalten ist.

Beim Weitergehen sehe ich auf einmal einen Wanderer vor mir. Zuerst als kleinen Punkt, der dann immer grösser wird. Die Person ist etwas langsamer als ich. Ohne den Abstecher wäre ich vorneweg gelaufen. Ich habe ganz gemischte Gefühle, das Alleinesein ist nun wohl vorbei. Es geht auch schon gegen Ende Februar, es werden nun wohl mehr Pilger unterwegs sein.

Nach einer Weile habe ich ihn dann eingeholt, als er zu einem Bauernhof abbiegt. Ich achte gar nicht auf die Markierungen und laufe einfach hinterher. Dabei geht er nur zu einem Bauernhof am Weg, um Wasser zu holen.

Dennik aus Antwerpen. Er ist seit dem 2. Januar unterwegs, in Le-Puy losgelaufen. Er schafft am Tag 20-25 km, was mich sehr beeindruckt. 20 kg Gepäck, einfachstes Material. Er übernachtet ausschliesslich im Zelt, irgendwo unterwegs. Gites sind ihm zu teuer, da er seit Jahren arbeitslos ist. Mit diesem Gewicht und dem Billigrucksack könnte ich keine 10 km insgesamt laufen ohne Bandscheibenvorfall. Ich bin sehr beeindruckt.

Wir laufen den restlichen Tag zusammen, gegen Ende des Nachmittags bleibt er bei einem ruhigen Wäldchen zurück, um sich was zu kochen und das Zelt aufzuschlagen. Ich gehe weiter, als Luxuspilger Richtung Gite.

Leute wie Dennik, sehr hart im nehmen und gesundheitlich scheinbar unverwüstlich, waren früher wohl ideal für Kreuzzüge, denke ich mir. Das mag überheblich klingen, aber es ist nicht schlecht gemeint. Ich laufe zwar selbst auch eine grosse Strecke im Winter, die vielen als verrückt erscheinen mag, aber ich habe erstklassiges Material, schlafe im Warmen und kann mir gute Ernährung leisten.

Dennik hat keine der Kirchen oder Kapellen besucht unterwegs, und sich somit auch nicht in die ausliegenden Pilgerbücher eingetragen. Daher war er mir auch nicht "bekannt". Einige Pilger laufen vor mir her, anhand der Datumsstempel kann ich mir ausrechnen, ob und wann ich sie vielleicht treffe unterwegs.

Dennis hat nach eigener Aussage keinen spirituellen oder geschichtlichen Hintergrund. Sein Bruder sei letztes Jahr gelaufen und hat ihm den Camino empfohlen, als Abenteuer.

Und dann ...

... dann sehe ich sie erstmals ...

... eine Gebirgskette am Horizont. Erst sind sie kaum wahrnehmbar, aber dann unverkennbar: die Pyrenäen! Ein grossartiges Gefühl! Vor wenigen Tagen über den Seerücken gelaufen am Bodensee, nun marschiere ich in Sichtweite der Pyrenäen.

Dann muss ich etwas schneller gehen, ich möchte heute nach Eauze. Die letzten Kilometer geht's im Dunkeln. Da der GR65 aber über ein ehemaliges Bahnbett führt, ist das gut zu machen. Ich hatte mich in der Touristeninformation in Condom bereits ankündigen lassen. Die Touristeninformation in Eauze ist zwar geschlossen, aber ich habe einen Zahlencode für die Eingangstür erhalten, um das Tastaurschloss öffnen zu können. Nicht schlecht, dieses Prinzip. Man spart sich die schwierig zu organisierenden Schlüsselübergaben zu frühen und späten Zeiten.

Der Gite in Eauze. Ich weiss nicht warum, aber ich fühle mich komischerweise etwas unwohl in diesem Haus. Nach dem Duschen hätte ich eigentlich richtig Lust auf ein Bier, wegen dem Fastenzeitbeschluss verkneife ich es mir jedoch. Stattdessen koche ich mir heisses Wasser. Leider sind jedoch keine Teebeutel da und ich habe auch keine bei mir. Dann halt pur. Ich koche mir auch etwas zu essen und gehe dann schlafen.

Tag 40: Eauze(F)-Nogaro(F), 5h

Heute scheint es ein sehr milder Tag zu werden, besonders in windgeschützten Lagen. Die Natur bereitet sich sichtlich auf den kommenden Frühling vor. Die Palmkätzchen erinnern mich an Ostern - das ist aber noch ein paar Wochen hin, es ist nun Anfang März.

Es ist Freitag, ich plane den Sonntag in Aire-sur-l'Adour zu verbringen. Somit brauche ich heute nur eine kleine Etappe zu laufen, morgen ebenfalls keine grosse Etappe. Beim Zusammenrechnen gestern Abend habe ich festgestellt, dass ich heute oder morgen wohl die 1000 km Grenze seit Konstanz überschreiten werde.

Trotz der nur 20 km heute ist es recht anstrengend, das Weg ist ziemlich profiliert und meine Füsse sind nicht ganz fit.

Herrliche Naturwege.

Zwischendurch immer wieder mal Blicke auf die verschneiten Gipfel der Pyrenäen. Da sind ganz schön grosse Berge dabei, gut zu sehen inzwischen.

Ich freue mich nach rund 1000 km quer durch Europa, dass es noch so viele schöne und ruhige Naturgebiete gibt, auch wenn die meisten Flächen land- und forstwirtschaftlich genutzt sind. Ich habe ein paar Autobahnen und Gleise des TGV gequert, alles in allem war ich aber meist auf Feld-, Wald und Wiesenwegen oder sehr ruhigen Strassen unterwegs. Der Chemin de St. Jaques führt um die Ballungsräume Lyon, St.Etienne und Toulouse herum, ohne dass man davon viel merken würde.

Der Ort Manciet, Région Midi-Pyrénées, Département Gers. Hier kaufe ich mir in einem kleinen Supermarkt Brot und Salami, heute ist mir seltsamerweise nach Cola als Getränk. Neben der Kirche ist im Freien eine Sitzgelegenheit. Es ist wieder einiges kühler geworden, sieht sogar fast nach Regen aus. Aber erstmal Mittagessen. Mahlzeit! Die ersten grossen Schlucke Cola sind erfrischend, aber dann bereue ich die Entscheidung. Milch wäre jetzt doch viel besser. Der Wind frischt weiter auf, ich esse schnell und gehe weiter.

Mein Tagesziel ist Nogaro, wo es eine Auto-Teststrecke gibt. Schon von weitem hört man das Gebrüll der Motoren.

Nach einer Weile bin ich in Nogaro, es ist erst Nachmittag. Von der Teststrecke sieht man nichts, zum Glück riecht man auch nichts. An den Lärm gewöhnt man sich etwas, ein schwerer Motor wird über die Bahn geprügelt, man hört ihn vor Kurven drosseln und in den Kurven dann Vollgas geben.

Nogaro, 1900 Einwohner, wird für mein Gefühl beherrscht von einer verkehrsreichen Strasse. Ich brauche lange, bis ich am Ende mit Hilfe der Touristinformation eine Unterkunft finde. Ich komme bei einer Dame privat unter. Ich lege mich auf das bequeme Bett und schlafe auch direkt ein, das war wohl nötig. Nach zwei Stunden werde ich wach und mache einen Stadtrundgang. Das Wetter ist recht ungemütlich geworden. In dieser Gegend haben die Religionskriege schwer gewütet, von einem Kloster sind nur noch wenige Arkaden des Kreuzgangs geblieben.

Daneben steht eine Kirche, die ich mir ansehe. Viel mehr gibt es nicht zu sehen in diesem Ort.

