Zurück zum Teil IV: Camino Frances

Tag 75: Santiago de Compostela(E)-Negreira(E), 7h, 16°C

Blick auf unsre Herberge, dem Seminario Menor de Belvis. Habe gut geschlafen. Morgens schlendern wir durch die Stadt, trinken Café.

Meeresfrüchte auf dem Markt. Wieso heissen Fische eigentlich Früchte?

Um 12:00 ist Pilgermesse, die Pilger werden nach Herkunftsland angekündigt. Viele Bekannte sind da, bereits in den letzten Tagen oder auch eben erst angekommen. Nach der Messe gehen wir gemeinsam essen. Es gibt ein Restaurant für Pilger, die Leute stehen Schlange bis auf die Strasse. Sehr gutes Essen für 7 EUR. Auch Elisabeth aus dem Murgtal und Briane, die Brasilianerin sind da. Beide essen immer noch nichts. Das kann ja nicht gesund sein. Ist auch schade, das Essen ist wirklich ausgezeichnet.

Es ist schon später Nachmittag, als Christoph und ich losgehen.

Wir wollen direkt weiter nach Finisterre, an das Ende der Welt am Atlantik. Knappe hundert Kilometer in drei Tagesetappen. Geht nicht in zwei Etappen wegen der Herbergenverteilung, sonst wäre eine Etappe extrem gross.

Blick zurück auf Santiago, es geht weiterhin nach Westen.

Feans, eine langgezogener Ort. Die Wegmarkierungen sind nun bedeutend schlechter, es gibt auch weniger davon. Prompt verlaufen wir uns, eigentlich erstmals auf dem Camino. Eine Busfahrerin hält und fährt uns mit zurück auf den richtigen Weg, wir waren schon kilometerweit abseits.

Die drei Bernhardiner auf der Mauer veranstalten einen ordentlichen Radau als wir vorbeigehen.

Nach etlichen Kilometern Ponte Maceira, eine mittelalterliche Brücke über den Río Tambre. Die Dämmerung bricht herein, noch 6 km nach Negreira, unserem heutigen Etappenziel.

Als wir gegen 24 Uhr endlich in Negreira ankommen, haben wir auch noch Schwierigkeiten, die Herberge zu finden. Sie liegt auch etwas ausserhalb der Stadt. Zum Glück ist die Türe nicht verschlossen. Alles ist Dunkel, einige Pilger schlafen in den Betten in der oberen Etage. Um niemanden zu stören, duschen wir leise und legen uns unten auf Matratzen in die Eingangshalle.

Gute Nacht, das war wider Erwarten nun noch recht anstrengend heute.

Tag 76: Negreira(E)-Olveiroa(E), 9h, 16°C

Als wir morgens aufwachen, sind alle anderen schon weg. Sie waren leise und haben uns schlafen lassen. Wir lassen uns Zeit, heute sind es nur 35km. Erst in Ruhe Café trinken und einkaufen gehen. Morgen ist Sonntag, wer weiss ob wir dann was kriegen. Laut Führer kann man in Olveiroa, unserem Tagesziel, nicht einkaufen.

Ein interessantes Denkmal für die vielen Arbeitsemigranten aus dieser Gegend, in der es nicht viel Arbeit gibt. Der Vater zieht in die Welt und muss seine Wurzeln losreissen ...

... während der Sohn ihn halten will und die Frau mit den Kindern zurückbleibt.

Windräder auf einem Hügel, ich finde das immer wieder einen schönen Anblick. Der Wind bläst sicher regelmässig in dieser Gegend.

Heute geht es durch dünn besiedelte, hügelige Gebiete mit viel Wald.

Die Etappe ist schön, aber ich stelle fest, dass ich langsam keine Lust mehr habe zu laufen. Santiago war wirklich das Ziel der Reise, auch wenn mir das nicht so bewusst war. Jetzt geht es mir eigentlich nur noch darum, die Reise zu komplettieren. Der Atlantik morgen oder übermorgen ist bestimmt auch ein Erlebnis. Ich wohne jedoch nur wenige Kilometer von der Nordsee entfernt, das Meer übt daher vielleicht nicht die grosse Faszination auf mich aus, die es auf andere Pilger hat.

Die Ankunft in Santiago vorgestern wird nur sehr schwer zu toppen sein.

Wieviele Pilger mögen an diesem Bildstock schon vorbeigekommen sein. Bei Hitze, Kälte, Sturm, Hagel, Schnee oder Regen. Oder auch an einem milden Tag wie heute.

Und aus welchen Motiven werden die Leute hier vorbeigekommen sein. Aus religiösen oder spirituellen Gründen, aus Abenteuerlust, auf Flucht vor irgendetwas oder sich selbst, als Strafe, aus sportlichen oder kunsthistorischen Motiven.

Die wenigsten werden wohl als diejenigen zurückgekehrt sein, als die sie losgegangen sind.

Ich treffe zwei ältere Damen aus dem Allgäu - Christoph hat sich schon vor einer Weile auf eine Wiese schlafen gelegt und ist zurückgeblieben. Interessanterweise haben die Damen die Reise in Santiago begonnen, laufen nun nach Finisterre und von dort dann zurück Richtung Pyrenäen.

