Zurück zum Teil III: Via Podiensis

Tag 47: St-Jean-Pied-de-Port(F)-Roncesvalles(E), 6h, 0°C

Heute steht die Pyrenäenüberquerung an. Die Herbergsmutter Jean aus dem Gite hat jedem dringend abgeraten den Camino zu gehen. Die anderen Pilger aus dem Gite werden alle entlang der Strasse gehen.

Ich fühle mich gut, trotz des schlechten Schlafes heute Nacht. Mit Simon zusammen werde ich den Übergang auf dem Camino wagen, wir haben viel Schnee und schlechtes Wetter gesehen die letzten Wochen und sind gut eingelaufen. Wir müssen von 180 Hm auf 1440 Hm, ansich nicht sehr hoch. Zudem ist durch die milde Witterung der letzten zwei Tage der Schnee sichtbar geschmolzen. Manchmal werden Pilger bei Schlechtwetter angeblich am Anstieg von der Polizei zur eigenen Sicherheit abgefangen. Heute morgen steht niemand am Weg, es kann losgehen.

Während des Aufstiegs beginnt es zu regnen. Wir gehen die Sache langsam an und laufen gleichmässig.

Riesige Vögel begleiten uns und drehen ihre Kreise über uns. In den Pyrenäen gibt es Adler und Geier. Vom Flugbild her handelt es sich hier um Adler, mehrere der Tiere schrauben sich in die Höhe.

Dann beginnt es windig zu werden. Innerhalb kurzer Zeit verwandelt sich der Wind in einen orkanartigen Sturm, der von der Seite her auf uns zurast. Über meinen Rucksack habe ich wegen des Regens die (integrierte) Rucksackhülle gezogen. Der Sturm ist so stark und böig, dass er mir den Regenschutz runterreisst und die Trinkflasche und Matte wegfliegen.

Bis ich die Sachen einsammele ist Simon 100 m weiter. Ich rufe ihm nach, dass er warten soll, er kann mich aber nicht hören wegen des Sturms. Handschuhe raus, auf den Finger pfeifen, nichts zu machen. Dann ziehe ich die Trillerpfeife aus der Hosentasche. Simon ist inzwischen 200m weiter. Der Ton der Pfeife ist wirklich laut und durchdringend, kein Problem gegen den Sturm anzupfeifen. Die Pfeife trage ich seit Jahren mit mir bei Touren, heute ist ihr erster Einsatz, recht überzeugend.

Ich muss den Rucksack besser verschnüren, das dauert eine Weile. Wenn ich schon dabei bin, packe ich auch eine Tafel Schokolade aus und ein kleines Brot. Die Schokolade schiebe ich in das Brot, ich möchte rechtzeitig Energie nachladen. Wer weiss wie das Wetter noch wird. Simon möchte nichts essen, ich esse im Gehen.

Auf den Bildern kann man die Kraft und Aggresivität des Sturms nicht erahnen. Der Wind brüllt so laut, dass man nichts anderes hören kann. Das eigene Keuchen nicht, die Schritte nicht. Durch den Rucksack wird man auf ständig hin- und hergerissen. Ich bin froh um jeden Felsen, jede Kuppe die etwas Windschatten bietet für Sekunden.

Es gibt unterwegs ein paar kleine Windschutzwände aus Beton, wohl für Notlagen. Zum Glück müssen wir sie nicht in Anspruch nehmen.

Nachdem wir etwas von den ungeschützen kahlen Lagen weg sind, wird der Schnee tiefer. Es ist zeitweise schwierig die Wegmarkierungen zu finden. Nur selten sind sie gut sichtbar auf Pfählen angebracht wie diesem hier. Oft sind sie auf die Felsen am Boden gemalt und bei dem Schnee natürlich nur schlecht zu erkennen.

Ein schlichter Pflock mit der Inschrift Navarra. Ist das die spanische Grenze? Wahrscheinlich schon, willkommen in Spanien!

Dann wird es abenteuerlich. Der Schnee ist verweht, teilweise versinke ich bis an die Hüften. Dazu setzt Schneetreiben ein. Im Schnee sind verwehte Reste von Fussspuren zu sehen. Ich gehe davon aus, dass sie auf dem richtigen Weg führen. Das erleichtert die Orientierung, die sehr mühsam wird. Ich gehe vor und spure den Weg. Die Energiebombe vorhin war genau richtig. Das Spuren ist sehr anstrengend, Simon hat Schwierigkeiten, obwohl er hinter mir läuft. Unsere Schritte passen nicht genau, er ist ein Kopf kleiner als ich. Wenn ich nicht den festen Pfad treffe unter der Schneedecke, sinke ich jedes Mal tief ein. Für eine Distanz, die wir normalerweise in wenigen Minuten gehen würden, brauchen wir jetzt eine Viertelstunde.

Nebel zieht auf. Ich bin froh, hier nicht alleine unterwegs zu sein. Pilger, die ihren Camino untrainiert in Saint-Jean-Pied-de-Port beginnen, würde ich bei schlechter Witterung diesen Weg nicht empfehlen. Das kann ganz schön ins Auge gehen, insbesondere, wenn man nicht gut ausgerüstet ist oder in Dunkelheit gerät. Bei gutem Wetter ist die Passage wohl kein Problem und bietet bestimmt schöne Aussichten in die Berge und vielleicht sogar bis zum Atlantik.

Dann haben wir es geschafft, es geht bergab. Das Wetter ist auf dieser Seite wesentlich ruhiger, der Nebel verzieht sich. Es ist wohl etwas wärmer, der Schnee ist sehr nass und dadurch rutschig.

Endlich auch wieder ein ordentlicher Wegweiser. Wir sind auf dem richtigen Weg. Hier oben quert eine andere GR Wanderroute, ich möchte mich nun nicht verlaufen.

Der Abstieg ist spannend, Wegmarkierungen sind nicht einfach zu sehen. Der Weg schlängelt sich durch die Bäume, wir rutschen in hohem Tempo den Pfad hinab. Das ist bei dem Schnee einfacher als langsam zu gehen.

Kurz unterhalb der Schneegranze kommen wir aus dem Wald und stehen unvermittelt vor einer massiven Anlage. Roncesvalles, wir sind nun definitiv in Spanien.

Roncesvalles (baskisch Orreaga, französisch Roncevaux, wörtliche deutsche Übersetzung etwa Tal der Dornensträucher) ist ein Dorf in der Autonomen spanischen Region Navarra. Es liegt am Fluss Urrobi auf einer Höhe von 1.066 m am südlichen Fuß des Ibañeta-Passes (span. Puerto de Ibañeta, frz. Col de Roncevaux).

Die Bekanntheit des Ortes ergibt sich neben seiner Eigenschaft als Pilgerstation durch die Schlacht bei Roncesvalles am 15. August 778. Dabei wurde die Nachhut des Truppenzuges Karls des Großen unter der Führung von Roland durch die ortsansässigen Basken vernichtet, was die historische Grundlage für das fast 10.000 versige Rolandslied bildete.

Das Augustinerkloster aus dem Jahr 1132 ist das alles überragende Zentrum des Ortes, der ansonsten nur 24 Einwohner zählt.

Wir sind recht ausgepowert und essen erstmal, vom Regen geschützt, in einem Durchgang des Klosters. Es ist jedoch zugig und kalt. Im Restaurant am Platz wärmen wir uns dann und trinken eine heisse Schokolade. Wir können im Kloster unterkommen, es gibt dort einen Schlafraum mit Stockbetten. Simon ist Atheist und will eigentlich nicht in einem Kloster übernachten, viel Alternativen gibt es jedoch nicht.

Der Schlafteil hat mit dem Kloster selbst jedoch nicht viel zu tun, er hat auch einen eigenen Zugang. Viele der Pilger von gestern aus dem Gite treffen wir wieder, auch den entstellten Iren. Der ist guter Dinge, als ob nichts gewesen wäre. Das kann ja heiter werden heute Nacht.

Es kommen auch andere Pilger, die ich noch nicht gesehen habe, unter anderem ein Deutscher aus Darmstadt, Ollie. Er studiert, hat Semsterferien und möchte in 20 Tagen nach Santiago laufen. Das stelle ich mir jedoch sehr sportlich vor, immerhin sind es über 800 km.

Im Innern des massiven Kreuzganges liegt meterhoch der Schnee. Der Pater bei der Einschreibung hat uns für heute Abend um 20 Uhr zur Pilgermesse eingeladen. Er gibt uns auch den Tip, dass wir im Restaurant einen Tisch als Pilger reservieren sollten.

Ich mache das und reserviere einen Tisch für 4 Personen. Simon, Ruud aud Holland, Ollie und mich.

Die Kirche des Klosters bietet einen ungewohnten Luxus: Sie ist beheizt. Im Gegensatz zu den Kirchen in Frankreich, die bis auf die Kapellen in Le-Puy und Moissac ungeheizt waren.

Im Altarraum der alten Kirche ist eine interessante Installation mit einem goldenen Himmel. Überhaupt, sehr viel mehr Gold als in französischen Kirchen ist zu sehen.

Altar des Jakobus (des Älteren) , zu dessen Grab ich unterwegs bin. Er heisst auf Spanisch Santiago.

Im Neuen Testament ist Jakobus der Sohn des Zebedäus und der Salome. Er war, ebenso wie sein Vater und sein Bruder Johannes, Fischer am See Genezareth und arbeitete gemeinsam mit Andreas und Simon Petrus (Mt 4,21 und Lk 5,10). Jakobus gehörte wie sein Bruder Johannes und Simon Petrus zu den erstberufenen Jüngern (Mt 4,21). Diese nahmen eine besondere Stellung im Kreis der Jünger ein (Mt 17,1; 26,37 Lk 8,51). Jakobus und Johannes wurden von Jesus wegen ihres Glaubenseifers "Boanerges", Donnersöhne, genannt (Mk 3,17). Nach der Auferstehung befindet sich Jakobus mit den anderen Aposteln in Jerusalem (Apg. 1,13). Unter der Herrschaft des Herodes Agrippa I. über ganz Judäa (41-44 n. Chr.) wurde er 44 n. Chr. mit dem Schwert hingerichtet (Apg. 12,1f). >(Quelle Wikipedia)

Die Messe abends ist sehr eindrücklich. Nur wenige der Pilger sind dort. Einige waren augenscheinlich sehr lange nicht oder noch nie in einer Messe und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Sie werden jedoch ohne Aufsehens integriert. Die Mönche halten eine Begrüssung in den Sprachen der Anwesenden. Ruud aus Hilversum in Holland ist um die 60 Jahre als. Er kann als einziger einen lateinischen Wechselgesang mitsingen. Mit Tränen in den Augen sagt er nach dem Ende der Messe, dass er seit vielen Jahren keinen Gottesdient mehr besucht hätte. Als Kind hat er die Texte gelernt und sie zum ersten Mal seit Jahrzehnten zur eigenen Überraschung intonieren können.

Wir gehen dann in das Restaurant, nach Vorlage des Pilgerausweisses dürfen wir in einem Seitenraum Platz nehmen. El menú del peregrino. Neue Sprache, neues Glück. Spanisch beherrsche ich so gut wie französisch: nicht.

Wir haben einen Tisch für sechs Personen, Neil und seine Frau Terry aus Neuseeland setzen sich zu uns. Zur Vorspeise gibt es Paella. Danach gegrillten Fisch, Kartoffeln und Salat. Der Wein riecht vorzüglich, ich trinke jedoch Wasser. Die Stimmung ist ausgezeichnet.

Als wir das Restaurant nach einer Weile verlassen, liegt kniehoch Schnee. Aus dem Nichts ist eine Weihnachtslandschaft gezaubert worden.

Der Schlafsaal hat sich noch weiter gefüllt und ist fast voll.

Tag 48: Roncesvalles(E)-Pamplona(E), 11.5h, 4°C

Die Nacht war gut, ich hatte mir aus Papiertaschentüchern Ohrenstöpsel gebastelt und konnte durchschlafen. Von dem Iren war nichts zu hören, er war selbst wohl auch so müde nach seinem ersten Tag laufen, dass der Schlaf stärker war als der Juckreiz.

Beim Aufstehen denke ich an den Schnee von gestern abend, der in kuzer Zeit fast knietief gefallen waren. Liegt er heute Morgen hüfthoch? Ich gehe gleich raus, um nachzusehen. Es liegt gar kein Schnee mehr, dafür regnet es stark. Anziehen, fertigmachen, wir gehen los. Erst mal die grosse Meute abhängen, und nachher in einer Bar frühstücken. Ich lege die komplette Regenkleidung an. Es regnet wirklich heftig, überall steht und fliesst Wasser. Innerhalb einer halben Stunde bin ich komplett durchnässt, das Gore-Text kommt gegen diese Dusche nicht an.

In einem Stiefel steht das Wasser, die Gore-Schicht ist also kaputt. Der andere Stiefel hält einigermassen. Wir laufen auf der Strasse, da der Camino überflutet ist.

Die Ortschaften unterwegs sind menschenleer, keine Bar, kein Geschäft. Das ist der erste Unterschied zu Frankreich, wo die Bars schon um 6 Uhr morgens geöffnet haben.

Nach zwei Stunden laufen haben wir ordentlich Hunger. In einem Ort hat sogar ein Geschäft geöffnet, allerdings ohne Schild aussen, wir laufen fast daran vorbei. Es sieht von aussen aus wie ein normales Wohnhaus. Ich kaufe Brot, Käse, Salami und Milch. Und eine Tafel Schoklade, ich habe ja gestern die Notfall-Tafel aus dem Vorrat gegessen. Im Regen im Freien zu essen wäre zu trist, ich rüttle an der Tür einer Turnhalle und - sie ist offen. Es ist eine Pelota Vasca Halle, ein Spiel, bei der ein kleiner Ball mit länglichen Körben an die Wand geschleudert wird, ähnlich wie beim Squash. Wir essen wortlos, es herrscht eine sonderbare Stimmung. Wir sind beide vom Wetter genervt, durchgefroren und durchnässt. Ich möchte noch eine Bar suchen und einen Kaffee trinken, Simon möchte weiterlaufen.

Na gut, kein Problem. Wir werden versuchen uns in Zubiri zu treffen heute Nachmittag und verabschieden uns. Ich werde weiter die Strasse laufen, Simon wird sich auf dem Camino versuchen. Seine schweren Volllederstiefel sind auch nicht ganz geeignet für Asphalt, im Schlamm kann er viel besser abrollen.

Ich finde dann tatsächlich eine Bar und trinke erst mal einen grossen Becher heissen Café, herrlich. Was für ein Wetter! Die Gegend ist aber auch ein Wetterloch, wo der Regen vom nahen Atlantik wohl tagelang hängenbleiben kann. In der Bar sind inzwischen auch andere Pilger eingetroffen. Terry und Neil von gestern abend sind da, die beiden Neuseeländer. Sie haben 6 Monate auf einem OP-Schiff vor der Küste Liberias Menschen kostenlos am Grauen Star operiert. Den Camino laufen sie nun zur Erholung und zum Ausgleich.

Wir gehen weiter. Erstmals laufen Pilger vor mir, wie es wohl im Sommer der Normalfall ist.

Wider Erwarten legt sich dann der Regen. Das Wasser strömt überall von den Hängen und sammelt sich in den Tälern.

In Erro ist der Rio Erro beachtlich über die Ufer getreten. Ich laufe weiterhin auf der Strasse, der Camino scheint mir zu riskant. Es geht nun hoch über der Erro-Pass auf 801 Hm.

Neue Schilder auf der Passhöhe, die Camino-Schilder werden mich quer durch Spanien begleiten.

Die Gegend ist unterwartet bewaldet.

Zubiri, der baskische Ortsname bedeutet Dorf an der Brücke. Die gotische Brücke ist erhalten geblieben und noch heute der Weg der Pilger.

In Zubiri gehe ich auf den Camino. Ich habe Simon nicht angetroffen, er ist schon weitergelaufen, wie ich am Profil seiner Abdrücke im Schlamm sehe. Dafür stosse ich auf Terry und Neil. Die Strasse war wohl ein Umweg, die beiden sind den Pfad gegangen.

Bis Larrasoaña laufe ich mit den beiden. Es ist ihr erster Tag, sie übernachten hier im Gite, wie die meisten der anderen Pilger auch.

Die Kirche von Larrasoaña, der Vorraum ist Nounterkunft für Pilger. Der Ort hat historisch eine grosse Bedeutung für Pilger, es gab früher eine Blasius- und Jakobsbruderschaft sowie ein Augustinerkloster, die sich alle um die Pilger gekümmert haben.

Ich gehe alleine weiter, ziehe das Tempo an, vielleicht kann ich Simon einholen.

Der Baustil hat sich verändert, typisch die unverputzten Steine um die Türe.

De Weg geht längs des Rio Arga. Der beginnt jedoch über das Ufer zu treten. Ich bin jedoch seit Larrasoaña auf der "falschen" Seite des Flusses, gegenüber der Strasse. Entweder muss ich einen Weg finden oder wieder zurück nach Larrasoaña.

Ich gehe seitlich durch die Gebüsche, doch dann wird es wirklich spannend. Ich komme zwischen die Überschwemmungen. Jetzt muss ich durch die dornigen Sträucher. Wenn das einige Kilometer gehen sollte, laufe ich noch in Stunden.

Ich komme dann doch einigermassen zügig durch. Es bleibt jedoch kritisch. Durchgehen oder nicht? Ein frischer Erdrutsch zeigt den Ernst der Lage. Vorsichtig gehe ich an der Stelle vorbei, es ist jedoch lebensgefährlich, wie ich mir erst später eingestehe. Es geht sicher 50 m fast senkrecht abwärts, wenn der Hang nachrutscht hätte ich wenig Chancen.

Dann komme ich gegen Abend in die Vororte Pamplonas. Der Rio Ulzama führt viel Wasser und drückt sich unter der alten Brücke durch. Spaziergänger stehen am Ufer, es ist Samstagabend.

Dann komme ich in die Vororte, Villava-Burlada. Der Weg ist durch gelbe Pfeile an Hauswänden und Schildern markiert, trotzdem verliere ich ihn im Gewimmel aus den Augen.

Dann komme ich nach Pamplona, die erste Stadt seit Genf - ich könnte ehrlich gesagt auf eine Stadt verzichten. Lärm, Gestank und Hektik. Es sind viele Schaulustige auf den Beinen, tiefergelegene Stadtgebiete stehen unter Wasser, meist nur jedoch Hallen, Sportplätze und Gartenlauben. Da ich die Pfeile aus den Augen verloren habe, muss ich am Ende dieser langen Woche noch einen Umweg über eine Haupteinfallstrasse in die Stadt laufen.

Pamplona oder baskisch Iruña ist die Hauptstadt der spanischen autonomen Region Navarra mit 191.865 Einwohnern. Es gibt im Winter momentan keinen Gite, das bereitet mir etwas Sorge. Die Touristeninformation hat geschlossen, ich habe jedoch den Namen einer Herberge. Die suche ich und finde sie dann auch, sie ist mitten in der Altstadt. Ich nehme in der eher zwielichtigen Absteige ein Zimmer für zwei Personen, es liegt auf der Strassenseite. Simon will auch in Pamplona übernachten, und das hier ist wohl die einzige bezahlbare Adresse momentan.

Dann gehe ich aus. Samstagabend in einer Stadt, die das Zentrum der ganzen Provinz ist. Sehr viele Leute sind unterwegs. Ich gehe nach einem kleinen Stadtbummel essen. Danach noch etwas flanieren in meiner verschlammten Kluft, dann gehe ich zurück in die Herberge. Ich frage nach Simon, er ist in der Pension, aber nicht anwesend. Ich kann eine Nachricht in seinem Zimmer hinterlassen. Er hat ein Minizimmer, vielleicht will er ja umziehen, falls er morgen einen Ruhetag machen will wie ich.