Dann gehe ich eine Pizza essen - mit Mineralwasser. Die alkoholfreie Fastenzeit wird hart werden in einem Land, wo es zu jedem Essen traditionell Wein gibt.

Tag 41: Nogaro(F)-Aire-sur-l'Adour(F), 7h, 15°C

Herrliches Wetter heute morgen, Föhn aus den Bergen mit teils heftigen Böen. Ich habe gut geschlafen. Heute ist Samstag, es sind 28 km bis Aire-sur-l'Adour, meinem Wochenziel. Das sollte gut zu machen sein, keine grosse Etappe nach einer ganzen Woche kurzer Etappen.

Der Baustil des Fachwerks in dieser Gegend ist ganz speziell. Schmale, hohe Felder mit wenigen Verstrebungen. Das mir bekannte Fachwerk ist eher quadratisch mit mehr Diagonalen.

Ich komme nach Lanne-Soubirane. Région Midi-Pyrénées, Département Gers, 89 Einwohner. Auch der Kirchturm hat einen ganz eigenen Baustil, ganz anders als die übrigen Kirchen in der Umgebung. Der überdachte Vorbau wäre gut zum Übernachten geeignet, denke ich mir.

In der Kirche liegt das übliche Pilgerbuch aus für Eintragungen. Ich blättere etwas darin um zu sehen, wann die anderen Pilger, die momentan unterwegs sind, hier vorbeigekommen sind. Es sind immer dieselben Leute, der Abstand ändert sich manchmal. Meist wird er kleiner, was mich freut, obwohl ich auf dem Camino keinen sportlichen Ehrgeiz habe. Ich fange dann an zu rechnen, ob und wann ich die Person treffen kann.

Vor der Kirche dachte ich noch, dass der Vorraum gut wäre für eine Übernachtung. Dann lese ich den folgenden Eintrag:

"Vor 2 1/2 Jahren, als ich denselben Weg nach Compostela ging, durfte ich in dieser Kirche nächtigen; nachdem es fürchterlich regnete und es schon Dunkel war, öffnete mir ein Engel in Menschengestalt die Tür und ich war vor dem Unwetter gerettet!

Ich tu mir oft schwer mit dem Glauben, aber hier neige ich mein Haupt und sage Danke!

Für alle, die denselben Weg zu sich selbst gehen, wünsche ich das Beste und Hoffnung und Mut!

Gerade wenn man glaubt völlig alleine und verlassen zu sein, öffnet sich oft eine Tür und man entdeckt kurz das eigene Licht, wo dann alle Sorgen und Leid von zuvor einer übermächtigen Freude weichen! Gunther aus Wien, 23-10-05"

Den Ort passiere ich ohne weiteren Aufenthalt, es gibt keine Bar oder Café am Weg.

Stechginster. Diese Pflanze werde ich im weiteren Verlauf des Weges noch oft sehen.

"Der Stechginster (Ulex europaeus) ist ein immergrüner stachliger Strauch bis zu 2m Höhe. Seine Blätter sind zu feinen Nadeln aufgerollt. Er trägt von April bis Juli gelbe, 2 cm lange Blüten und seine Samen stecken in behaarten Hülsen.

Er bildet undurchdringliche Dickichte, in denen sich abgestorbene Büsche anhäufen. Zusammen mit den 2–4 % leicht entzündlichen Ölen in den grünen Zweigen bildet er ein hohes Brandrisiko – vor allem in den heißen Sommermonaten." Quelle Wikipedia

Die Pflanze sieht schön aus, besonders jetzt im Winter. Sie ist wegen der Stacheln aber unangenehm, wenn man die Sträucher durchqueren muss oder streift.

Die Berge kommen immer näher und sind nun sehr deutlich zu sehen.

Dann komme ich wieder in ein abgelegenes Gebiet und wundere mich sehr: momentan geht die stark infektionsgefährliche Vogelgrippe um in Europa. Alle Zuchtvögel müssen in geschlossenen Stallungen untergebracht werden. In Toulouse wurde vor wenigen Tagen der Erreger bei einem Züchter gefunden und daraufhin wurden tausende Tiere gekeult, wie ich den Nachrichten ansatzweise entnehmen konnte.

Hier treffe ich dann auf einer Wiese im Freien eine grosse Anzahl laut schnatternder Gänse. Zum Glück geht der Weg in einiger Entfernung um das Gelände, ich fühle mich trotzdem nicht ganz wohl.

Der Weg führt dann an einem kleinen, verwachsenen Bach vorbei. Auf einmal schreckt ein Tier vor mir auf und flüchtet sich in das Wasser. Es ist ein Biber, den ich für Sekundenbruchteile sehen kann. Mein erster Biber in freier Natur! Ich bin ganz entzückt über dieses kurze Intermezzo.

Diese Beregner sind gigantisch gross, hunderte Meter lang. Sie fahren wohl automatisch ihre Kreise, an den Endpunkten sind Stöcke in den Boden gerammt, die den Regner umschalten und zurückfahren lassen. In heissen Sommern ist es sicher ein Vergnügen, eine erfrischende Dusche zu erhalten.

Es geht auf einer interessanten Strassebrücke über die l'Adour.

Am Strassenrand dann ein Denkmal für Kämpfer der Résistance, die hier am 13 Juni 1944 ermordet wurden. Bei einem Massacre von den Allemands, den Deutschen. Betroffenheit ergreift mich. Szenen von Kriegsfilmen gehen mir durch den Kopf. Wollten sie vielleicht die Brücke sprengen, die ich eben überquert habe?

Widerstand, Mut, Verrat, Tod. Die ältere und jüngere Geschichte Europas ist allgegenwärtig auf dem Camino.

Man wird in dieser Gegend durchschnittlich wohl nicht sehr üppig verdienen. Aber 298K EUR für eine Villa mit 1300 qm klingt für mich fast unglaubwürdig. In der Randstad in Holland erhält man für diesen Betrag ein kleines, total-renovationsbedürftiges Reihenhaus direkt an der Autobahn ohne Garten in Schattenlage.

Ich bin zeitig in Aire-sur-l'Adour und komme in einem Gite unter, hier kann ich bis Montagmorgen bleiben. Ich gehe einkaufen, trinke einen Café. Wie üblich frage ich nach einem Internetcafe, wie üblich ist die Antwort, dass es das nicht geben würde. Nach etwas nachforschen finde ich ein Zentrum für Jugendliche. Dort stehen einige Rechner, umlagert von Jugendlichen. Vom Betreuer kriege ich jedoch gleich einen PC zugewiesen, nett. Email, Nachrichten lesen.

Als ich zurückgehe in den Gite, um mich etwas auszuruhen, treffe ich einen anderen Pilger. Simon aus Saint-Malo. Er freut sich sehr, mich zu sehen, ich freue mich ebenfalls. Er hatte schon bei seiner Ankunft gehört, dass ich da wäre und würde mich kennen. Er spricht sehr gut Englisch. Woher er mich denn kennen würde, frage ich ihn.

Er läuft seit Le Puy hinter mir her. Er kennt jede Macke im Profil meiner Stiefel, er kennt meine Schrittlänge, meine Handschrift in den Pilgerbüchern. Ich bin platt. Er ist einen Tag nach mir in Le-Puy gestartet, hat folglich tausende meiner Abdrücke und Lebens-Zeichen gesehen.

Ich hatte ja vom grossen Wetterglück im Central Massif, dem Aumont Aubrac erzählt. Von der plötzlichen Schneeschmelze und dem starken Regen in den Tagen danach.