Dann lege ich mich schlafen. Diese Woche war anstrengend aber schön. Lange Etappen, viel Regen und Schlamm, aber schöne Landschaften und die Pyrenäenüberquerung.

Tag 49: Pamplona(E), 6°C

Heute Nacht konnte ich keine Stunde duchgehend schlafen. Die ganze Nacht hindurch zogen laut gröhlend Jugendliche durch die engen Strassen, Mädchen kreischten, Glas zerbrach und es wurde gegen Türen getreten. Als es endlich Morgen war, wurde es ruhiger und ich konnte noch etwas schlafen.

Als ich das Haus verlasse, erwartete ich eine Unmenge an Abfall, Scherben und zerstörten Autos. Es ist nichts zu sehen. Die Stadt ist sauber, ich bin beeindruckt. Die Autospiegel sind noch dran und die Scheiben noch drin. Eine grosse Putzkolone muss schon durchgezogen sein.

Simon hat eine Nachricht hinterlassen, er ist heute Morgen bereits weitergelaufen.

Es ist Sonntag, mein Ruhetag. Um 12 Uhr ist Messe in der Kathedrale. Die Spanier sind keine Frühaufsteher, was mich bei den Nächten nicht wundert.

Die Kathedrale ist gross. Schlichte alte Figuren, aber auch sehr viel Prunk, das bin ich nicht gewohnt aus Frankreich.

Mittags sehe ich mir die Stadt etwas an. Viele Menschen sind unterwegs, flanieren durch die Strassen und über die Plätze. Nun bin ich gefühlsmässig wirklich in Spanien, das kenne ich von früheren Reisen in dieses Land.

Seltsam, dass es hier keinen Gite gibt - die heissen nun übrigens Refugios. Es soll wohl einer gebaut werden, aber das wird noch eine Weile dauern. Die Etappen in den Reiseführern gehen auch entsprechend weiter bis Cizur Menor, einem kleinen Ort nach Pamplona.

Ich kaufe mir in einer Apotheke Ohrenstöpsel, um für ähnliche Fälle wie heute Nacht gerüstet zu sein. Danach esse ich zu Mittag, Brot mit Käse und Milch, die ich heute Morgen noch gekauft habe. Dann der verdiente Mittagsschlaf.

Gegen Abend wache ich auf, es regnet leicht. Es sind immer noch viele Menschen unterwegs in der Stadt. Ich gehe in die Iglesia de San Saturnino aus dem 13.ten Jahrhundert, auch San Cernin genannt . Sie hat zwei Chorräume in verschiedenen Baustilen, im rechten Winkel zueinander versetzt.

Die Kirche ist voller Gold und Silber, die Inkas lassen grüssen. Der Ablauf der Messen (die Liturgie) ist viel formaler und strenger als in Frankreich. Die Menschen auch, zumindest auf den ersten Blick. Niemand lächelt mich an in der Kirche.

Ich gehe früh zu Bett, noch eine Nacht in der Pension.

Tag 50: Pamplona(E)-Puente la Reina(E), 7h, 19°C

Die Nacht war ruhig, ich habe durchschlafen können und bin gut erholt. Etwas essen auf dem Zimmer, dann geht es los. Herrliches Wetter, endlich wieder Sonnenschein!

Ich komme schnell aus der Stadt, am Stadtrand noch einen Café trinken und ein süsses Stückchen essen. Die Menschen eilen zur Arbeit, in die Stadt hinein. Ich habe eine andere Richtung, aus der Stadt hinaus Richtung Westen. Jetzt geht es nur noch westlich, eine fast direkte Linie nach Santiago.

Dieses Kreuz steht bei der Universität Pamplonas. Dort gibt es beim Empfang einen Jakobs-Stempel, ich bin ganz stolz auf ihn und mache mich auf den weiteren Weg.

Ich überquere die A15, sie führt über Zaragoza nach Barcelona an das andere Ende der Pyrenäen am Mittelmeer.

Cizur Menor, einige Kilometer hinter Pamplona. Im Refugio dort haben fast alle der Pilger aus Roncesvalles übernachtet, wie ich später erfahre.

Kurz nach der Aufnahme stolpere ich auf diesem Gehweg, es fährt mir dabei dermassen in den Rücken, das ich fast keine Luft mehr kriege. Ich habe noch tagelang danach Schmerzen.

Die Kirche von Cizur Menor, leider verschlossen.

Dann geht es hinaus in die Felder, endlich wieder Natur.

Blick zurück nach Pamplona. Im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen, die ich vor drei Tagen überquert habe.

Zaraquiegui, eine kleiner Ort mit einem interessanten Christusmonogramm.

Das Christusmonogramm, auch Chi-Rho oder Konstantinisches Kreuz genannt, (älter: Christogramm), ist nach dem Kreuz und dem Fisch das am häufigsten verwendete Symbol für Jesus Christus, besonders in der Spätantike.

Zum christlichen Symbol wurde das Christusmonogramm, weil die Ligatur XP die ersten beiden Buchstaben des griechischen Wortes für Christus verbindet, es ist sozusagen eine Abkürzung des Wortes Christus. Denkbar ist auch die Interpretation des Symbols als Abkürzung des lateinischen Wortes Pax (Frieden) um den Friedenswillen des Christentums auszudrücken.

Die Laute "Ch" und "R" werden im Griechischen durch die Buchstaben X (Chi) und P (Rho) repräsentiert, die mit den lateinischen Buchstaben X und P optisch identisch sind.

Konstantin der Große soll seiner Armee befohlen haben, es entweder vor der gegen Maxentius entscheidenden Schlacht bei der Milvischen Brücke 312 oder der gegen Licinius entscheidenden bei Adrianopel auf die Schilde und das neu als Feldzeichen eingeführte Labarum zu malen.

Das Christusmonogramm wird seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. von den Christen verwendet, um ihren Glauben an Jesus Christus darzustellen und um sich untereinander zu erkennen.

Beachtenswert hierbei ist jedoch der Umstand, dass das Zeichen XP von einigen Gelehrten als Abwandlung heidnischer Zeichen für den Sonnengott angesehen wird. So heißt es in dem Buch The Crucible of Christianity von Arnold J. Toynbee: "Die Ligatur Chi-Rho war jedoch schon in christlichen und in heidnischen Texten verwendet worden". (Quelle Wikipedia>)

Im X sind die griechischen Buchstaben Alpha und Omega abgebildet. Sie sind der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Alpha und Omega (A und Ω) stellen nach alter Vorstellung die Schlüssel des Universums dar. Sie sind ein Symbol für das Umfassende, die Totalität, für Gott und insbesondere für Christus als den Ersten und Letzten. Alpha und Omega tauchen häufig als Begleitmotiv zum Christusmonogramm auf.

Die symbolische Bedeutung geht zurück auf die Offenbarung des Johannes 22,13: "Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende." (Quelle Wikipedia>)

Zusätzlich dazu windet sich im unteren Teil ein S um das P sowie ein Kreuzeichen im oberen Teil.

Das S stellt möglicherweise die Schlange dar als Symbol der Sünde. Sie ist am Fuss des Kreuzes abgebildet, Christus hat sie somit besiegt.

Hinter den wenigen Häusern Zaraquiegui sieht man eine Anhöhe, da werde ich wohl hinaufgehen.

Kurz nach dieser Stelle treffe ich Neil und Terry wieder. Am Wegrand ist ein demoliertes Denkmal angebracht für einen Pilger, der hier verstarb.

Dann komme ich auf die Passhöhe Puerto del Perdón. Eine fantastische Aussicht weit in das Land hinein. Die eisernen Pilger trotzen dem ständigen Wind.

Ich habe auf dem Weg hierher zwei Amerikanerinnen überholt, denen ich bisher noch nicht begegnet bin. Sie haben nichts zu trinken dabei und fragen mich nach der Distanz zum nächsten Ort. Ich biete ihnen mein Wasser an und meine, dass es noch einige Kilometer sind. Sind lehnen dankend ab und nehmen stattdessen eine kleine Portion flüssige Kohlenhydrat-Lösung zu sich. Jetzt wird es ja einfach, meinen sie.

Ich möchte sie nicht vom Gegenteil überzeugen, der Abstieg wird nicht einfach werden.

Auf der Anhöhe sind viele Windräder, das habe ich nicht erwartet in Spanien und bin erfreut.

Am Horizont das Ziel der nächsten Tage, ganz leicht sind hinten rechts schneebedeckte Berge zu sehen.

Dann beginne ich mit dem Abstieg vom Pass, nachdem ich noch Brot und Käse gegessen habe.

Der Abstieg ist mühsam. Wochen später höre ich, dass Neil eine der Amerikanerinnen hinutergeschleppt hat. Sie hat sich bereits nach einigen hundert Metern Abstieg die Knie kaputtgelaufen und kann nicht mehr gehen.

Uterga, ein kleiner Ort in der Morgensonne. Leider gibt es keine Bar, ein Café wäre jetzt genau richtig.

Die Sonne wärmt jetzt richtig. Ich habe die komplette Kleidung an, die warm genug für Eistage ist. Nach nur wenigen Stunden geniessen wird die Wärme jetzt schon fast unangenehm. Der Wind ist noch eisig kalt, ich kann meine Jacke nicht ausziehen und lege dafür die Innenjacke (Pullover mit Reisverschluss) ab.

Muruzábal, 296 Einwohner. Hier geht ein Umweg ab zur Kirche Eunate, die der Führer als empfehlenswert beschreibt.

Ich entschliesse mich, den Umweg zu gehen. Das Wetter ist wunderbar, 3 km extra machen da nicht allzuviel aus. Eunate liegt auf dem Camino, der vom Somport-Pass her kommt.

Dann komme ich nach Santa Maria de Eunate und bin begeistert. In der Nähe finden Bauarbeiten statt mit schwerem Gerät. Als ich ankomme, beginnt die Mittagspause und die Arbeiter fahren weg. Es ist still.

"Die Kirche hat einen achteckigen Grundriss und eine außen fünfeckige und innen halbrunde Apsis. Das Oktogon ist kunstvoll mit zwei Portalen und Arkaden versehen, die kleinen Fenster sind aus Alabaster, die Kapitelle und die Portale sind reich verziert. Mozarabische Einflüsse lassen sich an den wulstigen Rippen ablesen, die sich, von den Pfeilern ausgehend, in der Kuppel des Kirchenraums treffen und das Gewölbe tragen.

Außen ist die kleine Kirche parallel zur Außenwand in einigen Metern Abstand von Arkaden umbaut, die dem Bauwerk wohl zu seinem Namen verholfen haben (baskisch: Eunate - hundert Tore, hunderttorig). Der Arkadenumgang ist wiederum von einer Mauer umgeben. Aus den fehlenden Bauspuren schließt man, dass es zwischen Kirche und Arkadenumgang nie eine Überdachung gegeben hat, wie sie andernorts zum Schutz der Pilger vor Witterung und als Übernachtungsmöglichkeit errichtet wurde.

Die Kirche wurde vermutlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im romanischen Stil und mit mozarabischen Einflüssen erbaut. Da sie von keiner Siedlung umgeben ist und bei Grabungen Gräber mit Muscheln als Grabbeigaben entdeckt wurden, liegt die Vermutung nahe, dass sie als Friedhofs- oder Hospizkirche für Pilger diente. Möglicherweise war sie aber auch eine Kapelle, die die Templer als Heiliggrabkirche nutzten, dafür spricht die Vorliebe – weil orientiert an der Grabeskirche in Jerusalem – der Templer für den Zentralbau. Zudem besteht eine Ähnlichkeit zur nahe gelegenen Heiliggrabkirche in Torres del Río.

Die Lage der Kirche, ihre teilweise ungeklärte Geschichte sowie die spezielle Stimmung in der Kirche regten viele Menschen zu Spekulationen an. So existiert in der Gegend der Kirche eine Sage, die die Ähnlichkeit des Kirchenportals mit dem einer anderen nahen Kirche dem Wirken übernatürlicher Kräfte zuschreibt, während sie wohl nur Beleg für das Wirken des gleichen (unbekannten) Steinmetzen ist. Weiterhin glauben Anhänger bestimmter esoterischer Richtungen, dass Eunate neben Notre Dame de Paris und dem Taj Mahal einer der vier Kraftorte dieser Erde sei." (Quelle Wikipedia)

Die Kirche ist klein und schlicht. Ich sitze eine Weile darin und geniesse die Atmosphäre. Dann singe ich einige Lieder, kann fast nicht mehr aufhören, die Akustik ist phantastisch.

Die Statue der Maria mit ihrem Sohn Jesus fasziniert mich ungemein. Ich meine selten eine schönere und ausdrucksstärkere Darstellung gesehen zu haben.

Diese Kirche ist jeden Umweg wert. Ich bin froh, alleine hier zu sein und die Stille geniessen zu können.

Der Weg geht dann weiter auf dem Camino vom Spomport-Pass her.

In Obanos sehe ich die Strassenarbeiter von Eunate, sie sind in einer Bar und essen. Die Kirche ist leider verschlossen, sie ist aber auch "nur" neugotisch, also um 1910 erbaut.

Es wird immer wärmer, aber ich habe nicht mehr lange zu gehen heute. In Puente la Reina soll es ein gutes Refugio geben.

Puente la Reina (Gares auf baskisch) ist ein Ort mit rund 3.000 Einwohnern in der autonomen Region Navarra. In Puente la Reina vereinigen sich zwei Stränge des Jakobsweges, der aragónische Weg und der navarrische Weg. Den navarrischen Weg bin ich gekommen von Roncesvalles her. Der gemeinsame Weg führt dann über die gleichnamige Brücke, die den Fluss Arga überspannt.

Die Kirche Iglesia del Crucifijo des ehemaligen Templerklosters aus dem 13./14. ten Jahrhundert. Ein Storch hat sein Nest auf dem Turm angelegt. Das werde ich in der Folge in Spanien noch oft sehen.

Das Refugio ist in Ordnung, leider ebenerdig ohne das jemand aufpasst. Es sind ständig irgendwelche Leute vor her Herberge. Ich hoffe, dass meine Gepäck sich nicht selbsständig macht. Es kommen weitere Pilger an, einige kenne ich aus Roncesvalles, andere habe ich heute überholt. Ich mache wie jeden Tag meine Wäsche, setze mich dann barfuss in die Sonne und geniesse die Wärme.

Als dann immer ein Pilger da ist, gehe ich in den Ort.

Das romanische Portal stammt von der Kapelle, die hier vorher stand.

Das spätgotische Y-Kreuz soll aus dem Rheinland stammen.

Die Mariendarstellung ist ähnlich wie die in Puente la Reina, hat aber lange nicht die Ausstrahlung.

Hundert Meter weiter steht die Santiago-Kirche aus dem 12.-16.ten Jahrhundert.

Das Portal dieser Kirche ist ein typisch navarrisches, romanisches Zackenportal.

Im Innern der inzwischen schon übliche Goldprunk.

Die wappengeschmückten Adels- und Bürgerhäuser entlang der alten Hauptstraße sind gut erhalten. Bei vielen finden sich kunstvoll gearbeitete Dachsparren, ein Merkmal der navarrischer Architektur.

Die berühmte Brücke über den Arga, über die hunderttausende Pilder gezogen sind. Auch hier hat es die letzten Tag wohl stark geregnet, es sind Spuren von Hochwasser zu sehen, das Wasser ist ganz braun vom Schlamm.

Das stark befestigte Tor zur Brücke. Die Stadt war mit einer Stadtmauer gesichert, die 1235 durch die Templer gebaut worden war. Nach dem Verbot der Templer übernahmen die Johanniter den Ort.

Gegen Abend ist ein grosser Menschenauflauf vor der Santiago-Kirche. Ich gehe mit rein, es ist Gedenkgottesdienst, eine Frau ist verstorben. Der ganze Ort ist versammelt.

Nach dem Gottesdienst werde ich im Refugio eingeladen zum Essen. Die meisten Pilger sitzen am Tisch zusammen, einige liegen sehr früh in den Betten, sie sind kaputt von ihren ersten Etappen.

Tag 51: Puente la Reina(E)-Los Arcos(E), 11h, 24°C

Ein herrlicher Morgen, sonnige und klare Luft. Ein Bar hat geöffnet, erstmal einen Café und ein süsses Stückchen, dann geht es los. Glücklicherweise verteilen sich die Pilger, ich laufe alleine, niemand vor oder hinter mir zu sehen.

Mañeru, 380 Einwohner. Einige der Wegmarkierungen sind hier zu sehen. Am Baum das bekannte rot-weisse Zeichen des GR, darüber ein gelber gemalter Pfeil. Am Ortsschild das Zeichen der Muschel und ein gedruckter Pfeil.

Gestern eine einzelne Blüte an einem Baum, heute steht schon ein ganzer Strauch in Blüte.

Blick auf Cirauqui (baskisch Zirauki). Der Name bedeutet im baskischen Kreuzotternest.

Cirauqui hat einen geschlossenen mittelalterlichen Ortskern mit einem massiven Eingangstor.

Die Kirche San Roman auf dem Hügel in der Stadt.

Fantastisches Portal an der Kirche.

Aber auch die Profanbauten haben teilweise sehr schöne Türen.

Nach dem Ort kommt man über eine alte Römerbrücke. 2000 Jahre alt!

Überhaupt führt der Camino an etlichen Stellen auf den alten römischen Strassen. Und die Römer werden sicherlich früher auch alte Wegenetze benutzt und ausgebaut haben. Der alte Camino wiederum ist heute teilweise Autobahn.

Die Brück über den Fluss Salado wirkt etwas mitgenommen. Die Deckschicht fehlt, der Weg geht direkt auf den Gewölbebögen.

Ein Tunnel unter der neuen Autobahn durch.

Lorca, ein kleiner Ort mit verschlossener Kirche.

Die ersten grünen Bäume in diesem Jahr!! Sie stehen am Ortsrand von Villatuerto.

Der Weg führt vorbei den der Ruine der Iglesia del santo sepulcro. Kurze Zeit später muss man eine Strasse überqueren. Dort steht ein Gedenkstein für eine tödlich verunglückte Pilgerin aus Kanada.

Eine Weile später komme ich nach Estella. Dieser Ort wäre eigentlich ein Aufenthalt wert. Es ist allerdings früh am Nachmittag, ich möchte noch ein Stück dranhängen.

Estella hat 13.700 Einwohner und ist somit einer der grösseren Orte am Camino. Es gäbe einige interessante Bauwerke zu sehen, die allerdings verschlossen sind. Ich trinke einen Café und gehe weiter. Von Puente la Reina hierher waren es 21 km, wegen der Wärme spüre ich die Distanz heute mehr als normal.

Nun soll laut Führer etwas ganz besonderes kommen, das Kloster und die Kelterei Irache.

Und tatsächlich, es ist wahr! Das Weingut Irache hat aussen zwei Zapfhähne. Einen für Wasser, und einen für .. Rotwein. Wein, soviel man trinken kann. Ohh, der selbst auferlegte Alkoholverzicht wegen der Fastenzeit fällt mir in diesem Moment unendlich schwer.

Ich genehmige mir den ersten (und im weiteren auch einzigen Schluck) Wein während der Fastenzeit. Ich möchte die Tradition waren und auch wissen, wie der Wein schmeckt: vorzüglich!

Die Quelle ist durch eine Webcam im Internet einsehbar. Ich schicke eine SMS in die Heimat, die Familie kann mich nun zum ersten Mal seit 51 Tagen sehen. Sie lachen über meinen Vollbart!

Das Kloster Irache, leider verschlossen.

Die Felskante im Hintergrund habe ich bereits gestern vom Pass Puerto del Perdón aus gesehen.

Dann geht es weiter bergauf, durch den kleinen Ort Azqueta.