Simon hatte weniger Glück. Einen Tag nach mir lag der Schnee wieder hüfthoch. Simon schaffte in einer Stunde nur 2 km. Er konnte mit grosser Anstrengung nur bis Nasbanals kommen, bei mir war das die Mittagsstation. In der Folge lief ich ihm dann teilweise zwei komplette Tagesetappen voraus, er war dadurch manchmal recht frustriert. Aber gut, jetzt machen wir uns einen schönen Samstagabend und gehen aus!

Simon fragt unterwegs nach einem guten Restaurant. Für 10 EUR p.P. bekommen wir ein wunderbares Menü mit viel Wein. Schon vorteilhaft, wenn man die Sprache und Gepflogenheiten kennt.

Eine schöne Geschichte erzählt Simon mir, ich falle vor Lachen fast vom Stuhl:

Nach den schweren Etappen durch den Schnee verfolgte das schlechte Wetter Simon noch weiter. In Golinhac übernachtete Simon im Gite. Alles war komplett durchnässt, die Heizung kam gegen die Kälte und Feuchtigkeit nicht an, seine Moral war auf dem Tiefpunkt. Seine Wanderstiefel stellte er auf die Heizung zum Trocknen. Und am nächsten Morgen ...

Ich kann mir schon vorstellen was passiert ist, und werfe ein, dass das Leder sicher aufgerissen war.

Nein nein, meint Simon. Am Morgen lag ein Paar lose Sohlen auf der Heizung und ein Paar Stiefel-Oberteile. Schuhgrösse 25. Die Sohlen unverändert, die Stiefel komplett geschrumpft wie ein Schrumpfkopf.

Ich muss so laut lachen, dass sich die Leute im Restaurant nach uns umdrehen. Ich muss mir die Tränen aus den Augen wischen, wunderbar!

Simon schleppt Turnschuhe mit im Gepäck, die konnte er nun brauchen. Mit dem Zug ist er nach Toulouse gefahren, neue Stiefel kaufen. Dann wieder zurück zum Ausgangspunkt. Und dann die Stiefel (Meindl Perfekt, die Riesendinger aus massivem Leder) on-the-fly auf dem Camino eingelaufen. Entweder passen die Stiefel wirklich perfekt oder er hat Füsse aus Stahl.

Simon ist Physiotherapeut. Ich erzähle von meinem schiefen Rücken und dem zu kurzen Bein. Simon meint, er könnte das richten und würde sich freuen, seinen Beruf nicht zu verlernen. Er lässt mich einige Rückenübungen machen. Er meint, ich hätte in der Kindheit einen Wirbel gestaucht. Er löst die Verspannung durch langsame Bewegungen des Beines und meint, das Bein wäre gar nicht zu kurz, sondern das Becken durch die Verstauchung nur fehlgestellt. Ich bin skeptisch, aber wer weiss, vielleicht stimmt es ja.

Morgen wird er weiterlaufen, ich werde an meiner Tradition festhalten und am Sonntag einen Ruhetag einlegen. Wir haben einiges gemeinsam, an vielen Stellen, Orten oder Gebäuden unterwegs hatten wir ähnliche Gefühle und Empfindungen. Ich würde gerne noch mit ihm ein paar Etappen laufen und mich mit ihm unterhalten. Aber gut, ich werde mir einen schönen, ruhien Sonntag machen.

Tag 42: Aire-sur-l'Adour(F), 0°C

Ich habe gut geschlafen nach der Behandlung gestern. Eigentlich habe ich heute meinen freien Tag und könnte ausschlafen, aber ich stehe mit Simon auf und frühstücke mit ihm zusammen in der ansonsten leeren Herberge. Die Herbergsmutter hat für uns das Frühstück gestern Abend vorbereitet und zusammengestellt.

Simon geht nach dem Frühstück los, es ist recht kalt heute Morgen, auf den Autos und den Dächern liegt eine dünne Schneeschicht.

Ich gehe in die Messe in das Kloster Karmel. Erst beim Schreiben des Berichts sehe ich im Internet, dass das Kloster recht gross ist. Vor Ort habe ich nur den kleinen Innenhof und die Kirche gesehen.

Nach der Messe im Karmel laufe ich an la Cathédrale Saint-Jean-Baptiste vorbei, der Kathedrale Johannes des Täufers, dort läuten die Glocken zur Hauptmesse. Ich habe ja nichts zu tun, daher gehe ich in die Kathedrale. Direkter Vergleich weltliche vs. geistliche Kirche!

Das architektonische Rennen gewinnt zweifellos die weltliche Kirche. Die Fassade ist schon recht interessant und ungewöhnlich, das Innere ist ebenfalls speziell:

Drei grosse Chorräume nebeneinander, jeder gross genug für eine eigene Kirche.

Die Atmosphäre in der Kirche ist seltsam, ich empfinde sie als gefühllos und kalt, ohne sagen zu können warum. Vielleicht bin ich einfach nur müde und etwas erschöpft. Ich kaufe mir in einem der geöffneten Geschäfte frisches Brot und verschiedene Sorten Käse, gehe zurück in die Herberge. Dort esse ich, der Käse ist köstlich. Danach schlafe ich eine ganze Weile.

Nachmittags gehe ich spazieren in der Stadt. Auf einer Anhöhe steht noch eine grosse Kirche, die recht interessant aussieht.

Église Sainte-Quitterie d'Aire, geschützt als Welterbe der UNESCO.

Die Türe ist verschlossen. Während ich mit das Portal anschaue, schlüpft eine Dame mit einem grossen Stapel Wäsche auf dem Arm durch eine Seitentüre. Kurzentschlossen gehe ich ihr nach.

Die Dame bringt frische Tischtücher für den Altar. Sie deutet mit ihren Fingern an, dass sie in 10 Minuten schliessen wird. Aus dem Altarraum rechts höre ich jedoch Stimmen und gehe vor, nachdem ich der Dame mit einem Nicken versichere, zeitig zu gehen. Die Stimmen kommen aus der Krypta. Ich steige eine neugebaute Treppe hinunter.

Die Gruppe besichtigt einen interessanten Altar.

Die Krypta ist gross und ungewöhnlich, da sie aus dem Altarraum oben einzusehen ist.

Eine Darstellung der heiligen Quitterie, nach der diese romanische Kirche benannt ist. Diese Heilige war mir nicht bekannt. Ihre Legende berichtet folgendes.

"Die hl. Quitterie soll von den arianischen Westgoten verfolgt und enthauptet worden sein. Nach ihrer Enthauptung soll sie bis zur Quelle gegangen sein, wo sie dann ihr Haupt niedergelegt habe. Deswegen sei dieses Wasser auch wunderkräftig.

Der Glaube an die Wunderkraft dieser Quellen wurde von lokalen Heiligenkulten begleitet, von denen sich einige weiter verbreiteten, so der Kult der hl. Quitterie. Der Legende nach war sie eine von 9 Töchtern. Weil sie sich weigerte, zu heiraten, köpfte ihr Vater sie. Quitterie soll dann ihren Kopf aufgehoben haben und ihn auf einem Tablett in die Kirche getragen haben, deren Türen sich vor ihr öffneten. Sie stieg in die Krypta hinab, legte sich in das Grab, das sie vorbereitet hatte und starb. Der sehenswerte frühchristliche Sarkophag aus weißem Marmor wurde im 4.Jh. gehauen und steht immer noch am ursprünglichen Platz. Er zeigt Christus im vornehmen Gewand und fürstlicher Szene. Die wunderkräftige Quelle im Süden von Aire-sur-l'Adour entspringt an dem Ort, an dem ihr Haupt zu Boden gefallen sei. Ihre heilenden Kräfte wirken besonders bei Kopfschmerzen, Irrsinn und Tobsucht." (>Quelle http://home.arcor.de/schaefer.sac/rwf/sdc/LEGENDEN.PDF)