Beim Blick zurück sehe ich rechts am Horizont letzmals die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen.

Dann komme ich nach einem ordentlichen Aufstieg zur eingefassten Mauren-Quelle La Fuente de los Moros. Von aussen sieht sie aus wie ein Tempel. Wegen dem Gelächter von der Quelle innen vergesse ich das Aussenfoto. Drinnen sitzt ein Pärchen, beträchlich angeheitert. Sie haben alle verfügbaren Behälter voll mit Wein aus Irache. Sie wären vorher schon einige Stunden an der Quelle gewesen, meinen sie. Es sind Australier, sie laden mich ein, mit Ihnen zu feiern. Ich mache kurz Pause, die beiden haben grossen Spass. Als das Mädchen bei der Jagd auf einen Frosch fast ins eiskalte Wasser fällt, mache ich mich wieder auf den Weg. Habe noch ein ganzes Stück zu gehen.

Kurz nach der Quelle kommt der Ort Villamayor de Monjardín, auf 605 Hm. Eine weite Aussicht über das Land.

Die Kirche San Andrés Apósto aus dem 12.ten Jahrhundert im navarrisch-vorgotischen Stil. Der Turm ist wesentlich jünger, aus dem 17.ten Jahrhundert.

Dann geht es hinab in die Ebene.

Die letzten Kilometer ziehen sich arg in die Länge, auch weil weit und breit kein Ort zu sehen ist.

Und dann, wie im Wilden Westen, liegt im Sonneuntergang ein Ort vor mir, Los Arcos. Das Refugio ist recht voll, ich kenne jedoch niemanden. Die Herberge hat einen etwas anderen Stil wie bisher, eher wie ein Backpacker Hostel mit viel Flair.

Die Glocken läuten zur Abendmesse, ich lasse mein Gepäck zurück und mache mich auf. Obwohl ich kein spanisch spreche, kommt mir das Spanisch des Pfarrers nicht ganz spanisch vor. Und in der Tat, nach der Messe werden die Pilger (also ich) nach vorne gerufen und gesegnet. Der Pfarrer ist ein Pole. Ganz wie in Deutschland und anderen westlichen Ländern werden die Pfarrstellen inzwischen oft von Ausländern übernommen.

Ich kaufe ein bisschen ein, koche etwas und lege mich schlafen. Bin müde und kaputt.

Tag 52: Los Arcos(E)-Navarette(E), 9h, 24°C

Ich habe gut geschlafen und bin erholt. Es gibt dazu ein gutes Frühstück im Refugio, das muss ein guter Tag werden.

Wieder ein wunderbarer Morgen, die Sonne scheint, dazu es ist kühl.

Auf den Äckern steht bereits sattes Grün.

An dieser Stelle wurde 1099 ein Pilgerhospiz eingerichtet, heute ist davon nicht mehr zu sehen.

Sansol, ein kleiner Ort mit etwas über 100 Einwohnern. Diese Gegend dürfte die mit am dünnsten besiedelte sein bisher: nur 8 Einwohner pro km>2.

In Torres del Rio steht die Kirche Iglesia del St Sepulcro aus dem 12.ten Jahrhundert. Sie ist achteckig, die typische Bauform der Templer. Der Ort was wohl ein Templerstützpunkt, sie haben den Camino gesichert und die Pilger vor Übergriffen geschützt.

Im Reiseführer steht wo man den Schlüssel erhalten kann für die Kirche. Leider ist niemand da, das Innere hätte mich sehr interessiert.

Ein paar Meter von der Kirche entfernt sehe ich einen interessanten Türsturz. Es sind drei Kreuze darin eingeschlagen. Das Alter kann ich nicht gut einschätzen, ich vermute aber, dass es eine relativ neue Arbeit ist.

Links das Kreuz das Tau-Kreuz der Frankziskaner. Tau ist ein griechischen Buchstabe und wurde von Franziskus von Assi als Bußezeichen verwendet. In der Mitte das Y-Kreuz oder der Gänsefuss (habe ich in Puente la Reina in der Iglesia del Crucifijo vorgestern mit Korpus gesehen, siehe oben). Rechts das Kreuz der Templer.

Nach dem Ort geht es gleich wieder hinaus in die Felder.

Dann sehe ich einen Hasen am Weg sitzen. Er muss krank sein, sonst würde er nicht freiwillig in der Nähe eines Menschen bleiben.

Eine aus Steinen geschichtete Schutzhütte. Das habe ich seit den Schäferhütten in Südfrankreich nicht mehr gesehen.

Dann komme ich nach Logroño, der Hauptstadt der Provinz und der Autonomen Region La Rioja. Sie hat momentan 146 tausend Einwohner. Die Stadt liegt auf einer Höhe von 386 m.

In kenne nicht viele spanische Flüsse, den Ebro kenne ich als typische Kreuzworträtsel-Frage seit meiner Jugend. Jetzt überquere ich nach dem Rhein und der Rhône noch den Ebro zu Fuss, das ist schon etwas Besonderes und macht mir die Dimension der Pilgerschaft und mein grosses Glück wieder bewusst.

Die Kirche Iglesias de Santiago mit der bekannten Darstellung des Santiago Matamoros, dem Mauren-Töter. Jakobus soll den christlichen Heeren der Reconquista bei mehreren Gelegenheiten zu Pferd zur Hilfe gekommen sein, um trotz Unterzahl die maurischen Heere zu besiegen.

Auffallend bei der Darstellung ist das übergrosse Geschlechtsteil des Pferdes, es soll die Schmach der Mauern symbolisch wohl noch vergrössern.

Nach dem Verlassen des Altstadtkerns komme ich schnell in die vorgelagerten Stadtteile. Ein fürchterlicher Gedanke, hier wohnen zu müssen.

In den (zum Glück wenigen) Städten habe ich meist Schwierigkeiten, die Wegzeichen zu finden. Hier ist der Pfeil gut sichtbar am Pflanzenkübel angebracht.

Blick zurück auf Logroño. Zwischen der Stadt und dem See waren sehr viele Menschen unterwegs, nun bin ich wieder fast alleine.

Ich habe mir einen schmerzhaften Sonnenbrand auf den Handrücken eingehandelt. Um schlimmeres zu verhindern muss die Handschuhe anziehen. Sonnencreme gibt es hier nicht zu kaufen.

Nach dem Hasen heute morgen sehe ein zweites Tier, zu meiner grossen Überraschung eine Schlange. Sie wärmt sich auf dem Asphalt, verschwindet aber, als ich näherkomme.

Dann führt der Camino neben der Autobahn entlang. Pilger haben tausende Kreuze in den Schutzzaun gesteckt aus Ästen, Drähten und Hölzern, allem möglichen was am Weg liegt. Ich flechte auch ein Kreuz ein. Von den Autos aus wird man das wohl nicht sehen. Für die Autofahrer sind grosse Informationsschilder angebracht, dass sie sich auf dem historischen Camino befinden.

Und dann sehe ich den Stier auf dem Hügel. Vor fast zwanzig Jahren bin ich mit Freunden mit dem Auto nach Portugal gefahren, und habe an der Autobahn so einen Stier gesehen als Werbung für Brandy (der Marke Veterano von der Firma Osborne). Ich erinnere mich gut daran, denn ich war damals sehr beeindruckt von diesem Werbegag. Ob es dieser Stier war? Die Gedanken verursachen ein Flash-Back. Auf einmal erinnere ich mich an viele Details dieser Zeit, an die ich lange nicht mehr gedacht habe. So ähnlich muss das wohl im Alter sein, wenn immer mehr Erinnerungen an die eigene Kindheit deutlich werden.

Ich bin geschafft für heute, es ist wiederum recht warm geworden am Nachmittag. Wie im Reiseführer versprochen hat der nächste Ort Navarette ein Refugio. Neu ausgebaut, gerade wiedereröffnet für die neue Saison.

Der Bart, der mein Gesicht in den letzten Wochen vor Schnee, Kälte und Sonne geschützt hat, stört mich jetzt bei der Wärme. Nun fängt er an zu jucken. Ich wollte schon in Puente la Reina zum Barbier, der hatte aber geschlossen. Hier hat einer geöffnet, ein klassisch südländischer Babier, wie erhofft. Herrlich, eine Rasur mit Schaum und Messer! Danach fühle ich mich nackt im Gesicht, ganz ungewohnt. Auch die Haare lasse ich mir schneiden, wenn schon - denn schon.

Zur Feier des Tages gehe ich essen. Im Freien, an einem Vorplatz der nahen Kirche. Fast sommerliche Stimmung, Kinder spielen, die Eltern trinken Wein. Ich esse Pilgermenü, zur Vorspeise einen Teller Spaghetti, danach gegrillten Fisch als Hauptgericht mit einer Flasche Mineralwassser. Das ganze für 8.50 EUR, da kann man nichts sagen.

Nach dem Essen möchte ich noch einkaufen, aber es gibt kein Brot mehr und auch keine bezahlbare Sonnencreme.

Beim See hinter Logroño habe ich unter den vielen spanischen sonnenhungrigen Menschen auf Rollerskates, mit Kinderwagen und schon oben-ohne auch ein paar Leute mit Rucksack getroffen. Eine Deutsche und ein österreichisches Paar, um die 60. Er ist vor Jahren schon einmal gelaufen und sehr ambitioniert, sie hat wohl Probleme mit dem Knie, hatte vor kurzem erst eine Operation. Wir sind nun zusammen im Refugio. Eine etwas seltsame Atmosphäre, die Frau tut mir leid. Die erste deutschsprachige Gruppe, aber es kommen keine Heimatgefühle auf.

Tag 53: Navarette(E)-St-Domingo-de-la-Calzada(E), 10h, 18°C

Ich frühstücke etwas im Gite, die Österreicher gehen ohne Frühstück los. Es ist wieder sonnig, aber recht kalter Wind. In Ventosa treffe ich sie wieder, sie konnten kein Frühstück kaufen, die Bar ist ebenfalls geschlossen. Die Stimmung ist entsprechend gedämpft. In Najera sehe ich sie später wieder aus einem Cafe, sie fahren mit dem Bus. Für die Frau mit ihrem operierten Knie ist das wohl auch das Beste.

Ein Bauer fährt mit einem Pferdewagen zu einem Acker.

Ein wunderbarer kleiner Pfad. Etwas später muss man neben einer stark befahrenen Strasse gehen, umso mehr geniesse ich die ruhigen Passagen.

Dann ein unschönes Erlebnis, das mich lange ärgert. Jemand hat den Rain angezündet, das wunderbare Schilf wird abgefackelt. Übrig bleibt eine verbrannte Einöde. In den wenigen verbliebenen intakten Schilfstellen am Weg sind viele Tiere zu hören und sehen. Wie kann man nur so etwas machen?

Nach einem langen Tag über grösstenteils einsame Strecken ohne einen Menschen zu sehen, komme ich nach Santo Domingo de la Calzada in der Región La Rioja. Ich fühle mich gerädert. Eine heisse Dusche im guten Gite erweckt meine Lebensgeister wieder etwas. Ich erhalte von der freundlichen Herbergsmutter eine Creme gegen den Sonnenbrand auf dem Handrücken. In Najera gab es sogar einen Schlecker Markt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so darüber freuen würde. Ich erhalte dort die bekannte, preisgünstige Sonnencreme, Schutzfaktor 20.

Ich gehe barfuss auf meinem Badeschlappen noch in den Ort, es ist nun mildes Wetter, windgeschützt im Ort. Die Kirche mit dem berühmten Hühnerpaar ist leider verschlossen.

"Das sogenannte Hühnerwunder von Santo Domingo de la Calzada ist eine Legende, die eng mit dem Jakobsweg verbunden ist. Zur Hochzeit der Wallfahrt nach Santiago de Compostela soll eine Pilgerfamilie aus Xanten nach Santo Domingo de la Calzada gekommen sein. Sie übernachteten in einem Wirtshaus. Die Wirtstochter fand den Sohn der Familie sehr attraktiv,

der - fromm und keusch - ihr Angebot aber zurückwies. Die Zuneigung der Wirtstochter wandelte sich bösen Zorn, sie sann auf Rache und versteckte einen Silberbecher in seinem Gepäck. Der Wirt bemerkte am Folgetag den Verlust und schickte die Stadtbüttel aus, die auch schnell fanden, was sie suchten. Der junge Mann wurde nach kurzem Prozess aufgehängt und die Eltern zogen traurigen Herzens weiter nach Santiago. Auf dem Rückweg kamen sie wieder an der Richtstatt vorbei, wo sie ihr Sohn ansprach, dass er gar nicht tot sei, weil ihn (Version 1) Santiago bzw. (Version 2) Santo Domingo gehalten hätten. Die Eltern liefen daraufhin zum Richter, der vor einem Teller gebratener Hühner saß, und berichteten das Vorgefallene. Der Richter antwortete, dass ihr Sohn so tot wie die beiden Hühner vor ihm wären, worauf diese sich erhoben und davonflatterten. Nun wurde der Sohn ab- und die Wirtstochter aufgehängt, die Familie zog weiter nach Hause.

Diese Legende existiert in vielen Versionen auch jenseits des Jakobsweges. Auch künstlerische Verweise auf das Wunder finden sich immer wieder". Quelle: Wikipedia

"Dieses Hühnerwunder ist das in Deutschland bekannteste und verbreitetste Jakobuswunder. Es ist in Rothenburg und in Winnenden zu sehen, ebenso auf vielen Altarbildern, wie z.B. das in Kempen. 1903 wurde in Überlingen in einer Jodokkapelle Fresken aus dem 15.Jh. entdeckt, die das Hühnerwunder als Bildergeschichte erzählen. Ein besonderes Kuriosum hierzu dürfte es in der Jakobuskapelle neben der alten Fuldaer Stiftskirche gewesen sein. In ihr soll "es bereits im 14.Jahrhundert einen Altar mit der Bezeichnung 'auf der Hünner Hort' gegeben haben. Es handelt sich wahrscheinlich um den Altar über einem Hühnerstall, der dem Hühnerkäfig in Santo Domingo de la Calzada wohl nachempfunden war." Quelle: http://www.jakobus-info.de/compostela/99.htm

Tag 54: St-Domingo-de-la-Calzada(E)-Ages(E), 12h, 13°C

Bewölkter Himmel, es weht ein frischer Wind heute Morgen. Ich spüre meine Füsse recht ordentlich, das Anlaufen fällt mir schwer.

Im ersten Ort Grañón kaufe ich mir in ein paar süsse Stückchen, eine Bar für einen Café dazu hat leider nicht geöffnet. Als ich die Bäckerei verlasse, kommt ein Züchter und bringt dem Bäcker einen Eimer mit fangfrischen Krebsen. Sicher eine Delikatesse!

Guten Weg wünscht mir das Schild. Danke.

Redecilla del Camino in der Provincia Burgos, 146 Einwohner. Alle Ortschaften am Camino haben am Ortseingang nun eine Informationstafel mit der Angabe der vorhandenen Infrastruktur und einem Ortsplan.

Castildelgado, 70 Einwohner.

Ich sehe drei Pilger vor mir. Nach einer Weile habe ich sie eingeholt. Ein Brasilianer, Argentiner und ein Spanier, junge Burschen, um die 25 Jahre. Den Brasilianer treffe ich im weiteren Verlauf bis Santiago immer mal wieder.

Belorado, ein vergleichsweise grosser Ort mit 2100 Einwohnern. Die drei Burschen habe ich hinter mir gelassen. Ich bin jedoch müde und muss mich konzentrieren, um nicht in ein Humpeln zu verfallen. Das würde die Gelenke einseitig belasten, das kann ich nicht brauchen.

Ein grosses Storchennest auf dem Kirchturm von St. María in Belorado. Ich mache eine kurze Rast und esse Brot mit Honig, um schnell zu Kräften zu kommen.

Die Kirche St. Rochus in Villambistia.

Der Pilgerbrunnen in Villambistia ist im Sommer sicher eine sehr willkommene Erfrischung.

Viele Häuser im Ort verfallen, das sehe ich in der Folge in Spanien leider noch häufig. Mittendrin stehen dann noch einzelne bewohnte Häuser.

Die Ruine der Abtei San Felices. Hier stand im 10.ten Jahrhundert ein mozarabisches Kloster. Der Gründer von Burgos, San Felices, soll hier begraben liegen.

Ich komme nach Villafranca de Oca. Eine Unterkunft wäre jetzt gut, ich würde mich erst einmal Schlafen legen. Die Herberge hat auch geöffnet, allerdings liegt sie direkt an der lauten Strasse. Ich entschliesse mich weiterzugehen, ich würde mich über den Verkehr und den Gestank der Abgase nur aufregen.

Nach einem Kilometer treffe ich den Österreicher von vorgestern nacht wieder. Er ist mit dem Bus nach Villafranca gekommen. Vor Jahren ist er hier schon einmal gelaufen und ist nun melancholisch, dass er wegen der Kniebeschwerden seiner Frau den Weg nicht gehen, sondern nur etwas spazieren kann. Ich kann ihn gut verstehen.

Ich sehe einen schneebedeckten Berg vor mir. Der Weg geht nun durch ein grosses Waldgebiet und zieht sich scheinbar endlos.

Als ich das Kloster San Juan de Ortega vor mir liegen sehe, beginnt es zu regnen. Hier möchte ich gerne übernachten und freue mich über die Ankunft.

Das Kloster ist ein grosser Gebäudekomplex. Ich klingele an der Pforte, es wird jedoch nicht geöffnet. Ein paar Meter weiter ist eine kleine Gastwirtschaft. Das Kloster hat im Winter geschlossen, ich bin sehr enttäuscht über diese Nachricht. Der Wirt bietet mir an, mich mit dem Auto zum nächsten Ort zu fahren. Ich lehne dankend ab. Eine Cola bringt die Lebensgeister zurück, ich mache mich auf den Weg, hoffentlich das letzte Stück für heute.

Es beginnt zu dämmern, als ich nach weiteren 4 Kilometern nach Ages komme. Hier hat eine Herberge geöffnet. Ich treffe einen älteren Spanier an, den ich heute morgen bereits in Grañón gesehen habe. Er spricht allerdings nur spanisch, was eher selten ist. Die meisten Pilger um diese Jahreszeit sprechen zumindest auch Englisch.

Ich habe Hunger, allerdings kann ich kaum essen. Der Kreislauf dreht noch auf Hochtouren und will nicht zur Ruhe kommen. Auch die Nacht ist unruhig, ich wache desöfteren auf. Hoffentlich hole ich mir keine Probleme an die Füsse. Übermorgen ist zum Glück Sonntag, Ruhetag.

Tag 55: Ages(E)-Burgos(E), 6h, 11°C

Der Morgen beginnt vielversprechend, blauer Himmel, zumindest stellenweise.

Der Ort Atapuerca liegt in der Provinz Burgos in der autonomen Gemeinschaft Kastilien-León.

Seit dem Jahr 2000 steht Atapuerca auf der Liste der Weltkulturerbe. Atapuerca ist bekannt durch Hominidenfunde. 1992 entdeckte man in Karsthöhlen der Sima de los huesos die

Überreste von dreißig Skeletten des Homo heidelbergensis, eines direkten Vorfahren des Neandertalers. Die Anlage ist früh am Morgen noch geschlossen.

Wunderbare Aussicht auf den schneebedeckten Gipfel, an dem ich gestern vorbeigelaufen bin.

Beim Aufstieg auf einen Hügel sehe ich den Spanier von der Herberge wieder. Er ist vor mir aufgebrochen heute Morgen, nachdem er ein Zigarettenfrühstück genommen hat. Ich brauche morgens mehr Zeit und ein echtes Frühstück als Grundlage.

Leider weiss ich den Namen des Spaniers nicht mehr. Wir laufen zusammen nach Burgos ein.

Vor uns liegt die Stadt, mitten in der Ebene. Burgos! Ich freue mich sehr auf die Kathedrale, sie muss grandios sein. Es sieht fast aus, als ob die Stadt zum Greifen nahe ist. Es sind jedoch noch 20 km zu gehen.

Cardeñuela Riopico, eine der kleinen Ortschaften auf dem Weg heute. Wir gehen in eine Bar, ein starker Café ist jetzt genau das richtige.

Bei den ersten Häusern von Burgos nimmt der Spanier den Bus in die Stadt.

Ich verliere in den wenigen Grossstädten auf dem Weg schnell die Zeichen aus den Augen. Samstagvormittag, die Stadt ist voll mit Menschen.

Bevor ich in das Stadtzentrum gehe, möchte ich die Karthause Milaflores besuchen. Sie liegt einige Kilometer vom Zentrum entfernt, aber einigermassen auf meinem Weg heute. Der kleine Umweg bietet sich daher an.

Cartuja de Miraflores. Die Cartuja aus dem 15.ten Jahrhundert beinhaltet die Grabmäler von Juan II. und Isabella von Portugal. Außerdem schuf der Baumeister Gil de Siloé hier noch zwei weitere Meisterwerke, den Hochaltar und das Grab des Kindes Alfonso.

Am Portal eine ungewohnt schlichte Darstellung im Tympanon, eine Pietà. Das ist die Darstellung Marias, der Mater Dolorosa, mit dem Leichnam Jesu Christi auf dem Schoss.

Am Río Arlanzón entlang komme ich dann in die Stadt. Ich bin müde, die Füsse schmerzen, aber die Aussicht ist grandios.

Die Kathedrale in Sichtweite. Morgen werde ich sie mir in Ruhe ansehen können.

Ich gehe an den historischen Gebäuden vorbei direkt zur Herberge. Die liegt etwas abseits und ist recht voll. Ich dusche, lege mich erstmal ins Bett und schlafe eine Weile.

Später klingt ein bekannter Dialekt in meinen Ohren, ich höre einen Schwaben. Es ist Wolfgang Meyer, Jakobsweg-Pionier und -Experte aus Burladingen. Er hat viele Jakobswege in Süddeutschland signalisiert und ist guter Kenner des Camino. Wir gehen essen in der abendlichen Stadt. Ein schöner Abend, wir lachen viel.

Tag 56: Burgos(E), 13°C

Sonntagmorgen, Wolfgang und ich gehen in die Stadt. Wir finden ein Café und frühstücken mit viel Kaffee und süssen Stückchen. Nach dem Frühstück geht Wolfgang spazieren, ich gehe zur Messe in die Kathedrale. Leider ist die Messe in einer der vielen Seitenkapellen.

Die Kathedrale übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Ich bin völlig fasziniert. Im folgenden eine Reihe von Bildern der Kathedrale von aussen und innen.

Die Beschreibung ist zitiert aus Wikipedia.

Die Kathedrale von Burgos ist eine gotische Kathedrale. Sie ist der Jungfrau Maria geweiht und berühmt für ihre Größe und einzigartige Architektur. Sie wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und ist die einzige spanische Kathedrale mit diesem Status.

Der Bau der Kathedrale wurde von König Ferdinand III. von Kastilien und Maurizio, dem Bischof von Burgos, in Auftrag gegeben. Am 20. Juli 1221 war Baubeginn auf dem Gelände einer früheren romanischen Kathedrale. Verantwortlicher Baumeister war ein nicht namentlich bekannter Franzose. Nach neun Jahren war die Konstruktion der Apsis abgeschlossen. Der Hochaltar wurde 1260 das erste Mal geweiht. Anschließend ruhte der Bau fast 200 Jahre, bevor die Arbeiten wieder aufgenommen wurden. 1417 wohnte der Bischof von Burgos dem Konzil von Konstanz bei und kehrte mit dem deutschen Baumeister Juan de Colonia (Johann von Köln) zurück, der die Türme mit offenen Steinmetzarbeiten vollendete. Der Bau der Kathedrale wurde 1567 mit der Vollendung der Vierung abgeschlossen.

Die Kathedrale von Burgos hat einen kreuzförmigen Grundriss mit breiten Seitenschiffen zu beiden Seiten des Langhauses. Der klar gegliederte Grundriss ist in der Außenansicht jedoch aufgrund angegliederter Bauten nicht ohne weiteres sichtbar: Fünfzehn Kapellen sind an die Seiten- und Querschiffe der Kathedrale angefügt; dazu kommt ein Kreuzgang aus dem 15. Jahrhundert und im Südwesten des Kirchbaus der erzbischöfliche Palast. Die dreistöckige Haupt- oder Westfassade ist eine Doppelturmfassade im Stil der nordfranzösischen Gotik. Jeder der beiden auf viereckigem Grundriss errichteten Türme endet in einem achteckigen, mit durchbrochenem Maßwerk verzierten Aufsatz. Über den drei Portalen wird das erste Geschoss von dem zweiten durch eine mit Fialen besetzte Balustrade abgegrenzt. Im zweiten Niveau wurde im mittleren der drei Joche ein Spitzbogen auf die Wand aufgelegt und letztere durch eine Fensterrose durchbrochen. Darüber sind im oberen Niveau die beiden Türme durch eine hohe offene Galerie verbunden, an deren Basis, ähnlich der Königsgalerien der französischen Kathedralen, zahlreiche Statuen auf Sockeln stehen, so wie auch die in diesem Geschoss zurückspringenden Strebepfeiler mit Statuen geschmückt sind. Die Galerie selbst nimmt zur Frontseite der Kirche die Form von zwei Spitzbögen an, deren Masswerk im unteren Bereich aus lanzettenförmig angeordneten Säulen besteht und im Bogenzwickel jeweils drei Vierpässe präsentiert. Gekrönt wird die Galerie von einer weiteren Balustrade mit den eingemeißelten Buchstaben PULCHRA ES ET DECORA ("schön bist du und anmutig"), zweifellos eine Anspielung auf die Statue der Jungfrau Maria in der Mitte dieser oberen Balustrade. Spitze, achteckige Fialen schließen die vier Ecken ab.

Die achteckige Kapelle des Condestable ist gotisch und mit Maßwerk, Rittern, Engeln und Heraldik verziert.

Das nördliche Querschiff-Portal, die Portada de la Coronería, ist mit Statuen der zwölf Apostel geschmückt. Darüber krönen spitzbogige Fenster und zwei Spitzen das Portal. Das Südportal zeigt die Evangelisten an ihren Schreibtischen.

Blick über die Stadt. Burgos liegt auf 856 Hm über dem Meer. Zum Vergleich, die höchstgelegene deutsche Stadt heisst Oberwiesenthal und liegt auf 914 Hm im Erzgebirge auf dem Fichtelberg. München liegt auf 519 Hm, Köln auf 55 Hm.

Das Klima ist ausgesprochen kontinental und trocken. Die Winter sind sehr kalt und die Sommer heiß.

Von dem Hügelzug im Hintergrund bin ich gestern gekommen.

Deckenbilder.

Das Stadttor, Burgos ist gespickt mit historischen Bauwerken.

Mittags gehe ich essen und schaue mir die Stadt an, später in die Herberge für einen Mittagsschlaf. Ich plane dann den Zeitverlauf bis Santiago. Bis zur Karwoche, Semana Santa genannt, würde ich gerne in Santiago sein für die Prozessionen und Riten. Am Osterwochenende plane ich nach Hause zu fliegen. Es gibt Billigflieger, ich buche Transavia. Von Madrid nach Amsterdam für knappe 50 EUR. Den Betrag könnte ich verkraften, wenn ich früher oder später fliegen sollte und den Flug verfallen lasse.

Die Informationen über die Flüge erhalte ich von anderen Pilgern in der Herberge. Einige gehen regelmässig Etappen oder den ganzen Weg und können mir gute Tipps geben. Den Flug buche ich problemlos via Internet. In den meisten spanischen Refugios sind Internet-PCs verfügbar. Die kann man entweder gegen eine kleine Spende benutzen oder man muss Münzen einwerfen.

Ich empfehle, sich im Vorfeld nicht zuviele Gedanken zu machen über Details oder seinen Camino komplett duchzuplanen. Vor Ort regelt sich vieles von alleine oder mit Hilfe anderer Pilger.

Tag 57: Burgos(E)-Hornillos del Camino(E), 4h, 10°C

Ich habe gut geschlafen und gehe mit Wolfgang wieder in das Stadtzentrum. Die Speicherkarte meiner Kamera ist voll, in der Stadt lasse ich zwei CDs brennen. Eine sende ich nach Hause, eine behalte ich bei mir zur Sicherheit. Dann formatiere ich die Karte, es kann wieder losgehen mit Photographieren. Die Einlagen meiner Schuhe sind durchgelaufen, ich kaufe mir ein paar Neue.

Dann gehen wir zurück, die Herberge ist voll mit einer Gruppe Jugendlicher.

Ich bin froh, weiterzugehen. Wolfgang bleibt zurück, er hat andere Pläne.

In der Nähe der Herberge ist die Universität in altehrwürdigen Gebäuden. Schnell komme ich aus der Stadt heraus. Es ist jede Woche wieder schön, nach dem Ruhetag loszugehen.

Es geht dann über die Felder. Vor mir eine Gruppe dreier Pilger, eine Frau scheint dabei zu sein. Ich laufe Ihnen nach, auf einmal stehe ich mitten im Acker. Die Gruppe hat sich verlaufen und ich bin blindlings hinterher gelaufen. Der Herdentrieb hat sich einmal mehr nicht bewährt.

Später hole ich sie dann ein als sie eine kleine Rast machen. Es sind zwei Deutsche aus dem Ruhrgebiet und eine Malayin. Sie sind heute erst losgelaufen und gehen ein sehr hohes Tempo. Ich kann mithalten, aber so schnell ist noch niemand gelaufen bisher den ich getroffen habe. Auf meine Frage antworten sie, dass sie nicht zum Spass hier seien, sondern aus sportlichen Motiven. Sie sind die ersten (und im weiteren Verlauf einzigen) die ich treffe, die aus einer rein sportlichen Motivation unterwegs sind.

Tardajos, 622 Einwohner, wir fliegen daran vorbei.

Die Kirche von Tardajos.

Rabe de las Calzadas. Einer der beiden Deutschen, Dirk, war vor Jahren mit dem Motorrad auf dem Camino. Er kennt alle Dörfer und Kurven.

Wir laufen rund 2 Stunden mit dem hohen Tempo. Dann machen wir eine kleine Rast für ein paar Minuten. Nach dem Aufbrechen ist abrupt Schluss mit dem Tempo. Dirk kann nicht mehr richtig laufen, fängt an zu humpeln. Innerhalb weniger Kilometer geht dann gar nichts mehr. Er vermutet, dass der Schuh falsch sitzt. Vielleich der Strumpf, die Sohle. Doch alles ziehen und machen hilft nichts. Der andere nimmt dann seinen Rucksack. Sie gehen schon mal vor, zur Herberge nach Hornillos kann es nicht mehr weit sein.

Wir sehen unten im Tal Hornillos vor uns liegen. Plötzlich überrumpelt uns eine Regenfront mit grosser Heftigkeit. Ich gehe auch vor, Dirk humpelt hinterher.

Hornillos del Camino, 70 Einwohner. Der Regen ist so schnell weg, wie er gekommen ist.

Neber der Kirche rechts ist das Refugio. Zum Glück geöffnet, es ist schon später Nachmittag. Zwei bekannte Gesichter aus der Herberge in St Domingo de la Calzada sind auch da, Antonio aus Spanien und Elke aus Österreich. Dazu ein weiterer Deutscher, Christoph.

Dirk kommt an. Er kann zwar nicht mehr gut laufen, aber noch lachen. Das ist das Wichtigste jetzt!

Hinter der Kirche stelle ich einmal mehr einen grossen Mentalitätsunterschied der Spanier zu den Deutschen fest. Knochen und Schädel liegen auf einem Abfallhaufen in einer Ecke der Kirche. Das würde es in Deutschland sicher nicht geben.

Es fängt wieder heftig an zu regnen. In der Herberge ist es kalt. Ich koche mir was Schnelles in der kalten Küche und dusche noch kurz. Alle kuscheln sich in die Schlafsäcke, wir schlafen früh ein.

Tag 58: Hornillos del Camino(E)-Boadilla del Camino(E), 9h, 8°C

Morgens esse ich etwas und gehe alleine los. Christoph ist schon weg, die anderen liegen noch.

Es geht auf einen Anstieg auf die Hochebene. 11 km weit über eine einsame Hochfläche bis Hontanas, kilometerlang fast geradeaus.

Dann habe ich eine interessante Begegnung. Ein Weg kreuzt im rechten Winkel, ich sehe am Horizont ein Auto kommen. Ich laufe auf die Kreuzung der Feldwege zu. In der Sekunde, in der ich an die Kreuzung komme, ist der Wagen auch da. Wenn ich nicht stehengeblieben wäre, hätte er mich überfahren. Was für ein Zufall, in Stunden keine Menschenseele, kaum ein Tier. Dann eine passgenaue Begegnung. Hätte eine Szene aus einem Film Noir sein können.

Dann geht es von der Hochfläche runter nach Hontanas, 65 Einwohner. Es gibt leider keinen Café, die Bar ist noch geschlossen.

Nach einer Weile sehe ich dann Christoph vor mir, kurz vor der Ruine des Klosters San Antón.

San Antón war ein Kloster, zu dem ein Spital für Pilger gehört hat, die am Antoniusfeuer litten. Das war eine Krankheit, die man sich mit dem Brot in den Leib ass, denn es hat sich dabei um eine brandige Form von Mutterkornvergiftung gehandelt. Über die Heilmethode von San Antón weiss man noch gut Bescheid. Die Kranken zogen unter dem Gesang des "dum pater familias", der Ultreya also, begleitet vom Trillern der Stabflöte heran. Sodann wurde ihnen ein "Tau" genanntes Skapulier umgelegt, von dem man sich offensichtlich Wunderdinge versprach. Sie empfingen eine Ration Brot und Wein, wobei sie das Antonius-Glöckchen mit seinem silbernen Geläut überschüttete. Wenn nötig, bezog der Patient ein Bett im Spital. Verklungene Zeit! Heute sind da nur noch klagend aufgeborstene Kirchengewölbe, die aus dem 14. Jahrhundert stammen. Lediglich eine zierliche Fensterrose lässt erkennen, wie grossartig der Bau einmal war. Die von Figuren übersäte Leibung des Portals ist bereits völlig verwittert. (Quelle: Jakobsweb)

Wir nähern uns einer Orschaft, sie sieht interessant aus mit einer Burg oder Kirche auf einem Hügel.

Es ist Castrojeriz, eine Ortschaft mit 1000 Einwohnern, hier werde ich sicher einen Café bekommen.

Auf einem Bildstock im Ort steht das Tau Kreuz des Franziskaner- und Antoniterorden, auf einer Jakobsmuschel gegründet. Wegen der Nähe zum Kloster wird es sich wohl um den Antoniterorden handeln. Das Kreuz und der Bildstock scheinen jedoch aus verschiedenem Material zu sein.

Wir finden ein Café und kehren ein. Es sind noch andere Pilger da, unter anderem der Brasilianer, den ich vor 4 Tagen unterwegs getroffen habe. Schön, so ein Wiedersehen.

Christoph und ich gehen nach einer Weile zusammen weiter, frisch gestärkt.

Die Kirche San Juan von den Templern erbaut, mit einem Pentagonfenster.

Es geht nach Castrojeriz auf eine Anhöhe hoch. Blick zurück auf den Ort.

Und Blick nach vorn, zur Grafschaft Kastilien.

Itero de la Vega. Die Kirche San Pedro wurde im 16.ten Jahrhundert auf den Fundamenten einer Kirche aus dem 13.ten Jahrhundert errichtet. Das gotische Portal blieb dabei erhalten.

Ein Storch brütet auf dem Turm. Es gibt eine Bar im Ort, in der ich leider kein Foto gemacht habe. Der Wirt ist ein langhaariger Heavymetal Fan, die Wände gekleistert mit entsprechenden Konzertplakaten und Fotos. So ein Laden würde gut als Coffeeshop nach Amsterdam passen. Hier hätte ich ihn weniger erwartet. Die Gäste sind die wie üblich im Ort verbliebene Senioren. Sie werden froh sein, dass es noch ein paar Leute unter 70 im Ort gibt, egal ob sie lange Haare haben und eine Wasserpfeife.

Nach weiteren 9 km kommen wir dann nach Boadillo del Camino, auf den ersten Blick etwas heruntergekommen. Das täuscht dann aber.

Hinter der Kirche befindet sich der Rollo Jurisdiccional, eine spätgotische Gerichtssäule aus dem 14. Jahrhundert, deren reiche Verzierung sich überwiegend auf den Apostel Jakobus bezieht. Der Rollo war in Kastilien Symbol richterlicher Gewalt, Gerichts- und Vollstreckungsort. Zum Ausführen der gefällten Urteile wurden die Verurteilten an die Säule gebunden.

Die Kirche Mariä Himmelfahrt (Iglesia de la Asunción) ist dreischiffig gebaut und beherbergt neben dem Hauptaltar aus dem 16.ten Jahrhundert einen weiteren Altar im Renaissancestil und ein Taufbecken aus dem 14.ten Jahrhundert. Leider ist die Kirche verschlossen. Neben der Kirche befindet sich eine gute private Herberge mir offenem Kamin. Wie jeden Tag wasche ich mein T-Shirt, die Unterhose und die Strümpe. Da hier viel Platz und der Kamin sind, wasche ich auch die Jacke und andere Kleidung im Waschbecken.

Die Herbergsmutter bekocht uns. Michael aus Österreich ist mit uns in der Herberge, er ist Milizionär aus Österreich. Ein gemütlicher Abend.

Tag 59: Boadilla del Camino(E)-Carrión de los Condes(E), 7h, 8°C

Heute ist ein windiger bis böig stürmischer Tag. Wir laufen zu dritt, Christoph, Michael und ich. Die Etappe heute ist relativ kurz, 25 Km bin Carrión. Das passt, um am nächsten Wochenende in Leon zu sein.

Die Landschaft erinnert mich an Holland. Flaches, weites Land, Wasser, Wind.

Im Gegensatz zu Holland wird hier jedoch hauptsächlich Getreide angebaut.

Wir kommen nach Frómista. Die Westgoten bauten Frómista zu einem bedeutenden Ort aus. Wahrscheinlich verweist auch der Ortsname volksetymologisch auf das Hauptanbauprodukt der Umgegend, den Weizen, und die Nähe des Ortsnamen zu Frumentum, dem lateinischen Namen dieses Getreides.

Der Canal de Castilla wird aufgestaut, auf ihm wurde früher das Getreide verschifft, heute dient er der Bewässerung der Tierra de Campos.

In der Hitze des Sommers wird man wohl kaum einem kühlen Bad widerstehen können.

Im Zug der maurischen Invasion Spaniens wurde Frómista zerstört und blieb wegen sich verschiebender Frontverläufe über ein Jahrhundert unbesiedeltes Niemandsland. Erst im 10.ten Jahrhundert kehrten Menschen in die zur Wüstung verfallene Stadt zurück. 1066 wurde hier ein Benediktinerkloster gegründet. Das Kloster wurde im 12.ten Jahrhundert dem Kloster San Zoilo in Carrión de los Condes unterstellt, seinen einzigen Überrest stellt die Kirche San Martín dar, eine der wichtigsten romanischen Kirchen am Jakobsweg. (Quelle: Wikipedia)

Im folgenden einige Bilder der Kirche San Martín. In 50 Jahren wird sie 1000 Jahre alt!