Das kann man auch anders ausdrücken:

"Auf einem Hügel bei Aire-sur-L´Adour, da quoll einst eine Quelle hervor, eine ganz und gar heidnische. Und die Quellgöttin ließ sich verehren und sich Opfer bringen. Wilde Tänze halbnackter wolllüstiger Weiber und ganz nackter viriler junger Männer, die zu nächtlichen Stunden immer, und immer wieder, Leben schufen, erfreuten die Göttin. Doch plötzlich tauchte die Idee auf, dass man jungfräulich gebären sollte. Und auch die junge Gotenprinzessin Quitterie, obwohl schon verlobt, wollte ihre Jungfräulichkeit nicht irgendeinem dahergelaufenen Prinzen, sondern dem Herrn selber schenken. Dieser hatte auch nichts dagegen. Sehr wohl aber der Prinz. Zu viele angestaute Hormone verwirrten seinen Geist und er hackte der Verloben kurzerhand den Kopf ab. Und schuf damit eine Heilige. Eine gute Tat? Zumindest diskussionswürdig. Die gute Quitterie verlor darüber aber nicht den Kopf in dieser heiklen Situation. Denselben flugs unter den Arm geklemmt und losmarschiert. Bis zum Standort der heutigen Kirche. Und dem Kopfablageplatz entsprang eine Quelle. Heilbringendes Wasser strömt daraus heute noch unterhalb der Krypta. Auch wenn die Reste Quitteries, die bis zum 16. Jahrhundert in einem Sarkophag lagen, nicht mehr da sind. Opfer im Streit um den echten Glauben vergangener Zeiten.

Wie gesagt, bereits die Kelten haben diese Quelle hier verehrt, die Römer, auch keine Heiden, knallten einen Tempel über das keltische Heiligtum. Und die Christen schliffen den Tempel und bauten die Kirche. Und bekämpften sich dann gegenseitig noch im Streit um die wahre Wahrheit. An diesem Ort kann man glauben, was man will, man liegt immer richtig. Und sollte jemand bei so viel Glauberei den Verstand verlieren, dann kann er ja die heilige Quitterie anrufen, den sie ist die Spezialistin für Geisteskrankheiten. Und es sollen besonders viele Spanier hierher pilgern. Sagen die Franzosen." (Quelle: http://www.mott-solutions.at/jakobsweg/if-woche09.htm)

Wie auch immer, ich finde einige schöne Steinmetzzeichen. Die mir bekannten aus Deutschland sind meist geradlinig oder eckig.

Blick auf die Stadt. Sie ist etwas verschlafen an einem winterlichen Sonntagnachmittag.

Ich plane die Wochenetappen und nehme mir Grosses für den nächsten Sonntag vor: Pamplona in Spanien!

Tag 43: Aire-sur-l'Adour(F)-Pomps(F), 11.5h, 6°C

Heute Morgen geht es anfangs an einer sehr belebten Strasse neben dem Berufs- und Schulverkehr entlang. Ich freue mich, wieder unterwegs zu sein. Am Ortsende von Aire-sur-l'Adour ein Kilometerschild, noch 932 km bis Santiago.

Schnell bin ich wieder abseits des Lärms und Gestanks. Ich habe heute Schwierigkeiten, die Schuhe richtig zu binden. Entweder sind sie zu fest gebunden, zu lose, drücken hier oder da. Nach einer Weile beschliesse ich, die Füsse für das erste zu ignorieren.

Gänse auf den Feldern, von der Vogelgrippe hoffentlich verschont.

Ich bin in der Région Aquitaine, Département Landes. Viele Häuser in der Gegend haben einen Ziehbrunnen am Haus.

Latrille, ein kleiner Weiler auf rund 150 Hm. Die Landschaft ist recht profiliert, trotz der tiefen Lage.

In Latrille ein Bildstock von 1965. Mit der Tischplatte hat er etwas von einem Altar. Die älteren Bildstöcke sagen mir doch mehr zu.

Nach einem guten Stück laufen, bei dem ich zwischendurch von leichen Regenschauern überrascht werde, komme ich nach Miramont-Sensacq. In der Nähe soll laut Reiseführer eine alte Kapelle am Weg sein.

Der Friedhof von Miramont-Sensacq, grosse Familiengräber schauen über die weiten Flächen mit Blick auf die Pyrenäen.

Dann wird es wieder hügelig und glücklicherweise sonnig.

Der Weg geht über Höhen und durch Täler.

Dann sehe ich die erwähnte Kapelle aus dem 11. Jahrhundert, sie liegt etwas abseits des Weges.

Eine interessante Architektur. Um die freistehende Kirche -hinter der Hecke- ist ein kleiner Friedhof angeordnet. Kilometerweit weg von der nächsten Ortschaft, nur einige Bauernhöfe sind in der näheren Umgebung.

Ich bin begeistert. Ein schlichter Innenraum, mit einem fragilen hölzernen Dachstuhl.

In der Ecke rechts ein sehr altes Taufbecken. Früher wurde man mit dem ganzen Körper in das Taufbecken eingetaucht, in Analogie zu der Taufe am Jordan durch Johannes den Täufer.

Diese Kirche hat eine enorme Ausstrahlung auf mich. Vielleicht durch ihre Lage, ihr Alter oder ihre Schlichtheit?

Dann sehe ich von weitem ein weiteres interessantes Bauwerk. Was mag das sein, eine Kirche oder eine Burg?

Der Name macht die Sache noch spannender. Pimbo, 179 Einwohner.

Dann bin ich an dem Bauwerk, es ist eine der ältesten Basteien Frankreichs. Das romantische Portal der Kirche Saint-Barthélemy aus dem 12. Jahrhundert. Sie basiert auf einer Benediktinerabtei aus dem 8. Jahrhundert, gegründet durch Karl den Grossen.

Die Kirche wurde im 14. Jahrhundert beim Bau eines Wehrgangs umgestaltet, daher auch die ungewöhnliche Gestalt.

An der Kirche treffe ich auch Dennik wieder, den Pilger aus Antwerpen. Er hat vergeblich ein Geschäft für Einkäufe in Pimbo gesucht. Während ich mir die Kirche anschaue, geht er weiter.

Blick von Pimbo auf das Tal, in das ich hinunter muss. Unten auf dem Weg sehe ich Dennik laufen. Bis ich dann unten bin, ist er jedoch nicht mehr zu sehen.

Eine alte Scheune mit Pflanzen, die zum Trockenen aufgehängt wurden.

Nach einer Weile wieder eine interessante Kirche in einem Friedhof, die leider verschlossen ist.

Auf dem Türsturz über der Kirchentüre sehe ich erstmals die Steinmetzzeichen, die ich in den nächsten Tagen noch desöfteren sehen werde. Ich habe wohl eine ethnische Grenze überschritten und bin im Gebiet der Basken.

Nach einem heftigen Regenschauer, den ich in einem Supermarkt in Arzacq-Arraziguet trocken überstanden habe, spiegelt sich die Sonne im ablaufenden Wasser auf dem Weg. Beim Einkaufen einer Brotzeit für das Mittagessen begann es sintflutartig zu schütten. Ich durfte das Mittagessen dann im Laden zu mir nehmen. Brot mit Käse, Milch und etwas Obst.