Wohl wegen der Kürze der Etappe kommen wir nicht richtig in Rhythmus beim Laufen. Wobei der Weg teilweise auch uninspirierend neben der Strasse entlang führt, immerhin auf einem gut ausgebauten Wanderweg.

xxxxximage802.gif">Población de Campos, die Ermita San Miguel aus dem 12.ten Jahrhundert ist zwischen den Bäumen versteckt.

Ein Landhaus in Población de Campos. Links ist ein Taubenhaus zu sehen, aus Lehmziegeln gebaut. Auch in Boadilla waren solchen Taubenschläge zu sehen, etliche davon verfallen.

In Población machen wir eine kleine Rast in einer Bar. Bauarbeiter machen eine Morgenpause, sie essen Dosenfisch und Oliven mit Brot.

Wir ziehen weiter.

Über Villovieco geht es nach Villarmentero, das hier vor uns liegt.

In Villarmentero halten wir eine kleine Rast im Windschatten der Kirche. Das alte Kreuz sieht aus, wie von Bohrwürmern im Meer zerfressen.

In der Kirche sollen Reliquien des Heiligen Martin von Tours liegen, bei uns besser bekannt als St. Martin.

Ein älterer Herr lädt uns ein, die Kunstwerke in seiner Garage zu bestaunen. Selbst gebastelter Kitsch. Es ist uns nicht klar, ob er uns etwas verkaufen möchte. Aber jedes Gramm muss getragen werden, daher bleibt es beim Bestaunen.

Wir nähern uns Villalcázar de la Sirga. Das Wetter ist recht wechselhaft, vor wenigen Minuten war der Himmel noch schwarz, wir sind nur um wenige Meter trockenen Fusses an einer Regenfront vorbeigekommen.

Der Ortsname Villalcázar de la Sirga beinhaltet Villa – Dorf, Weiler; Alcázar – in etwa: Burg (von arab. al-qasr, das Haus) und Sirga – Weg, Fußweg; was zusammengesetzt das 'Dorf an der Burg am Weg (nach Santiago)' ergibt.

1069 wird Villasirga erstmals als Pilgerstation am Jakobsweg erwähnt. Durch Schenkung geriet das Dorf in den Besitz des Ordens der Tempelritter und verblieb dort bis zur Auflösung des Ordens im Jahr 1312. Im Mittelalter ein wichtiger Ort und marianisches Zentrum, existierten hier insgesamt drei Kirchen, spätestens ab dem 18. ten Jahrhundert begannen Bedeutungsverlust und Schrumpfung des Ortes auf die heutige Größe von 245 Einwohnern.

Die reich verzierte Kirche Santa María la Blanca, aus dem 13. Jahrhundert, zeigt den Übergang von der Romanik zur Gotik.

Ein Erdbeben zerstörte 1888 das südliche Seitenschiff, welches reduziert wiederaufgebaut wurde und verrückte das südliche Portal in seiner Geometrie, wie auf den Bildern oben zu sehen ist.

Leider erhalte ich keine Schlüssel zur Kirche, ich würde sie gerne von innen sehen. Während wir von einer Bank aus die Kirche bestaunen und eine der vielen heutigen Pausen machen, kommt eine deutsche Pilgerin aus dem Murg-Tal bei Baden-Baden vorbei. Elisabeth hat ihren Weg heute begonnen, ich werde sie noch öfters sehen im weiteren Verlauf.

Tradition wird wohl großgeschrieben, auch wenn es die dunkle Tradition de Nationalismus betrifft. Der Plaza del General Franco hat noch sein Namensschild. In Deutschland wäre ein Adolf Hitler Platz undenkbar, die Spanier haben ihre jüngere Geschichte jedoch noch nicht aufgearbeitet.

Nur noch wenige Kilometer, dann kommen wir nach Carrión de los Condes. Wir treffen einen weiteren Pilger, ein Holländer. Er läuft mit seinen sechzig Jahren die Strecke zum neunten mal. Beim Anblick des Schäfers sagt er, das vor Jahren überall noch Schafherden mit Hirten anzutreffen waren. Davon ist so gut wie nichts übrig.

Carrión de los Condes, 2.300 Einwohner.

Gleich am Ortseingang stehe ein kleine Kapelle. Carrión de los Condes war früher eine sehr wohlhabende Stadt, hier wurden Reichstage und Synoden abgehalten.

Für die Übernachtung gibt es hier mehrere Optionen, wir gehen in das Klarissen Kloster.

Zum Hintergrund dieses Ordens möchte ich etwas ausholen, aus meiner üblichen Quelle Wikipedia:

Klara von Assisi (* 1193 oder 1194 in Assisi, in Umbrien, Mittelitalien; † 11. August 1253 San Damiano, Assisi) war die Gründerin des Ordens der Klarissen.

Klara (manchmal auch Chiara) wurde als Tochter eines Adligen geboren. Durch Franz von Assisi beeinflusst und mit seiner Hilfe verließ sie ihr wohlhabendes, adliges Elternhaus und widmete sich der Nachfolge Christi in radikaler Armut. Gemeinsam mit Franz von Assisi gründete Klara vor den Toren Assisis die Frauengemeinschaft San Damiano. Bis zu ihrem Tod blieb Klara in strenger Klausur an diesem Ort und lebte nach der von ihr formulierten Ordensregel. 1212 legte sie in der kleinen Kirche Portiunkula ihr Gelübde nach eben dieser Regel ab. Ihre Schwester, die Heilige Agnes von Assisi, folgte ihrem Beispiel nur sechzehn Tage später.

Um dieses auch amtlich bestätigt zu bekommen, kämpfte sie bis zu ihrem Tod um das „Privileg der Armut“, sowie um die kirchliche Anerkennung der besonderen franziskanischen Lebensform. Die Ordensregel der Klarissen war die erste Ordensregel der Geschichte, die eine Frau für Frauen geschrieben hatte. Die Regeln sind für die damalige Zeit erstaunlich demokratisch – sie betonen insbesondere die Eigenverantwortung jeder einzelnen Schwester. Viele Frauen in ganz Europa fühlten sich davon angesprochen und ließen sich inspirieren, ähnliche Gemeinschaften zu gründen, darunter auch Agnes von Prag.

Klaras Mut und Gottvertrauen haben viele ihrer Zeitgenossen beeindruckt. So setzte sie sich einem Angriff der Sarazenen auf ihr Kloster 1240 mit Gebeten entgegen. Dasselbe tat sie, als Assisi ein Jahr später vom kaiserlichen Heer belagert wurde. Über 40 Jahre lang kämpfte sie für die Approbation ihrer Ordensregeln, die ihr Papst Innozenz IV. erst auf ihrem Sterbebett gewährte.

Zwei Jahre nach ihrem Tod wurde sie von Alexander IV. heilig gesprochen. Aufgrund ihrer Entrückungen und Visionen wurde sie 1958 von Papst Pius XII. zur Patronin des Fernsehens erklärt.

Im Hof des Klosters ist dieser Widderkopf in die Wand eingelassen. Der Widder ist eigentlich Symbol für männliche Zeugungskraft. Was er hier zu suchen hat?

Die Schwestern selbst bekommen wir nicht zu Gesicht, die leben abgeschieden von der Aussenwelt.

Wir wohnen mit einigen anderen Pilgern in einem angegliederten Haus mit eigenem Zugang über den Hof. Es ist kalt in den Zimmers, klein und leider nicht sehr sauber. Wie wir Tage später von anderen Pilgern erfahren, gab es auch Ungeziefer in den Zimmern. Ich bin froh, mir keine Läuse geholt zu haben. Der Reiseführer nennt es "eine authentische Unterkunft", das trifft wohl zu.

Es ist Nachmittag, wir haben viel Zeit. Wir gehen nach dem Duschen erstmal in eine Bar. Sie ist voll, es wird gespielt, diskutiert und getrunken. Wie immer läuft der Fernseher unbeachtet in der Ecke. Eine Dokumentation über die ETA, wie ich den Bildern entnehme.

Christoph ist am Somport Pass los gelaufen und hat für heute die Hälfte seines Weges berechnet, er gibt zur Feier eine Runde Café aus.

In Carrión gibt es durch die reiche Geschichte am Camino viele Kirchen und historische Gebäude.

Abends gehen Christoph und ich in die Messe. Santo Cristo del Amparo hängt am Y-Kreuz in der Kirche Santa María del Camino. Michael geht nicht mit, er ist Atheist. Wie üblich hier sind hauptsächlich ältere Frauen in der Kirche.

Nuestra Señora de las Victorias, eine wunderschöne Marienstatue aus dem 13.ten Jahrhundert. Sie ist ähnlich ausdrucksstark wie die in Eunate und Puente la Reina.

Santiago trotzt dem Wetter, und durch die moderne Beleuchtung auch der Dunkelheit.

Heute Nachmittag haben wir zusammen eingekauft. Wir kochen in der Herberge. Elisabeth ist auch da nach ihrem ersten Tag. Sie isst ein paar Kekse, unsere Einladung zum Mitessen schlägt sie aus. Sie möchte eine Diät auf dem Camino machen und begnügt sich mit ein paar Keksen. Ich finde das recht gewagt.

Wir gehen früh ins Bett, das Laufen war anstrengend durch den Wind.

Tag 60: Carrión de los Condes(E)-Sahagún(E), 9h, 7°C

Morgens nach dem Frühstück gehe ich in die Kirche beim Kloster, es soll eine Frühmesse stattfinden. Ich bin gespannt, ob ich die Schwestern zu sehen bekomme.

Die anderen beiden sind bereits losgelaufen.

Die Schwestern sitzen im Rücken zum Altar, hinter einer Wand mit einem Gitter abgetrennt. Sie haben ein Mikrophon im Raum und sind bei manchen Teilen der Liturgie zu hören. Das ist schon recht speziell. Nach einer halben Stunde ist die Messe um.

Draussen ist es sehr ungemütlich. Sturm mit Regen!

Ich lege mir die Regenkleidung an, es sieht nach einem sehr feuchten Tag aus.

Das Kloster San Zoilo über dem Río Carrión.

Das Laufen ist heute ein Fall für sich. Der Regen kommt meist horizontal, bei Böen manchmal von oben oder gar von unten. Der Sturm bläst ganz ordentlich über die Ebene.

Nach einer Weile treffe ich einen langen Deutschen, Frank aus Baden-Baden. Er hat einen Poncho an, der laut im Wind flattert. Frank hat vor einem Jahr als einer von zwei Deutschen einen mehrtägigen Marathon in der Wüste Gobi durchstanden. Außerdem ist er Europameister im Kickboxen. Ich fühle mich nun ganz sicher auf dem Camino :)

Aber im Ernst, es ist schön, sehr verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten, Hintergründen und Motivationen zu treffen, und bei beidseitigem Interesse eine Weile mit Ihnen zu laufen.

In Calzadilla de la Cueza gibt es die erste Rastmöglichkeit in 17 km. Wir kehren ein, Christoph und Michael sind auch da. Etwas Warmes trinken, aufwärmen. Dann geht es weiter, wir gehen nun zu viert.

Nach einer Weile sehen wir Elisabeth vor uns laufen. Sie läuft langsam, aber beständig durch.

Terradillos de Templarios, 80 Einwohner. Wieder eine kurze Rast in einer Bar, was eigentlich eher eine kurze Flucht vor dem Regen und Sturm ist.

Wir kommen nach Moratinos.

Dort gibt es am Ortseingang ein interessantes höhlenartiges Gebäude mit Schornsteinen und Fernsehantenne.

Zur Abwechslung wieder eine Rast. Diesmal kein Café in einer Bar, sondern eine richtige Brotzeit. Frank, Michael und Christoph auf einer Bank. Fast schweigend essen wir. Es ist eine Wohltat, im Trockenen zu sitzen und vom Wind verschont zu sein.

Ponchos sind meines Erachtens nicht zu empfehlen. Neben dem großen Lärm, den sie bei Wind verursachen, schützen sie nur dann wirklich vor Regen, wenn der von oben kommt. Das tut er auf den windigen Hochlagen in Spanien um diese Jahreszeit nur selten.

Kurz vor Sahagún liegt eine Kapelle Virgen del Puente, neben einer alten römischen Brücke.

Die Kapelle hat einige Umbauten erlebt.

Es ist dann nicht mehr weit nach Sahagún. Dort gehen wir direkt zur Herberge, zuerst heiß duschen. Die Herberge ist im Dachgeschoss einer Kirche. Ausser uns ist niemand da.

Nach dem Duschen gehen wir einkaufen, die Kleidung ist zum trocknen in der ganzen Herberge verteilt.

Bei einem wildromantischen Sonnenuntergang zeigt sich die Sonne wenigstens indirekt noch für ein paar Minuten heute.

Die Kirche San Lorenzo im Abendlicht.

Die Kirche wurde im 13.ten Jahrhundert im gotisch-mudéjaren Stil gebaut. Es gibt eine erste Erwähnung in einem Dokument von 1110, die eventuell einen Vorgängerbau betrifft. Bautypus ist die Basilika. Drei durch Rundbögen getrennte Schiffe enden in abgestuften Absiden. Am Standort der Kirche stießen früher das alte Morisken- und Judenviertel aufeinander.

Wir kochen zusammen, gehen früh zu Bett. Ich schlafe mit der Matratze auf dem Boden, das Bett ist mir zu kurz.

Tag 61: Sahagún(E)-Mansilla de las Mulas(E), 9h, 8°C

Ich habe gut geschlafen. Wir frühstücken zusammen und laufen dann los, nicht ohne noch kurz die Sehenswürdigkeiten zu bestaunen.

Die Kirche San Tirso sieht auf den ersten Blick San Lorenzo von gestern Abend recht ähnlich.

Die romanische Kirche des 12. Jahrhunderts ist dreischiffig angelegt, die Schiffe enden in halbrunden Apsiden. Über der Vierung steht der Turm mit einer dreifachen Fensterzone. An den Apsiden kann man den Wechsel von Naturstein zu Ziegel besichtigen. San Tirso ist der früheste Backsteinbau dieser Gegend.

Das Tor des ehemaligen Klosters.

Arco de San Benito.

Sogar die Parkbänke haben historische Beine.

Das Wetter ist heute einiges besser. Immer noch stürmisch, aber außer kurzen Schauern ist es trocken. Frank und ich laufen vor, Michael und Christoph laufen etwas langsamer. Michael hat Probleme mit dem Fußgelenk am unteren Schienbein.

Frank hat neben seinem Regenponcho von gestern einen Umhang nach Art der Templer. Zu seiner Statur passt es ja noch einigermassen.

Es gibt zwei Alternativrouten heute. Wir wählen die etwas längere, da sie einsamer und schöner sein soll. Es gibt für knapp 20 km kein Wasser, bei diesen Witterungsverhältnissen ist das jedoch kein Problem.

Ich komme mir fast vor wie in Afrika, weiter Himmel und rötliche Erde.

Wir kommen nach Calzadilla del Hermanillos. Hier gibt es einen kleinen Laden, der allerdings nicht durch ein Schild gekennzeichnet ist. Wir verlaufen uns fast im Ort, bis wir den Laden finden. Sehr authentisch, früher waren die meisten Geschäfte wohl in einem Raum eines Hauses untergebracht ohne weitere Werbung.

Wir treffen Christoph, Michael nimmt die andere Route.

Ein schönes Kreuz am Weg. Die Herberge dahinter ist geschlossen.

Dann geht es wieder hinaus in die Weite.

Rechts von uns, im Norden, ist deutlich eine Gebirgskette zu sehen, Picos de Europa.

Die Picos de Europa sind ein Faltengebirge mit einer ausgeprägten Karstlandschaft, welches durch Zusammenstoßen der iberischen Halbinsel mit der afrikanischen Platte entstand. In den Picos de Europa befinden sich 200 Berge über 2.000 m Höhe, der höchste Gipfel des Gebirges ist der Torre de Cerredo mit 2.648 m. Auf Grund der Nähe zum Meer (ca. 20 km) ist das Klima der Gebirgskette von hoher Luftfeuchtigkeit und ausgiebigen Niederschlägen gekennzeichnet.

Der Weg führt auf einer alten Römerstrasse, teilweise sieht man noch die alten Steinplatten liegen.

Bei 45 Grad möchte ich hier nicht laufen. Kilometerweit ohne Schatten. Ich kann mir gut vorstellen, dass man sich hier kaputtlaufen kann.

Eine Weile geht es auch neben den Bahngleisen, es sieht aus wie im Wilden Westen.

Aus der Ferne sieht man eine alte Bahnhofsanlage. Frank freut sich auf eine Rast. Meinen Einwand, dass es in der Einöde wohl keinen Rastplatz gibt, möchte er nicht wahrhaben.

Umso enttäuschter ist er dann, als wir endlich ankommen an der Anlage, und nur ein paar Ruinen und einen Mauerrest vorfinden. Immerhin reicht es aus, um ein paar Minuten im Windschatten zu sitzen, bevor eine vorbeiziehende Regenfront uns aufscheucht. Die kommen wie aus dem Nichts.

Der Sturm lässt nicht nach, seit einigen Tagen macht er das Laufen anstrengend. Besonders Leute mit ausladend gepacktem Rucksack werden ordentlich hin- und hergerissen.

Dann kommen wir endlich nach Reliegos, einem kleinen Ort am Rande der Ebene. Der erste Weg führt in die Bar, einen starken Café trinken.

Reliegos hat eine recht untypische Kirche für die spanischen Verhältnisse, die ich bisher kenne.

Aber dafür auch schöne, traditionelle Häuser.

Nach einigen weiteren Kilometern kommen wir nach Mansilla de las Mulas. Genug für heute, 40 km im Wind. Mansilla ist ein gemütlicher Ort mit 1.7oo Einwohnern. Die Herberge ist auch gemütlich, sie wird von einem Deutschen geführt. Auf einmal höre ich einen schwäbischen Dialekt: Wolfgang ist auch da!

Gegen Abend läuten Glocken, wir gehen in die Kirche.

Wolfgang ist Protestant, macht sich glücklicherweise nichts daraus. Pierrette kommt auch mit, eine Kanadierin.

In einer kleinen Seitenkapelle sind Statuen versammelt. Unter anderem Rochus als Pilger, den habe ich schon eine Weile nicht mehr gesehen.

Tag 62: Mansilla de las Mulas(E)-Leon(E), 5h, 10°C

Ich laufe mit Frank früh los, heute ist Samstag. Noch eine kurze Etappe bis nach Leon, dann ist Ruhetag. Ich freue mich auf die Kathedrale und auf das Kloster, in dem ich hoffentlich übernachten kann.

Beim Verlassen von Mansilla de las Mulas sehe ich, dass die Stadt auf der Westseite noch von der Stadtmauer mit Zinnen umgeben ist.

Die Strecke führt heute grösstenteils mehr oder weniger neben der Strasse entlang. Villamoros de Mansilla. Bei einem Bäcker kaufen wir süsse Stückchen.

Puente Villarente, nur wenige Kilometer weiter.

Valdelafuente. Eine Digitalkamera ist etwas zu langsam für echte Schnappschüsse, ich wollte den Storch den Bruchteil einer Sekunde früher knipsen, beim Flug über das Schild.

Wir sind in den Vororten von Leon. Auch hier sind die Kirchtürme von brütenden Storchpaaren besetzt.

Ein Vorgeschmack auf die Heilige Woche, Semanta Santa. Das ist die Karwoche zwischen Palmsonntag und Ostern. León ist bekannt für die Prozessionen während der Semanta Santa. In vielen Geschäften hängen die Einladungen zu diesen Prozessionen in León aber auch in anderen Orten.

Und dann bin ich in León, mitten in der Altstadt. León hat 136.000 Einwohner und liegt hoch, auf 840 Hm über dem Meeresspiegel.

Die wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt ist die Kathedrale mit ihrem herausragenden Glasfenster. Die werde ich morgen in aller Ruhe besichtigen.

Ich habe mich beim Stadteingang von Frank verabschiedet. Er hat nur wenig Zeit für den Camino und hat daher pro Tag 40 Km eingeplant. Das ist ein grosses Pensum. Besonders, wenn man ohne Einlaufen mit dieser Distanz losgeht und keine zeitliche Reserve einplant.

Ich komme in der Carbajalas, der großen Herberge der Benediktinerinnen unter, die mitten im Stadtzentrum liegt. Hier finden sich übers Wochenende viele der mir bekannten Pilger ein.

Die Herberge liegt an einem schönen Platz. Gegen Abend läuft ein Musikzug auf und bringt einige Stücke mit sehr interessantem Rhythmus zu Gehör. Es ist eine der Gruppen, die während der Semanta Santa die Prozessionen begleiten. Das muss ich unbedingt sehen!

Die Nonnen laden zum Abendgottesdienst, der Vesper ein. Schöner Gottesdienst, der Gesang reicht aber bei weitem nicht an die Qualität von Moissac. Das hatte mich wirklich beeindruckt. Die Nonnen teilen Kopien aus mit den Texten, ich kann dem Spanisch leider nicht folgen.

Ich übernachte auf meinem Weg so oft wie möglich in Klöstern, da ich diese Art des Lebens nicht persönlich kannte und mich die Entschlossenheit zu diesem Lebensstil zum einen kritisch stimmt, zum anderen aber auch fasziniert. Ich bin nach dem 2.ten Vatikanischen Konzil aufgewachsen, habe also die (willkürliche) Strenge der Religionsausübung glücklicherweise nicht kennengelernt. Dadurch konnte ich mir eine gewisse Offenheit bewahren, die ich ansonsten möglicherweise nicht hätte.

In den Klöstern wird das Stundengebet praktiziert. Das Stundengebet ist die Antwort der Kirche auf das Apostelwort „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,17). Im folgenden möchte ich das Stundengebet kurz vorstellen. Mir selbst waren die Stundengebete nicht im Detail bekannt, es ist vielleicht interessant zu wissen wie das abläuft. Aus französischen und spanischen Textbüchern konnte ich es unterwegs jedenfalls nicht entnehmen.

Meine Quelle ist wie üblich Wikipedia.

Zur Abfolge der Gebetszeiten sei zunächst angemerkt, dass sich die Einteilung nach der antiken Zeitrechnung richtet. Der Tag war damals die Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang; er wurde in zwölf gleich lange Stunden eingeteilt. Wie lang eine solche Stunde war, hing von der Länge der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang ab, war damit also sowohl regional verschieden als auch zu den einzelnen Jahreszeiten unterschiedlich. Als ungefähre Umrechnung in unsere heutige Zeiteinteilung kann die erste Stunde des Tages auf etwa 06:00 Uhr angesetzt werden.

Ursprünglich gab es acht verschiedene Gebetszeiten, die heute auf sieben, teilweise auch fünf verkürzt sind:

Vigil (lateinisch: Wache)

Die Vigil ist die erste Gebetszeit des Tages. Sie wird in der Nacht oder am frühen Morgen verrichtet Am Hochfest der Geburt des Herrn (Weihnachten - Christmette) und dem Hochfest der Auferstehung des Herrn (Ostern - Osternacht) wird die Vigil als Nachtwache gehalten. In der Benediktusregel wird als Beginn der Vigil die achte Stunde der Nacht genannt, was etwa 02:00 Uhr entsprechen würde.

Nach der Eröffnung "Herr öffne meine Lippen, damit mein Mund Dein Lob verkünde" wird ein Psalm als Gebetseinladung (Invitatorium) gebetet, gefolgt von einem Hymnus. Hieran schließen zwei oder drei Abschnitte (Nocturnen) an. Jede Nocturn besteht aus mehreren Psalmen und einer anschließenden längeren Lesung. In der ersten Nocturn enthält die Lesung einen Abschnitt aus der Bibel und in der zweiten Nocturn einen Abschnitt aus anderer spiritueller Literatur. An Sonntagen und Hochfesten wird eine dritte Nocturn gebetet, in der statt Psalmen biblische Cantica gebetet werden. Im Anschluss wird das Evangelium des Sonntags oder Hochfestes gelesen und das Te Deum gebetet. Den Abschluss der Vigil bildet eine Oration.

Die vollständige Vigil wird heute nur noch von wenigen monastischen Orden gebetet. Selbst bei den Benediktinern wird sie teilweise auf eine Nokturn gekürzt. Im Zuge der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils ist im römischen Stundenbuch, das von den Weltpriestern und einigen tätigen Orden gebetet wird, die Lesehore, die zu einem beliebigen Zeitpunkt des Tages gebetet werden kann, an die Stelle der Vigil getreten.

Laudes

Die Laudes werden bei Tagesanbruch gehalten, da die aufgehende Sonne ein Symbol für Christus ist, dem mit der Laudes Lob dargebracht wird. Heute werden die Laudes üblicherweise morgens zwischen 06:00 Uhr und 08:00 Uhr gehalten. Sie bestehen aus Eröffnung, Hymnus, Psalmen, alttestamentlichem Canticum, Schriftlesung, Responsorium, Benedictus, Bitten, Vater unser, Tagesgebet und Segen.

Prim, Terz, Sext, Non (kleine Horen)

Im Laufe des Tages soll die Arbeit drei Mal von den sogenannten kleinen Horen unterbrochen werden: zur dritten Stunden (ca. 09:00 Uhr) von der Terz, zur sechsten Stunde (ca. 12:00 Uhr) von der Sext und zur neunten Stunde (ca. 15:00 Uhr) von der Non. Früher wurde außerdem zur ersten Stunde (ca. 06:00 Uhr), meist unmittelbar vor den Laudes, noch die Prim gebetet. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde die Prim jedoch als Doppelung zu den Laudes abgeschafft. Psalm 95, der als Invitatorium zur Laudes gebetet wird, ist ein Überbleibsel der Prim. Nur noch im Stundengebet der Kartäuser ist sie erhalten geblieben. Im römischen Stundenbuch und dem Stundengebet vieler Orden werden Terz, Sext und Non heutzutage zu einer Tageshore zusammengefasst.

Vesper

Die Vesper bildet zusammen mit den Laudes die Angelpunkte des Stundengebetes. Die Vesper besteht aus Eröffnung, Hymnus, Psalmen, neutestamentlichem Canticum, Schriftlesung, Responsorium, Magnificat, Fürbitten, Vater unser, Tagesgebet und Segen. Ist die Vesper die letzte Hore des Tages, die in Gemeinschaft gebetet wird, wird häufig eine Marianische Antiphon angefügt. Sie beendet die tägliche Arbeitszeit. Gebetet wird sie in der Regel gegen 18:00 Uhr.

Jeder Sonntag und jedes Hochfest (Ausnahme Ostern) wir mit einer "ersten Vesper" begonnen, die schon zur Gebetszeit des Sonntages oder Hochfestes zählt.

Komplet

Die Komplet ist das Nachtgebet, mit dem der Tag beendet wird. Ihr geht in der Regel ein Schuldbekenntnis voraus. Sie besteht aus einem Hymnus, Psalmen (traditionell die Psalmen 4, 134 und 91), einer Kurzlesung, dem neutestamentlichen Gesang Nunc dimittis (Lk 2,29-32), einer Oration und einem Segen für die Nacht. Danach gilt in den monastischen Orden bis zum Morgen das nächtliche Stillschweigen.

Der Platz vor der Herberge Carbajalas in Nachtstimmung.

Die Herberge schließt um 21:30 Uhr. Aber ich wäre auch so früh ins Bett gegangen. Das tagelange Laufen in Wind und Regen war anstrengend.

Tag 63: Leon(E), 12°C

Die Kathedrale Santa María ist eins der interessantesten Denkmäler der Gotik in Spanien. Der Bau von 91 m Länge wurde auf den Mauern einer älteren Kirche aus dem 11.ten Jahrhundert im Jahr 1205 begonnen und ein Jahrhundert später vollendet. Seine Schönheit und Eleganz offenbart sich schon dem ersten Blick. Türme, Profile, farbige Fenster, Fensterrosen und die schlanken Strebepfeiler des Ganzen steigern den Zauber des Chores. (Quelle, auch des Textes unten: Uni-Karlsruhe)

Die Konzeption der westlichen Vorhalle (Paradies) ist erstaunlich: fünf ungleiche Spitzbogen führen auf drei Portale. In der Mitte das Portal mit der berühmten 'Weißen Jungfrau' (Virgen Blanca) - einer Statue von ungemein zarter Erscheinung. Im Türsturz darüber eine knappe Szenenfolge aus dem Jüngsten Gericht, von starker Aussagekraft: die Auserwählten kosten schon die Freuden der himmlischen Musik, die Verdammten werden in den Kessel der Hölle geworfen oder, wie Rettiche, von gewaltigen Satansmäulern zerknackt. Die Nebenportale (des San Juan und des San Francisco) stehen an künstlerischer Schönheit nicht zurück. Eine edle Fenstergruppe, eine mächtige Rose und eine Balustrade unter großem Giebel schließen die Fassade.

Blick vom Altar zurück zu den Portalen, leider etwas unscharf.

Eine Statue der schwangeren Maria.

Nach der Messe gehe ich zurück zur Herberge, esse Brot mit Käse und schlafe dann ein Weile. Die Wäsche habe ich gestern noch gemacht, sie konnte im Hof des Klosters schnell trocknen in der Sonne.

Mittags gehe ich mit Pierette, Wolfgang und Christoph wieder in die Stadt. Es gibt in León natürlich viel zu besichtigen.

Die Basilica De San Isidoro ist eine weitere architektonisch wunderschöne Kirche in León. Sie wurde vom 10. bis zum 12. Jahrhundert erbaut und gilt als ein Meisterwerk romanischer Baukunst.

Das Nationalheiligtum ist seit 1063 Grabstätte des Heiligen Isidor von Sevilla, im 7. Jahrhundert Erzbischof von Sevilla und wichtigster westgotischer Kirchenlehrer. Wegen der einmaligen Deckenmalereien wird der Panteón real, die königliche Grabkammer, auch "sixtinische Kapelle der Romanik" genannt. Die in Ausführung und Zustand beispiellosen Malereien geben einen plastischen Einblick in die Bilder- und Alltagswelt des 12. Jahrhunderts. In großer Farbenpracht zeigen sich biblische und alltägliche Szenen, wie etwa eine Serie von Monatsbildern. (Quelle: Wikipedia)

Im Bild das Cordero Portal.

Das Perdón Portal.

Im Kreuzgang.

Im Kirchenmuseum der Basilika sind kostbare Stücke der Schatzkammer ausgestellt, etwa der Achatkelch der Dona Urruca aus dem 11.ten Jahrhundert.

Die Stadt füllt sich mittags, viele Spaziergänger sind unterwegs.

Reste der Stadtmauer. Ich gehe abends alleine Essen. Eine Pilgerin aus den USA, die ich im Refugio Santo Domingo de la Calzada getroffen habe, setzt sich zu mir und lädt mich ein. Morgen fliegt sie zurück und will keine Euro mitnehmen. Es ist ihr "zweiter" Camino. Nach dem Ersten hatte sie ihr Leben angepasst und sich nach einer sehr erfolgreichen Karriere mehr der Familie gewidmet. Nun ist sie wieder hier für eine Entscheidung und Entschleunigung. Sie meint durch den Weg, den Austausch mit anderen Menschen, die Ruhe und die Naturerfahrung viel Energie aufzunehmen.

Abends gehe ich, wie die meisten der Pilger, noch in die Komplet. Es ist ein schönes Ritual um den Tag würdig abzurunden.

Tag 64: Leon(E)-Villar de Mazarife(E), 5h, 12°C

Morgens treffe ich mich in der Stadt mit Pierrette, Christoph und Wolfgang in einem Café. Wolfgang wird heute nachmittag wieder zurückfliegen. Christoph bliebt noch einen Tag, Pierrette geht heute weiter. Ich muss noch administrative Arbeiten erledigen und mailen. Ausserdem ist mein Stiefel über den Zehen eingerissen, den möchte ich nähen lassen. Nach einigem Suchen finde ich auch einen Schuster. Er meint nur, der Schuh wäre nicht zu reparieren. Ich hoffe, dass das Leder nicht weiter einreisst, sonst liegen die die Zehen offen. Bei jeder Gelegenheit werde ich nun etwas Olivenöl auf das Leder einreiben, um es geschmeidig zu halten.

Gegen Mittag komme ich dann endlich los. Ultreia!

Das Kreuz war vor 50 Jahren sicher noch weithin sichtbar an einem Acker gestanden. Jetzt stehe es mitten zwischen den hässlichen Bauten.

Dann liegt eine kleine Kapelle am Weg, sie ist sogar geöffnet.

Drinnen Jakobus, der hoch zu Ross einen Moro zerstückelt.

Ich komme nach Virgen del Camino, einem Ort an der Ausfallstrasse von León.

Dort ist die moderne Kirche Santuario de la Virgen del Camino. Sie gewährt etwas Ruhe vom Verkehrslärm.

Kurz darauf trennt sich der Camino endlich von der Hauptstrasse. Ich wähle die Alternativroute über Villar de Mazarife, ich möchte weit weg sein von der Strasse.

Fresno del Camino, ein kleiner Ort, der auf Bevölkerungswachstum durch das nahe León ausgelegt ist.

Oncina de la Valdoncina, ich verlasse den Einzugsbereich der Stadt und komme wieder in ländliches Gebiet. Aufatmen.

Der Weg führt ins Gebirge, den Bergen von León, Montes de Leon. Dort werde ich wohl übermorgen sein.

Ein schönes, seltenes Bild. Eine Schafherde und ein Hirte. Der gute Hirte als Inbegriff des ultimativen Beschützers, der alles auf sich nimmt für seine Herde. Dazu passt der wohl bekannteste Psalm - und einer der wenigen die ich einigermassen verstehe:

Der gute Hirt

Der Herr ist mein Hirte, / nichts wird mir fehlen.

Er lässt mich lagern auf grünen Auen / und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.

Er stillt mein Verlangen; / er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.

Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, / ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, / dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.

Du deckst mir den Tisch / vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, / du füllst mir reichlich den Becher.

Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang / und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit. (Psalm 23, Quelle Wikipedia)

Wenige Meter weiter ruhen sich ein paar Pilger im Windschatten einiger Bäume aus. Den Fussabdrücken nach laufen sie von Santiago zurück.

Choyas de Abajo. Nicht mehr weit, dann werde ich nach Villar de Mazarife kommen. Ich werde versuchen, dort Unterkunft zu finden.

Die Sonne scheint prächtig zwischen den Wolken durch.

Aus aktuellem Anlass (Ende März 2007) möchte ich eine Warnung ausgeben: Aufgrund der teilweise recht sonnigen Bilder der spanischen Etappen in diesem Blog und des milden deutschen Winters wollte eine Pilgerin ihre warme Ausrüstung zuhause lassen, wie sie mir gemailt hat. Sie hat nun geschrieben, dass sie in Logrono eingeschneit sei und wegen heftiger Schneefälle den Weg momentan nicht fortsetzen kann. Auch wenn es auf den Bildern gemütlich aussieht, der Camino Frances führt viel durch hochgelegene Gebiete. Wetterumschwünge, Stürme und heftige Niederschläge sind keine Seltenheit! Ich empfehle die entsprechende Kleidung mitzunehmen.

Ich komme nach Villar de Mazarife. Für heute soll es genug sein. Es gibt mehrere Unterkünftsmöglichkeiten. Ich gehe in die erstbeste, sie ist wunderbar angelegt in einem Haus mit Innenhof. Die Herberge ist frisch renoviert. Und - Pierrette ist da, eine angenehme Überraschung.

Pierrette will mich bekochen, aber gerne! Es wird Spaghetti geben. Sie geht einkaufen, ich dusche und sonne mich im windgeschützten Innenhof. Wider Erwarten blieben wir alleine, keine anderen Pilger kommen. Wir essen im Innenhof, sitzen dann noch etwas im "Wohnzimmer", es wird sofort kalt wenn die Sonne weg ist.

Ich schlafe sehr gut, habe die Matratze auf den Boden gelegt. In einer grossen Herberge, wie der in León, ist der Schlaf scheinbar doch nicht so erholsam durch die ständigen Geräusche.

Tag 65: Villar de Mazarife(E)-Astorga(E), 8h, 14°C

Der Morgen ist sehr kalt durch einen eisigen Wind. Ich habe wieder den kompletten Winterdress an mit Handschuhen, Stirnband und der langen Unterwäsche. Pierrette läuft langsam, ich gehe daher alleine.

Alle freistehenden Türme und Gebäude werden von brütenden Störchen benutzt. Schade, dass es die in Deutschland nur noch sehr selten gibt. Die Störche haben etwas sehr majestätisches durch ihre Grösse und ihr ruhiges Flugbild.

Bewässerungsgräben an den Feldern, im Sommer ist es wohl recht trocken hier.

Villavante, eine kompakte Ortschaft, vor der Bäume und Sträucher wachsen. Früher waren die meisten Dörfer von Gärten und Obstbäumen umringt, damit die Bauern nicht weit zur arbeitsintensiven Gartenpflege laufen mussten. Desweiteren schützten die Bäume vor Wind und boten Schatten im Sommer.

Die imposanten Türme ...

... sind in Spanien oft nur eine Fassade.

Inzwischen bin ich im Hospital de Órbigo angekommen. Hier gab es ein Pilgerhospiz der Johanniter, daher der Name Hospital.

Es ist gegen Mittag, die Strassen sind wie ausgestorben.

Nur auf der alten Brücke ist Leben. Die mittelalterliche Brücke führt über den Fluss Órbigo.

Die Legende besagt, dass der Fluss im Jahr 456 tagelang rot gefärbt war vom Blut der Schlacht zwischen den Goten und Schwaben.

Hier hatten bereits die Römer eine Brücke gebaut.

Hospital de Órbigo ist zweigeteilt durch den Fluss.

Es geht ein paar hundert Meter durch den westlichen Ortsteil, dann wieder hinaus in die Felder. Die Montes de Leon kommen näher am Horizont.

An einem kleinen Bach entdecke ich einen kleinen Flusskrebs. Ich kann mich nicht erinnern, je zuvor einen Flusskrebs in Freiheit gesehen zu haben.

Die Äcker sind übersäht mit Steinen.

Villares de Órbigo, 860 Einwohner. Ich bin in der Provinz León der Autonomen Gemeinschaft Kastilien-León.

Santibáñez de Valdeiglesia. Am Ortseingang ein Spielplatz mit Basketball-Korb.

Nach Santibáñez de Valdeiglesia geht es auf einen Höhenzug. Oben ist eine Raststelle neueren Datums. Ich bin müde, nach Astorga sind es aber noch knappe 10 km.

Kurz vor San Justo steht ein Wegkreuz, das Crucero de San Toribio. Astorga liegt in der Mitte der Talebene vor mir auf eine Hügelzug.

San Justo de la Vega unten am Antieg zum Kreuz. Der Ort entstand längs des Pilgerweges und einer Cañada Real genannten Viehtriebroute. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es ein Casa de los Pobres -ein Armenhaus- das wohl der Nachfolger des Pilgerhospizes war.

Dann komme ich nach Astorga. Es liegt auf einer Höhe von 868 Hm am Fuß der Montes de León, die im Teleno, 20 km westlich der Stadt, 2188 m erreichen. Astorga ist Hauptort des Distrikts Maragatería.

Astorga liegt auf einem Hügel, es geht steil hoch in die Stadt.

Kitsch as Kitsch can.