Nach Arzacq-Arraziguet waren es rund 30 km seit Aire-sur-l'Adour. Von Arzacq-Arraziguet nach Pomps sind es knapp 20 km. Der Ruhetag am Wochenende hat mir gut getan, die Reserven sind wieder gefüllt. Beim Studium der Karte finde ich eine Abkürzung, bei der ich allerdings einige Höhenmeter machen muss. Ich laufe den kürzeren, steilen Weg (eigentlich habe ich die Karte studiert, weil ich seit längerem keine Wegmarkierungen mehr gesehen hatte und mich nicht verlaufen wollte). Nach einer Weile sehe ich alte, abgeblätterte GR65 Markierungen. Dieser Weg war wohl früher der Jakobsweg! Der Aufsteig ist recht antrengend, der neue Weg führt um die Hügel herum durch ein Tal.

Ich komme nach Garos, Région Aquitaine, Département Pyrénées-Atlantiques. Herrliche Aussicht über ein weites Gebiet.

Dann geht es wieder ins Tal. Der originale GR65 ist zugewuchert und gesperrt. Ich nehme einen Waldweg der ins Tal führt, die Richtung stimmt.

Ich komme nach Uzan. Hier gibt es wohl einen Gite, der allerdings nur von April bis Oktober geöffnet hat laut Führer. In Pomps soll eine Gite sein mit Öffnungszeit März bis Oktober. Es ist nun Anfang März, ich gehe daher das Risiko ein und laufe Richtung Pomps weiter. Wo Simon wohl inzwischen ist?

Die Regenwolken und die Sonne liefern heute schöne Licht- und Farbspiele.

Um mich herum sind heute viele Regenwolken gezogen, teilweise bin ich trockenen Fusses mitten durch die Regenfronten gelaufen.

Als ich dann in Pomps ankomme, beginnt es zu dämmern. Der Gite hat tatsächlich geöffnet, worüber ich sehr dankbar bin. Allerdings ist es kein echter Gite, sondern ein Container mit Betten. Nebenan eine Turnhalle, die momentan eine grosse Baustelle ist. Dort kann ich duschen und kochen. Ich fühle mich allerdings nicht ganz wohl in der Unterkunft, sie liegt abseits des Ortes.

Nachts muss ich austreten, der Sternenhimmel ist so weit, klar und hell, wie ich ihn in Europa selten erlebt habe. Eine grandiose Gegend!

Tag 44: Pomps(F)-Navarrenx(F), 11h, 8°C

Ich bin sehr früh wach heute und fühle mich fit. Ein wunderbarer Morgen, sonnig, aber eiskalt. Eigentlich sollte es Frühstück geben im Geschäft der Herbergsleute, aber ich bin wohl zu früh dran, alles ist noch verschlossen.

Dann gehe ich los, zum Frühstück gibt es einen Apfel.

Nach dem Anstieg auf die Höhe ein klarer Blick auf die nahen Berge.

Die Chapelle de Coubin aus dem 12.ten Jahrhundert. Im Jahr 1569 wurde das dazugehörige Hospiz im Glaubenskrieg von den Hugenotten vollständig zerstört. Die Kapelle wurde ebenfalls stark beschädigt. Erst 1966 wurde sie von einer privaten Initiative, den Amis de Coubin, wieder restauriert.

In Frankreich sieht man viel von den blutigen Glaubenskriegen. Abgeschlagene Köpfe an Bildstöcken, beschädigte Kirchen und Klöster. An dieser Stelle möchte ich die Hintergründe dieser grausamen Zeit etwas umfangreicher beschreiben, da in den Reiseführern darüber wenig vermeldet wird.

"Anfänge der Reformation in Frankreich

Um die Zeit, als in Deutschland durch die Thesen Luthers die Reformation begonnen hatte (1517), gibt es in Frankreich eine Situation, in der das Luthersche Gedankengut auf fruchtbaren Boden fallen konnte:

Franz I., der Frankreich seit 1515 regierte, hatte zu dieser Zeit die katholische Kirche zunehmend zu einem Verwaltungsorgan des Staates aus- und umgebaut: Seit dem Konkordat von Bologna 1516 hatte er das Recht, die hohen Ämter der französischen Kirche nach eigenem Willen zu besetzen. Er nutzte dies geschickt, um den französischen Hochadel in den entsprechenden Positionen unterzubringen und ihn sich auf diese Weise zu verpflichten. Die Infrastruktur der Kirche war für Franz ebenfalls von Bedeutung:

Ihre Präsenz in allen Städten und Dörfern, die hohe Reichweite, die die Pfarrer in ihren Gemeinden erzielen konnten, und die Familienregister, die die Pfarreien führten, waren Elemente, die er für verwaltungstechnische Aufgaben, zum Beispiel die Veröffentlichung von Edikten, einspannen konnte.

Insbesondere in Paris führte diese Verweltlichung zu Widerspruch von humanistischen Kreisen, insbesondere um Erasmus von Rotterdam und Jacques Lefèvre d'Étaples. Um 1520 beginnt man, in diesen Zirkeln die Thesen Luthers zu diskutieren, die die heilige Schrift zum Maßstab des Glaubens machen und die Trennung von Staat und Kirche einfordern. Die theologischen Thesen Luthers werden zunächst auch vom Königshaus eher positiv aufgenommen.

Franz I., ohnehin sehr aufgeklärt und aufgeschlossen zeigt sich ebenfalls gegenüber den theologischen Aspekten der beginnenden Reformationsbewegung nicht abgeneigt. So hält er zum Beispiel über Lefèvre seine schützende Hand, als gegen diesen nach einer Abhandlung über Maria Magdalena ein Prozess wegen Ketzerei angestrengt worden war. Die Reform einer Kirche von innen heraus ist, zumindest was die theologischen Deutungen angeht, nichts, was Franz I. fürchten müsste.

Zunächst einmal darf also um 1520 herum der reformatorische Gedanke auch in Frankreich Fuß fassen. Von den Humanisten findet er auch rasch seinen Weg ins gehobene Bürgertum, wo die vorhandenen weitreichenden Handelsbeziehungen nicht nur Waren, sondern auch Ideen schnell verbreiten helfen.

Beginnende Verfolgung

Sehr schnell setzt jedoch eine katholische Gegenbewegung ein. Die Amtsträger der Kirche sehen ihre Lehren durch die aufkommende Bewegung gefährdet: 1521 wird Luther vom Papst exkommuniziert, die Pariser Universität Sorbonne verdammt seine Lehren.

Franz I. gerät dadurch zunehmend unter Druck, und zwar aus zwei Gründen:

* Der erste ist innenpolitischer Natur: Nach 1520 wird schnell deutlich, dass die Reformation eben nicht nur eine theologische Geschichte ist, die sich in den Studierzimmern der Gelehrten breit macht, sondern dass die Thesen die bestehende klerikale (und eng damit verbunden auch die weltliche) Machtstruktur

anzugreifen beginnen.

* Zum zweiten befindet sich Franz I. zu dieser Zeit mit den Habsburgern, genauer gesagt, mit dem deutschem Kaiser Karl V. in einem schweren Konflikt. Frankreich ist über die Niederlande, Deutschland und Spanien von den Habsburgern in die Zange genommen, in Norditalien befindet sich Frankreich im offenen Krieg mit den Habsburgern. Würde Franz der Reformation in Frankreich freien Lauf lassen, so hätte er auch noch Rom gegen sich, und Karl V., der 1521 über Luther die Reichsacht verhängt hatte, wäre - dann von Rom unterstützt - von einer Invasion Frankreichs nicht mehr abzuhalten gewesen. Auch diese außenpolitische Überlegung zwingt Franz dazu, sich mehr und mehr vom Protestantismus zu distanzieren.

So kommt es zunehmend zu Repressalien gegen die Protestanten, die sich zu einer Verfolgung zumindest des öffentlichen Protestantismus ausweiten: Die erste Hinrichtung eines französischen Protestanten ist für den 8. August 1523 belegt, als der Augustinermönch Jean Valliére in Paris am Pfahl verbrannt wird.