Die Kathedrale Santa María aus dem 15.ten Jahrhundert wurde auf einer Kirche aus dem 8.ten Jahrhundert errichtet. Die verwendeten Steine haben verschiedene Farbtöne.

In dem durch Antoni Gaudí im neogotischem Stil gestaltete Bischofspalast befindet sich heute das Museum der Wege – Museo de los Caminos.

Todesanzeigen werden in der Nachbarschaft der Verstorbenen an Hauswände geklebt.

Blick auf das Museum und die Kathedrale von der Stadtmauer aus.

Ich komme in einer grossen Herberge unter. Christoph ist dort, ebenso der Brasilianer. Ein junger Deutscher ist Herbergsvater. Er meint zuhause alles abgebrochen zu haben. Auf dem Weg zurück von Santiago sei ihm vor einigen Wochen sein Geld gestohlen worden, nun verdingte er sich als Herbergsvater Kost und Logis. Spanisch hätte er anfangs nicht gesprochen, das lerne er jetzt nebenher.

Ich kaufe ein und wasche wie immer meine Sachen. Die Herberge ist recht voll, ich komme jedoch in einer ruhigen Ecke unter.

In Astorga trifft ein anderer Pilgerweg auf den Camino, die Via de la Plata. Dieser Weg beginnt in Sevilla und führt über Mérida, Cáceres und Salamanca nach Astorga. Von dort weiter auf dem Camino Frances nach Santiago.

Tag 66: Astorga(E)-Manjarín(E), 7h, 14°C

Ein bewölkter Morgen. Eigentlich möchte ich mir den wiedergewachsenen Bart abrasieren lassen, ich finde jedoch keinen Barbier der geöffnet hätte. Ich sehe mir noch die Kathedrale an, gehe dann los. Andere Pilger wollen mit mir laufen, ich gehe jedoch alleine, möchte etwas Ruhe haben. Mein Ziel für heute ist Rabanal, dort soll eine Unterkunft sein.

Kurz nach Astorga treffe ich auf die vormalige Einsiedelei Ermita Ecce Homo, die heute recht unromantisch neben der Autobahn liegt.

Nach einigen Kilometern komme ich nach Murias de Rechivaldo. Hier gibt es wieder zwei Wegalternativen, wie ich allerdings erst später im Reiseführer sehe. Daher verpasse ich leider den 'Vorzeigeort' Castrillo de los Polvozares, der in einem noch weitgehend originalen Zustand typisch für die Gegend sein soll.

Die Wege sind gut ausgebaut, getrennt für den Verkehr und die Pilger.

Santa Catalina de Somoza, ich bin inzwischen auf 977 Hm.

Die Landschaft heisst Maragatería. Wegen des geringen Ertrages der steinigen Äcker bestritten viele Bewohner dieser Gegend ihren Lebensunterhalt als Fuhrleute.

El Ganso, ein kleiner Ort ...

... der jedoch immerhin einen Sportplatz hat ...

... und eine typische Kirche, mit einem direkten Zugang zu den Glocken über eine Aussentreppe.

Zerstörte Fernseher sehe ich unterwegs seltsamerweise desöfteren. Ich nehme an, dass die Bildröhren zum Spass zerschossen werden. Die implodieren dann wohl gewaltig.

Wie beim Zaun vor Navarette sind auch hier Kreuze aus Ästen eingesteckt.

Ich komme nach Rabanal. Der Ort war lange Zeit wegen seiner Lage vor dem Übergang über den Monte Irago sehr wichtig für den Jakobsweg.

Neben der Kirche ist eine Aussenstelle der Benediktiner aus der Erzabtei St.Ottilien bei München. Allerdings sind die vier Mönche nur im Sommer vor Ort. Ich kann also nicht übernachten und beschliesse nach einer Cafepause weiterzugehen nach Manjarín.

Ein Denkmal für einen am Weg verstorbenen schweizer Pilger von 1998.

Blick zurück über die Landschaft.

Beim weiteren Anstieg komme ich in die Wolken, es beginnt zu regnen.

Foncebadón, vor dem Übergang über den Monte Irago, dem Puerto de Foncebadón mit dem Cruz de Ferro. Der Ort ist verfallen, wirkt wie aus einem Wild-Westfilm.

Es gibt sogar eine Bar, ich gehe jedoch weiter.

Die Ruine der Salvador-Kirche am Ortsausgang rundet das triste Bild ab.

Es regnet immer stärker, je höher ich komme.

Dann bin ich am Cruz de Ferro (Cruz de Hierro). Es ist kalt und windig, mit 1460 Hm ist dies der höchste Punkt des spanischen Caminos, höher als der Pyrenäenübergang.

Die Steine wurden allesamt von Pilgern mitgetragen und hier abgelegt, oft von zuhause aus. Die mitgebrachten Steine sollen Symbole der auf dem Weg hinter sich gelassenen Sünden oder der Läuterung sein. Man lässt eine Last hinter sich.

Ich habe keinen Stein dabei und lege nichts ab.

Der Berg ist jedenfalls beachtlich und hat wohl vielen Menschen Gewissenserleichterung verschafft.

Nach einigen Kilometern über die zugige Höhe komme ich nach Manjarín. Ich bin sehr gespannt was mich erwartet!

Wikipedia schreibt zu Manjarín:

"Manjarín ist ein sehr kleiner, nahezu komplett verlassener und verfallener Ort am Jakobsweg in der Provinz León der Autonomen Gemeinschaft Kastilien-León.

Die erste schriftliche Erwähnung Manjaríns datiert aus dem Jahr 1180: König Fernando von León räumt in einem Dokument der Besitzerin des Pilgerhospiz zwischen Manjarín und El Acebo, Doña Maria Joanez, Privilegien ein. Dieses Hospiz wurde später direkt nach Manjarín verlegt und findet im 17. Jahrhundert noch einmal Erwähnung. Die Bevölkerungszahlen in Manjarin waren nie sonderlich hoch: 1561: 4 Haushalte, 1587 und 1597: 5 Haushalte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlor der Ort die letzten Einwohner und verfiel. Die Pfarrkirche des Ort war dem Heiligen Martin gewidmet.

Ein Mann, der sich in der Nachfolge der Tempelritter sah, gründete in Manjarín in den 1990er Jahren eine einfache Pilgerherberge, die auch nach dem Rückzug des Gründers noch mit der Fahne der Tempelritter beflaggt ist und jetzt von einem Paar bewirtschaftet wird. "

Der Mann heisst Tomás, und ist 1993 auf dem Camino hängengeblieben. Seitdem versorgt er Pilger in der Tradition der Templer. Inzwischen haben sich noch ein paar andere Leute niedergelassen. Das Leben ist sehr einfach. Keine Dusche, aber es wird auch ohne gehen.

Die Toilette, man kalkt seine Hinterlassenschaft selbst.

Abends werden wir bekocht. Neben mir sind noch eine Dame aus Basel und zwei weitere Pilger da.

Am späten Abend kommt Christoph noch, eine schöne Überraschung! Wir reden noch etwas, alle gehen früh in die Schlafsäcke.

Wir schlafen unter dem Dach auf alten Matrazen. Der Wind braust um das Haus, die Balken knarren. Urgemütlich!

Tag 67: Manjarín(E)-Ponferrada(E), 6h, 12°C

Der Sturm hat sich gegen Morgen gelegt. Wir frühstücken etwas. Jeder kann nach Belieben eine Spende für das Essen und die Übernachtung geben, das ist sehr ok.

Die Pilgerin aus Basel, 66 Jahre, hat einige Monate in Santiago verbracht und ist nun mit ihrem Hund auf dem Weg zurück in die Schweiz .

Buen camino!

Irgendwo im Hintergrund liegt das Tagesziel Ponferrada.

Blick auf El Acebo, 1150 Hm. Christoph geht vor mir, wir laufen heute zusammen.

El Acebo ist ein kleiner Ort der recht gemütlich wirkt. Wir durchqueren ihn allerdings ohne in der Bar Pause zu machen.

Am Ortsausgang erinnert dieses Denkmal an den Tod des deutschen Fahrradpilgers Heinrich Krause, der 1987 bei einem Unfall auf der steilen Strasse ums Leben kam.

Das Wetter schlägt plötzlich um, innerhalb Sekunden regnet es stark. In Riego de Ambrós ziehen wir uns in einer Bar die Regensachen an, allerdings sind wir schon reichlich durchnässt.

In der Bar hängen grossformatig Bilder. Eines zeigt die Feuerwalze eines Waldbrandes, die kurz vor dem Haus endet. Ein anderes eine schwere Überschwemmung, die am Haus vorbeirauscht.

Etwas später sehen wir einen ganzen Hang von verbrannten Bäumen. So ein Anblick macht mir zu schaffen.

Nach einem langen Abstieg kommen wir nach Molinaseca. Der Regen hat inzwischen wieder aufgehört. Ein herrlicher Duft liegt in der Luft.

Die Kirche San Nicolás hat geöffnet, weil innen Restaurierungsarbeiten durchgeführt werden. Zwei Frauen renovieren einen Seitenaltar.

Maria mit Echthaarperücke. Das sehe ich hier zum erstenmal, es wirkt etwas gespenstisch.

Jesus mit dem Reichsapfel. Als Attribut des römischen Gottes Jupiter war der Erdball in der Hand des Kaisers bzw. des römisch-deutschen König als künftigem Kaiser Sinnbild der Weltherrschaft. Der Neoklassizismus ist nicht unbedingt mein Favourit.

Zur Krönung der Sammlung ein Engel der Ochsen am Joch antreibt. Daneben eine Statue des Rochus oder Wendelin als Pilger, mit schmachtendem Blick 'gen Himmel.

Später wieder ein Denkmal für einen Pilger. Joseph Carty, 2005 hier verstorben.

Man kann sich kaum verlaufen.

Dann kommen wir nach Ponferrada. Eigentlich nur 6h gelaufen, trotzdem fühle ich mich müde. In der Herberge ist sehr viel Betrieb. Im Pilgerbuch finde ich einen Eintrag von Frank aus Baden-Baden, den Wüsten-Marathon Finisher. Der Eintrag ist an mich gerichtet. Frank musste wegen Knieproblemen ein Stück Bus fahren. Schade für ihn, das wollte er nicht. Auch Simon hat hier übernachtet.

Wir waschen, gehen einkaufen und kochen.

Ponferrada ist die Hauptstadt der Comarca El Bierzo der Provinz León in der Autonomen Gemeinschaft Kastilien-León, Spanien. Sie liegt 508 m über dem Meer am Zusammenfluss von Sil und Boeza. Ponferrada hat 66-tausend Einwohner.

Um das 11. Jahrhundert veranlasste der Bischof von Astorga den Bau einer Brücke für die Pilger auf dem Camino. Eine Siedlung mit Burg der Templer entstand an den Ufern des Sil um diese Brücke herum.

Die Mauer war die Stadtmauer der alten Stadt.

Neben der Burg in der Basílica de la Encina findet eine Messe statt. Sie ist sehr gut besucht, die Kirche ist voll. Ich sehe ein paar Pilger, die ich aus León kenne.

Zurück in der Herberge ist diese noch voller. In unserem kleinen Zimmer ist ein Engländer, der wegen einer Fussverletzung nicht mehr laufen kann und einige Etappen Bus fahren muss. Er hofft, mit sehr kleinen Etappen das letzte Stück doch noch gehen zu können. Allerdings geht der Bus bereits um 6:30, die Herberge wird allerdings verschlossen und öffnet erst um 7:00. Der Herbergsvater ist nicht bereit früher zu öffnen.

Der Engländer ist ganz niedergeschlagen, dass er dann noch Stunden zum nächsten Bus warten muss.

Vor dem Fenster ist ein Gitter, ich schaue es mir genauer an. Aber ja, andere hatten das Problem auch schon. Das Gitter ist lose angeschraubt und verziert das Fenster nur noch.

Morgens um 6:00 weckt mich der Engländer leise, ich schraube das Gitter los und halte es, er klettert aus dem Fenster. Filmreif.

Tag 68: Ponferrada(E)-Pereje(E), 8h, 14°C

Nach der frühmorgendlichen Fluchthilfe für den Engländer lege ich mich noch etwas schlafen. Als letzte verlassen Christoph und ich die Herberge, alle anderen Pilger sind schon unterwegs.

Christoph geht los, ich suche zuerst einen Barbier auf und lasse mich rasieren.

Danach genehmige ich mir noch einen Cafe, dann geht es los bei bestem Wetter.

Con pan y vino se anda el camino, "mit Brot und Wein geht man den Weg". Ich bin in der Landschaft Bierzo, durch die geschützte Lage bevorzugtes Anbaugebiet von Obst, Gemüse und Wein.

Cacabelos, beim Ortseingang gibt es eine Sitzgelegenheit. Kommt genau richtig für die Mittagspause, Brot mit Käse und dem üblichen Liter Milch.

Es geht weiter durch hügelige Landschaften mit viel Weinbau. Dann komme ich durch den Ort Pieros - fast eine Zeitreise.

Villafranca del Bierzo. Die kleine Stadt wird "das kleine Compostela" genannt, da man hier früher einem Ablass von Sündenstrafe erhalten konnte, wenn man wegen Krankheit die Pilgerschaft nach Santiago nicht abschliessen konnte und abbrechen musste.

Nach Villafranca gibt es Wegalternativen, über die Höhe oder durch das Tal. Ich wähle den Talweg, heute ist nicht mein Tag. Ich bin müde und fühle mich schlapp. Zum Glück komme ich an einer Bar vorbei und gönne mir eine Cafe und ein grosses Eis, das bringt mich wieder nach vorn.

Der Weg schlängelt sich durch das Tal, die neue Autobahn mal darüber oder daneben. Die Strassenbau-Technik hat sich wesentlich verbessert in der letzten Jahren, von den Autos ist fast nichts zu hören.

Ich komme an einen kleinen Ort Pereje. Hier gibt es eine schöne Herberge in einem alten Haus. Diese Herberge kommt mir genau recht, für heute soll es genug sein.

Zwei Betten sind belegt, junge Pilger liegen darin und schlafen tief. Ich wasche meine Kleidung, schreibe Tagebuch. Als die beiden gegen Ende des Mittags aufwachen, gehen wir zusammen in einem Restaurant essen.

In der Herberge hängt ein schöner Zettel, "Lass den Boden, wie Du [ihn] findest". Mach' ich.

Tag 69: Pereje(E)-Triacastela, 12h, 13°C

Ich habe sehr gut geschlafen, bin trotzdem froh, dass heute Samstag ist und folglich morgen Ruhetag. Ich gehe alleine los, die beiden andere schlafen noch - um 8:00, das ist doch etwas ungewöhnlich in Herbergen.

Heute geht es noch einmal in höhere Lagen, von 550 Hm in Pereje auf 1330 Hm in O Cebreiro.

Nach einigen Kilometern komme ich nach Trabadelo.

Die Lastkraftwagen schleppen sich und ihre Güter durch das Tal hoch, zum Glück kann ich meist abseits der Strasse laufen.

In La Portela steht ein Wegweiser, nur noch 190 Km nach Santiago, scheinbar 559 Km von Roncesvalles hierher. Es gab allerdings einige Varianten auf dem Weg. Welcher Weg hier gemeint ist, ist nicht angegeben.

Ambasmestas, ein kleines Dorf unter der Autobahn.

Kurz darauf komme ich nach Vega de Valcarce. Bei einem vorbeifahrenden Bäckerwagen kann ich süsse Stückchen kaufen.

Die Autobahn windet sich kühn durch die Höhen.

Scheinbar regnet es in den Bergen, der kleine Bach führt Hochwasser. Ich komme auch kurz in einen Schauer, der ist nach wenigen Minuten allerdings schon wieder vorbei.

Dann ist die Autobahn plötzlich verschwunden, in einem Seitental oder Tunnel. Ich bin auf einmal alleine, ohne das ständige Brummen. Wunderbar!

Es geht nun eine steile bewaldete Bergflanke hoch.

Auf einmal stehe ich in einem kleinen Bergdorf. Die Kirche steht etwas abseits. Ich gehe hin - und sie ist offen. Schön, selten in Spanien.

Neben der Kirche steht eine schöne Pilgerstatue. Dann spricht mich eine Frau aus der Herberge daneben an. Der Dialekt kommt mir bekannt vor. Gut gehört, sie ist aus dem hohen deutschen Norden. Es handelt sich um eine Herberge, die von einer deutschen Jakobsgesellschaft Ultreia aus Stuttgart betreut wird.

Uta heisst die Frau, sie hat gestern die Herberge eröffnet und richtet sich noch ein. Sie wird einige Wochen bleiben und die Herberge in Schuss halten.

Sie hat Probleme mit der Satellitenverbindung für den Computer. Ich versuche zu helfen, was mir leider nicht gelingt, der Rechner kann keine Verbindung aufbauen zur Aussenwelt.

Uta kocht eine sehr gehaltvolle Suppe und lädt mich ein. Zwei weitere Deutsche treffen lautstark ein, ein älteres Paar, vom Via de la Plata aus Sevilla kommend. Sie sind nur am schimpfen wie kalt und schlecht organisiert alles wäre. Dann erzählen sie ausgiebig von luxuriösen Motorrad- und Bootstouren. Puh, ich bin froh weiter gehen zu können und mir sowas nicht den ganzen Tag anhören zu müssen.

Das Wetter wird stets besser, gute Sicht ins Tal.

Es geht recht rustikal zu hier oben.

Dann komme ich auf die Höhe im Dorf O Cebreiro. Hier steht wieder einer der wunderbaren Bildstöcke mit den zwei behauenen Seiten. Auf der einen Seite Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm.

Auf der anderen Seite der gekreuzigte Jesus.

O Cebreiro sieht aus wie ein Museumsdorf, mit vielen strohgedeckten Rundhäusern, Palloza genannt. Diese gehen auf die keltische Bautradition zurück mit mehr als 2.500 jähriger Geschichte.

Die Kirche Santa Maria, eine der ältesten Kirchen am spanischen Camino.

O Cebreiro besteht als Pilgerstation, seit Alfons II der Keusche 836 hier ein Pilgerhospital und ein Kloster zu dessen Betreuung stiftete. Berühmt ist es durch ein Hostienwunder, das sich im Jahr 1300 hier zugetragen haben soll: Ein frommer Bauer kommt trotz Sturm den Berg hinauf zur heiligen Messe, die ein an Gott zweifelnder Mönch zelebriert. Er macht sich insgeheim lustig über den Bauern. Während der Eucharistie wandelt sich jedoch tatsächlich Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi, worauf der Mönch geheilt ist.

Das "Wunder von O Cebreiro" ist ein durch die katholische Kirche offiziell anerkanntes Hostienwunder (durch Papst Innozenz VIII., 1484–1492, und Papst Alexander VI. 1492–1503). Die Katholischen Könige stifteten ein Bergkristallfläschchen für "Fleisch und Blut", die Wallfahrt zu Ehren des Wunders findet jeweils am 8./9. September statt.

Dieser „galicische Heilige Gral“ ging ins galicische Wappen ein und soll Inspiration für Richard Wagners musikalisches Schaffen gewesen sein. (Quelle: Wikipedia)

Ich bin nun in Galicien (nicht zu Verwechseln mit dem polnischen Galizien), der Provinz des Camino Frances in der Santiago liegt.

In O Cebreiero soll es eine gute Herberge geben, aber der Ort ist förmlich überschwemmt von spanischen Jugendlichen. Die sind mit einigen Bussen angereist, den Lärm in der Herberge will ich mir nicht antun. Ich entschliesse mich weiterzugehen. Nach einigen Kilometern komme ich zur Passhöhe Alto do San Roque. In O Cebreiero haben mich zwei Radpilger überholt, hier sehe ich sie wieder. Sie sind nicht viel schneller, der Weg ist wohl mühsam zu fahren.