Untergrundkirche

Der Protestantismus wird bis etwa 1530 zunehmend in den Untergrund gedrängt. Ein Teil der Protestanten flieht, unter anderem in die reformierten Orte der Schweiz, wo Ulrich Zwingli gerade dabei ist, die katholische Kirche komplett zu entmachten. Ins politische Aus gedrängt, treten die Protestanten aus dem Untergrund jedoch zunehmend provokativer auf. Auf Plakaten wird die Messe der Katholiken als Götzendienst bezeichnet (1534), Marienstatuen werden verunstaltet.

Etwa um 1533 schließt sich Johannes Calvin in Paris dem Protestantismus an. Bis zu dieser Zeit wäre auch er eher als katholischer Humanist denn als Reformierter zu bezeichnen. Nach einer protestantisch gefärbten Rede von Nicolaus Cop, des Rektors der Universität Paris, die höchstwahrscheinlich unter Beteiligung Calvins entstand, müssen beide aus Paris fliehen.

Doch trotz der Unterdrückung erhält die Bewegung noch immer Zulauf. 1546 bildet sich in Meaux die erste protestantische Gemeinde in Frankreich. 1559 findet in Paris die erste Nationalsynode der reformierten Christen Frankreichs statt. Zu Beginn der 1560er Jahre haben die reformierten Untergrundkirchen etwa zwei Millionen Anhänger, was in etwa zehn Prozent der französischen Gesamtbevölkerung entspricht.

Diese reformierten Gemeinden sind jedoch nicht mehr lutherisch geprägt: Die Verfolgung hat enge Bande der französischen Reformierten zu dem in Genf lebenden Calvin entstehen lassen. Zwischen 1535 und 1560 durchdringt zunehmend der Calvinismus das französische Protestantentum, und der Calvinismus ist es, der

den Dissidenten Zulauf verschafft. Jetzt kommt auch der Name "Hugenotten" auf.

Die Hugenottenkriege

1547 stirbt Franz I., sein Sohn Heinrich II. besteigt den Thron Frankreichs. Er setzt die Repression gegenüber den Hugenotten unvermindert fort. Etwa um diese Zeit beginnt das Habsburgerreich in eine Vielzahl von Kleinstaaten zu zerfallen: Kaiser Karl V. bekommt die Reformation nicht mehr unter Kontrolle, und der Kompromiss des "Cuius regio, eius religio" tat ein Übriges zur Spaltung des Kaiserreiches.

Heinrich II. möchte ähnliche Zustände wie in Deutschland in jedem Fall verhindern. Zunehmend haben sich jetzt auch Adelige den Hugenotten angeschlossen, und eine Übereinkunft nach dem Augsburger Prinzip für Frankreich hätte die unter Franz I. erfolgreich verlaufende Zentralisierung Frankreichs schwer beschädigt. Damit beginnt endgültig die politische Diskriminierung des Protestantismus in Frankreich.

Eine neue Einrichtung und drei Edikte reichen, um die Hugenotten mehr und mehr zu unterdrücken: Da ist erst einmal die Einrichtung der chambre ardente in Paris, einer Kammer, die die hugenottischen Parlamentsabgeordneten verfolgt. Im Juni 1551 wird dieses Prinzip im Edikt von Châteaubriand dann auch auf die Provinzparlamente ausgedehnt. Das Edikt von Compiègne folgt im Juli 1557: "die Ordnung in irgendeiner Weise störende" Protestanten werden der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt; die Verurteilung wegen Häresie lässt Heinrich noch in den Händen der Kirche. Den Schlusspunkt setzt er dann am 2. Juni 1559 im Edikt von Écouen: Von nun an dürfen die Gerichte für Häresie nur noch die Todesstrafe verhängen. Kurz nach dem Edikt stirbt Heinrich.

Unter Heinrichs Sohn Franz II. hält die begonnene Vertreibung an. 1562 überfallen katholische Soldaten bei Vassey Protestanten während eines Gottesdienstes. Die Bartholomäusnacht 23./24. August 1572 in Paris löst erneute zahlreiche Flüchtlingsströme aus. Wichtige protestantische Persönlichkeiten werden ermordet. Die Zahl der Todesopfer beträgt in Paris etwa 3.000 und auf dem Lande zwischen 10.000 und 30.000. Schließlich bringt 1598 das Edikt von Nantes eine zeitweilige Beruhigung der Lage, die jedoch nur bis zur Eroberung von La Rochelle (1628) anhält. Nach dem Tod Kardinal Mazarins übernimmt der "Sonnenkönig" Ludwig XIV. 1661 die Regierung und leitet eine groß angelegte mit Bekehrungs- und Missionierungsaktionen verbundene systematische Verfolgung der Protestanten ein, die er aufgrund der einsetzenden Flüchtlingswellen 1669 mit einem Emigrationsverbot verbindet und die schließlich in den berüchtigten Dragonaden 1681 ihren Höhepunkt finden. Trotz Verbotes verlassen im Laufe von etwa fünfzig Jahren ca. 200.000 Flüchtlinge ihre Heimat.

Im Edikt von Fontainebleau 1685 widerruft Ludwig XIV. das Edikt von Nantes. Wer nunmehr als Protestant erkennbar ist, wird mit Haft oder Galeerenstrafe belegt. Daraufhin begeben sich viele in eine Untergrundkirche und leisten teilweise in den Cevennen Widerstand (Camisarden). Dort kommt es in den Jahren 1703 bis 1706 zum Bürgerkrieg, worauf Ludwig XIV. über 400 Dörfer dem Erdboden gleich machen lässt. Das Psalmensingen und Bibellesen wird mit hohen Strafen belegt. Viele Menschen treten zwangsweise zum Katholizismus über, auch um den gefürchteten Dragonaden zu entgehen. Aber der Protestantismus lässt sich nicht ausrotten, weil die verfolgten und bestraften Protestanten als Märtyrer verehrt werden.

Da die Angehörigen der protestantischen Oberschicht, darunter die meisten Geistlichen, ins Ausland fliehen, wird die Kirche durch Laienpastoren geleitet, die sich durch eine göttliche Eingebung berufen fühlen. Deshalb kommen prophetische und ekstatische Formen der Religiosität auf. Sie werden in der Bewegung der Inspirierten in ganz Europa wirksam.

In den Nachbarländern fanden die besitzlos gewordenen Hugenotten, die zur leistungsfähigsten Schicht der Gesellschaft zählten, bei den Herrschern bereitwillige Aufnahme, Privilegien und Kredite, was in der übrigen Bevölkerung wiederum Unverständnis, Neid und Anfeindungen auslöste. Zumal stießen sie als Reformierte auf Lutheraner, so dass sie wiederum eine religiöse Minderheit verkörperten.

Zu den Ländern, die für etwa 200.000 Hugenotten eine neue Heimat wurden, zählen die Schweiz, die Niederlande, England, Deutschland und Amerika. So wurden mit dem Edikt von Potsdam vom 29. Oktober 1685 die reformierten Hugenotten im lutherischen Preußen aufgenommen.

Erst unter Ludwig XVI. schuf das Toleranzedikt 1787 eine neue Möglichkeit protestantischen Lebens in Frankreich." (Quelle Wikipedia)

Hinter der Kapelle der Blick ins Tal der Pau.

Nach wenigen Metern komme ich nach Arthez-de-Béarn, ein richtiges Städtchen mit vielen Geschäften, 1580 Einwohner.

Beim Ortseingang kommt mir Serge entgegen. Er kommt aus ... Belgien. Scheinbar ist der Winter in Belgien wenig attraktiv, wenn so viele Belgier im Winter auf dem Camino pilgern.