Der Weg breitet sich vor mir aus, ich werde in den kommenden Stunden wieder absteigen auf 665 Hm.

Hospital de la Condesa, meine Hoffnung auf eine Bar für einen starken Café erfüllt sich leider nicht.

Es gibt jedoch eine vom Stil her ähnliche Kirche wie in O Cebreiro.

Hölzerne Wagenräder an der Hauswand, sie wirken mittelalterlich. Ich kenne eher die hölzernen Speichenräder aus Mitteleuropa, auch von alten Gemälden.

Dann komme ich endlich nach Triacastela, nicht ohne vorher noch ausgiebig eingeregent worden zu sein von Schauern. Ich fühle mich recht geplättet, der Abstieg hat sich lang gezogen, am Ende ging es recht steil abwärts. Dazu noch ordentlich Kilometer. Aber es ist Samstagabend, jetzt noch eine Herberge suchen, dann nehme ich mir einen Tag Pause.

Die Herberge ist recht voll, ich sehe einige bekannte Gesichter wieder. Erst duschen, dann koche ich. Allerdings habe ich nicht viel Auswahl, aber es sind genug Reste in der Küche zurückgelassen von anderen Pilgern, so dass ich mir eine ausgiebige Mahlzeit kochen kann.

Morgen werde ich ausschlafen und lesen.

Tag 70: Triacastela(E), 14°C

Ich schlafe lange, frühstücke um 9:00. Die anderen Pilger sind fast alle schon weg. Eine Frau aus Berlin ist noch mit ihren Hunden, die in einem eigenen Hunderaum übernachtet haben. Sie tragen ihr eigenes Futter. Sie ist auf dem Weg zurück von Santiago, geht Richtung Berlin. Wir frühstücken zusammen, dann geht sie los. Ich lege mich wieder in den Schlafsack und schlafe auch wieder ein.

Am frühen Mittag ist Messe in der Kirche, der Gottesdienst ist ungewohnt kurz. Ich mache mir dann einen Salat in der Herberge und setze mich danach in ein Cafe. Herrliches Wetter, solange die Sonne scheint. Sobald sie hinter einer Wolke ist wird es frisch.

Christoph läuft vorbei, wir trinken zusammen einen Cafe und geniessen die Sonne. Er geht dann weiter, morgen treffen wir uns vielleicht in Ferreiros.

Der Mittag geht schnell vorbei, ich laufe etwas um mir die Beine zu vertreten. Das Refugio hat sogar eine Badewanne, die darüberhinaus sauber ist. Ich genehmige mir ein Bad, koche etwas, lese, dann ab in den Schlafsack. Der Gite ist fast leer heute Nacht, nachdem er gestern so voll gewesen war. Herrlich, die Ruhe.

Tag 71: Triacastela(E)-Ferreiros(E), 11h, 20°C

Ich stehe früh auf und gehe schnell, möchte zur Laudes im Kloster Samos sein. Es ist noch Dunkel beim loslaufen, ich gehe daher an der Strasse entlang. Es sind zum Glück nur wenig Autos unterwegs, dafür etliche LKW. Ich muss zur Seite springen, um sicher zu sein. Trotz der Rennerei -die 11km laufe ich in anderthalb Stunden- komme ich etwas zu spät, die Tore des Klosters sind verschlossen. Naja, ein starker Cafe ist jetzt auch gut.

Es ist neblig im Tal und kühl. Ich bin verschwitzt, nach dem Cafe gehe ich gleich weiter.

Dann beginnt ein wunderbarer Weg durch den Wald. Der Nebel verzaubert die Landschaft.

Dann klärt sich der Nebel und die Sonne strahlt. Was für ein Tag! Blick über Sarria.

Beim Verlassen von Sarria komme ich am Magdalena Kloster aus dem 16.ten Jahrhundert vorbei. Eine Frau sieht mich fotografieren und verschafft mir Zutritt zum Kloster.

Nach dem Kloster geht es einen sehr steilen Abhang hinunter, nach wenigen Minuten bin ich wieder mitten in ruhiger Natur.

Rente! Bei 106,5 km vor Santiago gibt es Rente - ich muss lachen, auch wenn es bei der Rente hier um einen Ort geht.

Ein Horreo Gallego, ein galicischer Maisspeicher. In Galicien kann man zwei Arten von Horreos unterscheiden, aus Holz oder Stein. Die Modelle aus Stein sind stabiler als die Hölzernen, wodurch man sie bevorzugt. Sie sind auf kleinen Steinsäulen aufgebaut, um sie vor Bodentieren wie Mäuse und Ratten zu schützen. Auf einer Seite befindet sich eine Tür, die Seitenwände sind so angebracht, dass der Horreo gut belüftet ist. Die Horreo wurden wohl von den Kelten entwickelt.

Die Treppe zur Tür ist vom Speicher getrennt, damit die Tiere nicht hinaufklettern können.

Einer der Brunnen am Weg mit wunderbar frischem Wasser. Ich trinke bei jeder Gelegenheit. Dehydration bemerke ich durch Kopfschmerzen. Wenn das soweit ist, kann ich das kaum mehr ausgleichen an so einem Tag. Ich trinke daher fast nach der Uhr, zumindest aber bei jeder Möglichkeit.

Die Landschaft mit dem Steinwällen erinnert mich an Irland, auch das Klima scheint mir ähnlich, da es hier soviel Bäche und Wasserstellen gibt.

Das Innere eines kleinen Gebäudes am Weg, die Tür steht offen. Es sieht aus wie eine kleine Kapelle. Es wäre die Einzige auf dem ganzen Camino, die ich demoliert vorfinden würde.

Kurz nach meiner Ankunft in Ferreiros kommt Elisabeth aus dem Murgtal bei Baden-Baden an. Schöne Überraschung! Sie läuft langsam, aber sehr konstant. Wir haben uns erstmals in Carrión de los Condes getroffen.

Später kommt Christoph. Ich habe ihn unterwegs nicht gesehen, muss ihn aber überholt haben. Wir gehen essen in einem nahen Restaurant. Ein sehr milder Abend, ich laufe barfuss, wir sitzen draussen am Weg. Elisabeth hat schon in Carrion fast nichts gegessen, isst immer noch nichts. Respekt, aber das wäre nichts für mich.

Tag 72: Ferreiros(E)-Palas de Rei(E), 9h, 20°C

Es gibt eine Küche in der Herberge, aber kein Geschirr. Das ist wohl üblich in Galicien, aber doch recht unpraktisch. Wie üblich esse ich Brot mit Honig zum Frühstück, dazu Milch.

Heute werde ich zusammen mit Christoph laufen.

Es geht durch ländliche Gebiete, die manchmal einen mittelalterlichen Eindruck machen. Viele kleine Gehöfte.

Gegen Mittag kommen wir nach Portomarín, einer kleinen Stadt mit 2000 Einwohnern. Bei der Anlage des Belesar-Stausees wurde der Ortskern am Hang höher neu angelegt, neben der Kirche San Nicolas (Ortsmitte) wurden ein alter Brückenbogen (Ortseingang) und die Portalfront der Kapelle San Pedro abgetragen und am neuen Standort wieder aufgebaut (Quelle: Wikipedia).

Die Kirche San Nicolas, im Bild oben, sieht sehr kompakt aus, mit ihren Zinnen wie eine Wehrkirche. Stein für Stein wurde sie versetzt, ich bin den Bauleuten dankbar für ihre Mühen.

Eine Kapelle in Portomarin mit einem romanischen Portal, nur die Türe passt nicht ganz.

Einer der schönsten Horreo Gallego, die ich unterwegs sehe.

Mimese ist die Nachahmung der Umgebung von Lebewesen zur Überlistung von Fressfeinden. Hunderte Raupen laufen hier einer Reihe, dicht an dicht, wohl um eine Schlange zu imitieren.

Das hat jedoch Vögel oder andere Tiere nicht daran gehindert, eine zweite, ähnliche Reihe zu überfallen. Dort liegen nur noch tote und zerfetzte Raupen in der Reihe.

Die Landschaft ist grün, durch die regelmässigen und reichlichen Niederschläge.

Der Stechginster (Ulex Europaeus) bildet dichte und stachelige Hecken, die undurchdringlich sind für Menschen und Vieh. Stechginster wurde übrigens zu den 100 weltweit schlimmsten Eindringlingen (Neophyten) gewählt, da er sich weltweit unerwünscht ausbreitet.

Beim Vorbeilaufen an einer Bar sehen wir Michael aus Irland sitzen. Ich habe ihn in den letzten Tagen mehrfach getroffen. Er ist vor einigen Jahren von einem Hirntumor genesen, daher kann er nicht in der prallen Sonne laufen, auch, wenn die noch nicht sehr stark scheint. Er macht seine Kilometer daher vor allem am Morgen und Abend. Dies alles hindert den lebenslustigen Michael nicht daran, sich an einer Flasche Wein zu erfreuen. Ich nehme wie üblich einen Café.

Ein interessanter Bildstock, wenn auch recht grob gehauen.

Wir kommen nach Palas de Rei. Es sah den ganzen Tag über nach Regen aus, auch wenn die Sonne oft durchbrach. Zum Glück hat das Wetter gehalten, erst jetzt fallen die ersten Tropfen.

Es ist eine Woche vor der Karwoche, scheinbar ist dies eine Ausflugswoche für spanische Schulen. Hunderte Kinder sind unterwegs mit ihren Lehrern. Die Herberge ist entsprechend voll. Sie ist gross, mit vielen Etagen, aber fast komplett ausgebucht. Das Gedränge ist mir eigentlich zuviel, aber es ist nicht mehr weit bis Santiago, ich werde mich daran gewöhnen müssen.

Apropos Santiago.

Ich hatte bisher nicht an Santiago gedacht, habe auch keine konkreten Vorstellungen dazu. In die Vorbereitungsphase habe ich Santiago bewusst nicht einbezogen. Nun muss ich mich doch langsam mental darauf vorbereiten. Ich habe Angst davor, dort anzukommen. Ich stelle mir vor, wie grosse Mengen Menschen dort ein Spektakel abziehen a la Disneyland. Dazu Unmengen billiger Devotionalien. Dazwischen Gruppen deutscher Rentner und Lehrer, die besserwisserisch unendlich nerven, obwohl sie mit dem Luxusbus angereist sind - immerhin werden sie wohl die letzten drei Kilometer den Camino überfluten und mit Nordic-Walking Gehstöcken grosse

Strapazen vortäuschen. Als Topper befürchte ich amerikanische Reisegruppen, die in der Kathedrale mit ihrem breiten Texas Englisch laut ihre Bewunderung bekunden, und im Grunde nichts vom Wesen des Camino verstehen.

Oder doch nicht? Ich muss mich in Toleranz üben und auf die Zivilisation vorbereiten. Eigentlich könnte ich immer so weiterlaufen und beneide schon jetzt die Pilger, die den Weg auch wieder zurücklaufen.

Tag 73: Palas de Rei(E)-Santa Irene(E), 11h, 18°C

Die Nacht war gut - bis um 4 Uhr, dann bin ich wach. Ich schmiede den Plan für die nächsten zwei Tage. Heute eine 46km Etappe, morgen 25km nach Santiago. Ich wecke Christoph um 6 Uhr, er will mitlaufen. Die spanische Schulklasse ist bereits aufgebrochen. Da es in der Küche wieder kein Geschirr gibt und somit keinen Topf zum Milchwärmen, geht das Frühstück recht schnell, wir brechen im Dunkeln auf. Die Vögel zwitschern, es ist ein milder Morgen.

In Arzúa in der Provinz La Coruña machen wir Mittagspause. Wir kaufen Brot, Milch, Käse und Schokolade in einem Supermarkt ein. Christoph will in Arzúa bleiben, wir haben auch schon 30km in den Beinen heute. Ich möchte noch weiter gehen.

Es geht durch Eukalyptuswälder. Was für ein Vergehen an der Umwelt! Eukalyptus ist kein heimisches Gewächs, es wurde in EU geförderten Programmen im grossen Massstab angepflanzt. Dabei geht diese Baumart sehr verschwenderisch mit dem Boden um. Der Wald sieht auch sehr bescheiden aus, die Rinde blättert in langen Stücken ab, der Boden ist kniehoch übersät mit Rinde. Wikipedia schreibt zu Eukalyptus: "In Südeuropa wird Eukalyptus wegen seiner Schnellwüchsigkeit und guten Holzqualität oft angebaut. Das führt häufig zu Problemen, weil er den Boden bis in die Tiefe austrocknet, den heimischen Tieren keinen Lebensraum bietet, andere Baumarten aggressiv verdrängt und mit seinen hochbrennbaren Ölen Waldbrände fördert. Eukalytus profitiert von Waldbränden, da seine Wurzelstöcke und Samen ein Feuer überleben und sehr schnell wieder austreiben, bevor andere Pflanzenarten sich erholt haben. Der Eukalyptus hat die Eigenschaft, von Zeit zu Zeit ohne Vorwarnung große Äste abzuwerfen, was in Australien schon öfter zu tödlichen Unfällen geführt hat. Daher sollte man niemals unterhalb eines Eukalyptusbaumes kampieren. Dieser Mechanismus hilft dem Baum, Wasser zu sparen, außerdem fördern die herumliegenden Äste die für den Eukalyptus nützlichen Waldbrände, wenn sie nicht regelmäßig weggeräumt werden."

Der Weg fällt mir schwer, die Füsse schmerzen. Es gibt aber keine Unterkünfte vor Santa Irene. Es fängt kurz vor meiner Ankunft an heftig zu regnen. Nur eine Irin ist im Refugio; sehr angenehm, ohne Schulklassen oder grosse Gruppen die letzte Nacht vor Santiago zu verbringen. Ann ist 56 Jahre alt, sie hat ihre Anstellung als Projektmanagerin gekündigt. Sie ist in den letzten Jahren in Etappen von Irland nach Santiago gelaufen. Nun möchte sie in einem Stück von Santiago nach Rom laufen. Sie erwartet im August dort anzukommen. Wow!

Gegen 20Uhr steht Christoph in der Tür. Er ist doch noch gelaufen, der Refugio in Arzúa war voll. Nach einem Mittagsschlaf ist er weitergegangen. Na, dann werden wir heute Nacht wohl noch weitere Besucher erhalten.

Nach dem Essen wankt plötzlich Briane zur Tür herein, sie ist eine Brasilianerin. Ich habe sie erstmals in Villafranca del Bierzo getroffen. Sie isst sehr wenig, gestern Abend war sie in Palas de Rei mit uns in einer Gruppe von Pilgern essen. Sie hat da nur an einem Stück Brot geknabbert.

Briane hat keine Regenkleidung an, nur einen dünnen Pulli. Dabei regnet es draussen in Strömen. Sie ist völlig unterkühlt, wohl auch unterzuckert. Sie sitzt schlotternd auf einem Stuhl und kann weder sprechen noch sich bewegen. Sie sitzt nur teilnahmslos da und zittert.

Ich hole Ann aus dem Bett, sie hatte sich bereits schlafen gelegt. Zum Glück gibt es eine Badewanne, Ann lässt warmes Wasser ein. Ich geben Briane etwas von meinem Honig, damit sie Kohlehydrate aufnimmt und wieder zu sich kommt. Ann zieht sie im Bad aus und hilft ihr in die Wanne, damit sie sich aufwärmen kann. Sie gibt ihr trockene Kleidung, ihre eigenen Sachen sind durchnässt. Wir breiten ihre nassen Sachen vor einem Gasofen aus zum Trocknen. Vor der Heizung schläft Briane dann eine Weile in Decken gehüllt, während Ann für sie ihre Notration Essen kocht. Braine kann nur wenig essen, danach legen wir sie in den Schlafsack ins Bett.

Das war ein lebensgefährliche Aktion. Briane hätte nur stolpern und den Fuss verletzen oder sich verlaufen müssen, dann wäre sie vielleicht erst morgen gefunden worden von den ersten Pilgern. Sie war 5h im kalten Regen gelaufen, immer in der Hoffnung, der Regen würde gleich aufhören. Dabei hatte sie ihre Regenkleidung und etwas Käse im Rucksack. Sie war aber bereits so in Trance, dass es ihr nicht möglich war, ordentliche Kleidung anzulegen und etwas zu essen.

Tag 74: Santa Irene(E)-Santiago de Compostela(E), 5h, 16°C

Heute ist der Tag, ich werde nach Santiago de Compostela kommen. Der Morgen ist mild, aber die Sonne kann nicht richtig durchbrechen. Grosse Regenwolken ziehen vorüber.

Christoph und ich verabschieden Ann Richtung Rom und laufen gemeinsam los. Briane ist völlig kaputt und kann noch nicht gehen. Sie wird ihren Körper nach diesen Strapazen erst etwas erholen müssen.

Nach der ersten Pause in einer Bar gehe ich alleine weiter, ich möche alleine ankommen. Christoph trinkt noch einen Café und bleibt zurück.

Am Berg der Freude (Mont de Gozo) kann man laut Führer erstmals die Kathedrale von Santiago sehe. Aber es ist alles recht zugewachsen, ich kann die Türme jedenfalls nicht ausmachen. An der Flanke dieses Hügels ist eine riesige Herbergsanlage gebaut, mit wohl hunderten Betten für die Pilger. Bin ich froh, nicht in der Hochsaison anzukommen!

Dann ist es soweit, ich überquere die Stadtgrenze.

Entgegen meinen Irrwegen bei den vorhergehenden Städten kann ich diesmal den Schildern in die Stadt folgen, jedenfalls bis kurz vor die Kathedrale. Erst dort verliere ich den offiziellen Weg aus den Augen und komme folglich einen anderen Weg zur Kirche. Von hinten auf den grossen Platz.

Und nun erschlägt es mich förmlich. Der Platz ist fast leer, nur einige Pilger, Touristen und Wachleute sind da. Ich rolle trotz leichten Nieselregens meine Matte aus und lege mich mitten auf den Platz, Kopf auf den Rucksack. Das Ankommen dauert lange. Sehr lange. Bilder sausen mir durch den Kopf, Gefühle. Eine ganz grosse Müdigkeit überkommt mich. Ich könnte jetzt nicht in die Kathedrale gehen, geniesse die Pracht des Portals und das Ankommen.

Unbeschreiblich!

Nach über einer Stunde raffe ich mich auf, und gehe ganz langsam die Treppen hoch.

Ich bin Stunden in der Kirche um wieder zu mir zu kommen und schaue mir alle Details an. Die Stimmung ist wider Erwarten ruhig und sehr würdig. Schulklassen strömen durch die Kirche, sind so schnell weg wie sie gekommen sind. Das traditionelle Ankommen-Ritual mache ich nur insofern mit, wie es mir nicht zu albern erscheint.

Christoph ist auch da, auch andere mir bekannte Gesichter. Ich bin wie benommen.

Gegen Abend gehen wir zur Herberge auf einem anderen Hügel der Stadt im ehemaligen Priesterseminar. Simon war gestern auch da, zurück von Finisterre. Er lässt mir Grüsse ausrichten vom Engländer, dem ich in Ponferrada zur morgendlichen Flucht aus dem Fenster verholfen habe.

Um 19:30 ist Abendmesse, die wir besuchen. Danach gehen wir Tintenfisch essen in der Stadt. Die ist voller Menschen und Leben, eine ganz ausgezeichnete Stimmung.

Ich bin sehr dankbar, keinen Touristennepp anzutreffen wie befürchtet und auch keine Dummy-Pilger.

Santigo de Compostela empfängt mich ausserordentlich würdig und lässt mich an diesem Tag die ganz grossen Gefühle erleben. Danke!

In den nächsten Etappen werde ich Feierlichkeiten der Karwoche (Semanta Santa) und meinen Weg nach Finisterre und Muxia beschreiben.

Teil V: Zum Ende der Welt

© Copyright 2007 by Andie Kanne