Angeblich ist er seit Jahren auf dem Camino unterwegs, gerade auf dem Weg nach Rom. Die neue Kleidung und Ausrüstung hat er nach eigenen Angaben von einem Bischof unterwegs erhalten.

Serge hat eine interessante Nachricht. Er hat heute Nacht in Arthez-de-Béarn im Gite übernachtet - zusammen mit Simon. Der hat folglich nur wenige Stunden Vorsprung, er ist auch früh losgelaufen. Vielleicht treffe ich ihn ja wieder.

Ich verabschiede mich von Serge, der Richtung Alpen läuft. Zuerst werde ich in ein Café gehen, ich habe mir ein echtes Frühstück verdient.

Nach einem schmack- und nahrhaften Frühstück mit Honigbrot und viel Café kaufe ich noch Lebensmittel ein. Dann geht es weiter, hinunter ins Tal. Die ganze Gegend riecht nach Benzin. Die Industriebetriebe, die ich auf dem Hügel gesehen hatte, sind wohl Raffenerien.

Maslacq, 10 km nach Arthez-de-Béarn. Zeit für das Mittagessen. Ich kaufe noch Bananen, Milch und Schokolade. Dann suche ich ausserhalb des Ortes einen schönen Sitzlatz, finde aber keinen und laufe weiter. Nach einer Weile werde von einem heftigen Wolkenbruch überrascht. Ich schaffe es in einen kleinen Geräteschuppen an einem Acker. Dort lasse ich mir das Mittagessen schmecken, während der Regen an den Schuppen prasselt.

So schnell wie er gekommen ist, ist der Regen auch wieder weg, genau wie gestern.

Ein Brunnen in der Nähe der Notre Dame de Muret, auf einem Vorsprung über dem Tal der Pau.

Deutlich sind nun die Industrieanlagen zu sehen. Sie wirken etwas unwirklich, nach den vielen rein landwirtschaftlichen Gebieten der letzten Wochen.

Und dann das: Ich verpasse eine Abzweigung und komme nach Lagot. Vielleicht ist es auch ein Freud'scher Verlaufer. Der eigentliche Weg führt über Sauvelade, aber der Reiseführer vermeldet dazu "Abtei Sauvelade (unfreundlich, Nachmittags geschlossen)". Das ist deutlich.

Von Lagor nach Navarrenx -dem nächsten Ort mit Gite- sind es 18 km entlang der Strasse. Erst eine kleine Landstrasse, dann eine grössere Verbindungstrasse mit viel Verkehr. Es fängt dazu wieder heftig an zu regnen. Ich könnte mir jetzt durchaus auch vorstellen, in einem Café zu sitzen. Zumindest solange, bis der Regen weg ist.

Sich selbst zu deprimieren hat natürlich keinen Sinn, daher frohen Mutes weiter. Ich lege die Reflektionsstreifen an, die ich in Figeac gekauft habe. Der Verkehr ist gefährlich, die Autofahrer sehen wenig durch das aufgewirbelte Wasser. Als ich dann endlich in Navarrenx einlaufe, bin ich froh, unbeschadet angekommen zu sein. Ob Simon auch hier ist?

Ich bin völlig durchnässt. Es gibt zwei Gites in Navarrenx, ich kann komischerweise keinen der beiden finden. Auf meine Fragen hin werde ich in eine Bar geschickt. Dort muss ich über eine Stunde warten, weil die Herbergsmutter nicht da ist, sondern nur ihre Tochter. Die Tochter lässt mich nicht in den Gite. Meine Kleider tropfen. Nach einer Weile ist es nicht mehr lustig, aber nichts zu machen. Hoffentlich hole ich mir keine Erkältung.

Dann endlich kommt die Mutter, ich darf in den Gite. Wozu ich warten musste, wird mir nicht klar. Aber gut, der Gite ist in einem normalen Haus mitten in der Stadt untergebracht. Und er ist luxoriös, mit kleinen Grupppen-Zimmern. Ich höre Stimmen aus der Küche. Simon! Und zwei andere Männer, sie sehen jedoch eher aus wie Landstreicher. Simon ist sehr überrascht, mich nach dem Ruhetag hier zu sehen. Ich habe in zwei Tagen knapp hundert Kilometer zurückgelegt. Das merke ich nun aber auch.

Ich dusche erstmal heiss, um wieder aufzutauen. Dann kochen wir, sitzen zusammen und erzählen. Die zwei Burschen gehen aus, wir bleiben im Gite. Recht spät für meine aktuelle Verhältnisse gehe ich schlafen. Innerhalb von Sekunden bin ich eingeschlafen.

Tag 45: Navarrenx(F)-Ostabat(F), 11h, 12°C

Es hat die ganze Nacht geregnet, morgens hat es zum Glück aufgehört. Nach dem Frühstück im Gite gehen Simon und ich gemeinsam los. Die anderen beiden schlafen noch.

Der Boden ist durch den Dauerregen sehr aufgeweicht und ungemein schwer.

Das habe ich vorher schon ein paarmal gesehen unterwegs, konnte es mit aber nicht ganz erklären. Lange Leitern reichen bis in die Baumspitzen. Ich vermute, dass es sich um Anlagen für die Vogeljagd handelt und in den Bäumen Netze aufgespannt werden.

Die Gegend wird immer hügliger, je näher wir den Pyrenäen kommen. Ich habe einige Jahre in der Nähe des Appenzellerandes in der Schweiz gewohnt, die Landschaften ähneln sich stark.

Die Kommune Aroue-Ithorots-Olhaïby heisst auf baskisch Arüe-Ithorrotze-Olhaibi.

In Olhaiby öffnet uns ein Nachbar die kleine Kirche Saint-Just. Der Nachbar bleibt bei uns, wohl damit wir nichts demolieren oder stehlen. Über dem Altar hängt ein brutales Bild, auf dem der heilige Just oder eine andere bemitleidenswerte Person mit einem Krummsäbel geköpft wird.

Nach einer kleinen Mittagsrast ausserhalb der Kirche, bei der uns die Sonne wärmt, geht es wieder weiter.

Eine schöne Landschaft mit lieblichen Hügeln, Tälern und Bächen. Im Frühjahr muss es hier wunderbar sein, wenn die Wiesen im Saft stehen und die Hecken und Bäume blühen.

Gegen Ende des langen Tages wären wir fast am Stein von Gibraltar vorbeigelaufen, der etwas neben dem Weg steht. Dieser Stein von Gibraltar markiert die Vereinigung der drei klassischen Jakobswege über Paris, Vézelay und die Via Podiensis von Le-Puy-en-Velay. Das Wort Gibraltar hat nichts mit der britischen Exklave in Südspanien zu tun, sondern entstammt dem baskischen Chibaltarem, einer alten Aussprache von Salvatorem. Übersetzt als Retter oder Erlöser handelt sich dabei um einen Ehrentitel, den die frühe Kirche Jesus Christus gegeben hat.

Dann erwartet uns wohl eine ordentliche Steigung.

Der Feierabend will heute verdient sein.

Der Anstieg zur Chapelle de Soyarza wird dann allerdings mit einer grandiosen Aussicht auf die nahen Berge und über das hügelige Baskenland entschädigt.

Noch ganz ausser Atem, wir sind den Hügel aus unerfindlichen Gründen fast hochgerannt, sind wird ganz benommen von der Schönheit der Natur.

Übermorgen werden wir die Berge überqueren!!

Bis wir nach Ostabat kommen, ist es dann aber noch ein ganzes Stück, mit etlichen Höhenmetern. Es ist schon fast Dunkel, als wir endlich ankommen. Die Hosen sind fast gleichmässig braun mit einer dicken Schicht Erde verschlammt.

Der Gite in Ostabat ist allerdings geschlossen. Einen Kilometer hinter dem Ort soll ein weiterer Gite sein, eine Privatunterkunft. Von aussen ist beim Näherkommen alles dunkel. Das wäre bitter, nach einem weiteren 50 km Tag durch schweres Gelände noch weiterlaufen zu müssen in den nächsten Ort mit einer Unterkunft.

Nach einigem Klingeln wird geöffnet, eine freundliche Frau gibt uns ein Zimmer und versorgt unsere verdreckten Stiefel. Wenn sie morgen etwas angetrocknet sind, fällt der Dreck von alleine wieder ab.

Als wir in den Speiseraum kommen gibt es eine Überraschung. Es sind noch drei andere Pilger oder Wanderer da, um die 60 Jahre alt. Alle sprechen französisch, mir soll es recht sein. Es gibt baskische Spezialitäten, fette Wurst, Rührei, Fleisch.

Simon und ich schlagen zu, als gäbe es kein morgen. Dazu natürlich Wein (für mich Wasser) und Schnaps (für mich Wasser).

Das Essen zieht sich lange hin. Als wir endlich fertig sind, falle ich wie ein Stein ins Bett.

Tag 46: Ostabat(F)-St-Jean-Pied-de-Port(F), 6h, 15°C

Heute ist ein milder, fast schwüler Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit. Es ist ein relativ einfacher Tag geplant um morgen für den Pyrinäen-Übergang fit zu sein. 20 km sind es nach Saint-Jean-Pied-de-Port auf einer nur leicht profilierten Etappe.

Larceveau, ein kleiner Ort am Weg, immerhin mit einer Bäckerei. Die drei Franzosen von gestern in der Pension sehen wir übrigens nicht mehr. Sie sind mit uns aufgebrochen, gehen es jedoch sehr gemütlich an.

Dann kommen wir nach Gamarthe, einem kleinen Weiler mit 105 Einwohnern. Die Kirche sieht gedrungen aus. Eine Nachbarin hat den Schlüssel und öffnet uns.

Die Tür in der Tür. Eine sehr kleine Öffnung, ich muss mich tief verbeugen, um eintreten zu können. Ob das die Absicht hinter dem kleinen Eingang ist?

Auch die Inneneinrichtung ist interessant. Zwei Emporen, wohl aus Platzmangel in der Kirche angelegt. Aber schon alleine durch die demographische Entwicklung des Ortes wird dieser Platz momentan wohl nicht benötigt. Die Bevölkerungsentwicklung hat sich jedoch immerhin stabilisiert in den letzten Jahren. (Quelle Wikipedia)

1901

1962

1968

1975

1982

1990

1999

214

137

132

113

113

105

105

Saint-Jean-le-Vieux, der letzte Ort vor Saint-Jean-Pied-de-Port. Eine ganz spezielle Art von Grabsteinen auf dem Friedhof am Weg.

Erstmals in Frankreich sehe ich an diesem Grenzort nach Spanien eine Gedenkplatte zum Andenken an die Gefallenen vom Deutsch-Französischen von Krieg 1870/71.

Der Friede von Frankfurt wurde am 10. Mai 1871 in Frankfurt am Main unterzeichnet und beendete diesen Krieg. Frankreich musste die 1681 von Ludwig XIV. annektierten Gebiete, das Elsass (mit Ausnahme von Belfort) und einen Teil Lothringens einschließlich Metz an das Deutsche Reich abtreten. Dies belastete das deutsch-französische Verhältnis schwer. Die Rückgewinnung der verlorenen Gebiete und die Revanche am "Erzfeind" Deutschland stellten bis zum Ersten Weltkrieg ein Leitmotiv der französischen Politik dar. Die Schmach dieses Verlusts war einer der Auslöser für den Hass zwischen den beiden Völkern im Ersten Weltkrieg. Im Ersten Weltkrieg fielen 1.4 Millionen Franzosen und über 2 Millionen Deutsche.

Dann kommen wir nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Das Ende der Via Podiensis ist erreicht. Das Ende Frankreichs ist erreicht, 40 km Luftlinie vom Atlantik entfernt.

Ich habe Frankreich nun von einer sehr ruhigen Seite kennengelernt. Distanzierte, aber höfliche und freundliche Menschen. Gepflegte Landschaften, gut versorgte Tiere. Gutes Essen und Trinken, saubere Unterkünfte. Wenn die fremde Sprache nicht wäre, könnte der Weg genauso gut durch Deutschland geführt haben. Die beiden Völker sind doch recht verwandt miteinander.

Fazit der Wege Via Gebennensis und Via Podiensis: Sehr empfehlenswert, von Genf nach Saint-Jean-Pied-de-Port zu laufen.

Ich bin glücklich und dankbar darüber, nicht am Ende der Pilgerschaft zu sein. Viele Pilger beginnen hier Ihren Weg nach Santiago oder beenden ihn, um nach der Durchquerung Frankreichs zu einem späteren Zeitpunkt den Rest des Weges zu gehen.

Die Nive de Béhérobie, der tieftste Punkt von Saint-Jean-Pied-de-Port. Über dem Fluss geht es aufwärts in die Berge. Doch das hat Zeit, morgen werden wir das angehen.

Am Abend rieglen ETA Sympathisanten die Hauptstrasse ab und demonstrieren lautstark. Ich nehme meinen Mut zusammen und fotographiere die Veranstaltung. Dafür ernte ich böse Blicke und Rufe. Willkommen in der Realität, werter tagträumender Pilger.

Im Gite Sous un Chemin d'Étoiles werden wir freundlich von der Herbergsmutter Jean Hitte aufgenommen. Simon war einkaufen, während ich lange nach einem Internetcafe gesucht habe. Es gibt auch eines, sehr unscheinbar in einer Gaststätte mit angeschlossenem Lebenmittelladen. Ein PC in einer Kammer, die so gross wie eine Telefonzelle ist.

Der Gite füllt sich fast vollständig mit Pilgern. Nach dem wochenlangen Alleinesein ist das etwas ungewohnt für mich. Simon kocht ein nahrhaftes, energiereiches Essen. Nachdem ich für Jean eine Lampe reparieren konnte, bin ich der Liebling der Herbergsmutter, es gibt Café gratis.

In der Nacht werde ich nochmals indirekt mit Terrorismus konfrontiert. Ich liege unten in einem Stockbett. Über mir ein Mann aus Irland, mit völlig entstelltem Gesicht, Händen und Armen. Alles war verbrannt und ist mit vielen Verformungen vernarbt. Als alle in den Betten liegen und eine halbe Stunde schlafen, beginnt das Bett zu schaukeln. Erst bin ich mir sicher warum. Der Mann atmet immer lauter. Nach einer Weile bemerke ich, dass er nicht sportlich tätig ist, sondern sich kratzt. Die Narben jucken wohl fürchterlich. Das Schaukeln, Stöhnen und Kratzen werden immer lauter und schlimmer, es traut sich aber niemand ein Wort zu sagen. Das geht fast die ganze Nacht durch, ich mache kaum ein Auge zu. Ich stelle mir vor, wie der Ärmste durch eine Bombe bei einem Attentat in Belfast verbrannt wird. Oder wie ein Brandsatz zu früh hochgeht, den er legen wollte.

Möglicherweise war auch ein normaler Unfall die Ursache, aber die Situation macht mir wieder einmal deutlich, dass das zivilisierte Europa noch weit von einer echten Zivilisierung entfernt ist. Baskenland, Irland, es gibt etliche Konfliktherde die jederzeit eskalieren können.

Teil IV: Camino Frances

© Copyright 2007 by Andie Kanne