Sie haben sich total überladen, die Rucksäcke dürften jeweils an die 20 Kg wiegen. Dafür haben sie einen elektrischen Fön dabei und verschiedene Cremes in riesigen Dosen. Sie werden wohl noch leiden müssen bis zur nächsten Poststelle, wo sie überflüssiges Gepäck zurücksenden können. Die Knie und Hüften schmerzen ihnen nun bereits.

Im Hintergrund ist der Stausee des Flusses Xallás zu sehen.

Es geht durch viele kleine Dörfer und Gehöfte mit wohlklingenden Namen wie Vilaserío, Cornado, Maroñas, Santa Marina, Geima oder Dumbriá.

Ponte Olveira, eine kleine Siedlung an der Brücke über den Rio Xallás.

Unter der Brücke fließt der Restfluss des Stausees durch. Den hatte ich bereits vor einer Weile aus der Ferne gesehen.

Es ist nun nicht mehr weit nach Olveiroa.

Die Herberge in Olveiroa ist fast voll, ich erhalte das letzte Bett. Zum Glück kann eine ganze Pilgergruppe ausgelagert werden in eine andere Räumlichkeit, sodass die zwei deutschen Damen und Christoph auch noch unterkommen, als sie in der Dämmerung ankommen.

Es gibt netterweise einen grossen Topf Linseneintopf und Obst für alle, bereitgestellt von der Hospitaliera.

Tag 77: Olveiroa(E)-Finisterre(E), 8h, 20°C

Es ist Sonntagmorgen, Palmsonntag. Vor der Kirche werden symbolische Palmzweige verteilt, grosse Büsche Olivenzweige (Olea europaea). In Deutschland gibt es aus diesem Anlass meist Ästchen mit Trieben von Weidekätzchen (Salix).

Nachdem die Messe fertig ist, was, wie meist in Spanien, recht zügig geht, wird direkt im Anschluss übergangslos eine zweite Messe gehalten. Das habe ich noch nicht erlebt. Wahrscheinlich kommt der Pfarrer in dieser dünn besiedelten Gegend nur selten für einen Gottesdienst, und verknüpft dann gleich die bestellten Gedenkdienste.

Ausser den beiden deutschen Damen von gestern und Christoph sind alle anderen Pilger direkt losgelaufen. Im Hintergrund die typischen Gräber, bei denen die Särge in Kammern gelegt werden, und mit einer Gedenktafel verschlossen werden.

Es ist der erste Sonntag seit langen, an dem ich keinen Ruhetag einlegen werde. Der Ort ist klein, so kurz vor dem Meer macht das auch keinen Sinn.

Christoph strahlt, wie die Sonne an diesem Tag.

Wir kommen nochmal am Refugio vorbei. Wenigstens gegen Ende der Reise möchte ich einmal ein Bild machen vom Innenraum. Dieser hier ist sehr gepflegt und sauber. Wie üblich gibt es Stockbetten, man schläft im mitgebrachten Schlafsack. Im Sommer reichen wahrscheinlich eine dünne Decke und ein Spannbezug.

Wir kommen nochmals wir am Rio Xallas vorbei. Etwas weiter flussaufwärts wird er wiederum gestaut beim Staudamm Santa Eugenia, zurück bleibt ein kleines Rinnsal.

Eine Mutter mit ihrer Tochter treibt die Kühe von der Weide.

Wir kommen an eine einsamen gelegene Kapelle. Dies muss eine besondere Stelle gewesen sein, mitten in der Wiese steht ein Bildstock aus Granit.

Etwas schief steht er da, das aber wohl schon seit Jahrhunderten.

An der Seite der Kapelle ist eine Art Schrein, Pilger haben eine Menge persönlicher Dinge zurückgelassen. Puppenfiguren, Steine, Hölzer. Hat was von Voodoo.

Es geht durch eine hochgelegene Heide- und Waldlandschaft.

Bis wir plötzlich vor einer blauen, glitzernden Fläche stehen.

Der Atlantik! Wie müssen sich die Menschen des Mittelalters gefühlt haben, wenn sie vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben hier das Meer gesehen haben!

Auch Maria schaut auf das Meer hinab. Bei der Geste fällt mir ein altes Lied ein

Maria, breit den Mantel aus,

mach Schirm und Schild für uns daraus;

lass uns darunter sicher stehn,

bis alle Stürm vorüber gehn.

Patronin voller Güte,

uns allezeit behüte.

Bis hierher ist es ja gelungen.

Nach einem steilen Abstieg kommen wir nach Cée, einer Hafenstadt mit 7.500 Einwohnern. Ein starker Fallwind braust von der Hochebene in den Ort hinunter und treibt Papier und kleine Abfälle auf das Meer hinaus. Wir gehen weiter ohne Pause, es gibt keine geöffnete Bar am Weg.

Nun fängt der Weg an, sich lange zu ziehen. Wir müssen um eine grosse Bucht laufen. Als Sonntags-Sport fackeln Männer den Wald das Unterholz ab, wir müssen mittendurch.

Und plötzlich öffnet sich der Blick auf die letzte Bucht. Drüben liegt Finisterre, das Ende der Welt. Kein Land mehr zwischen dieser Halbinsel und Nordamerika.

Der Himmel zieht sich etwas zu, es wird immer windiger.

An geschützten Stellen könnte man baden. Ich bin jedoch zu müde, ausserdem ist es kühl durch den auffrischenden Wind. Ich laufe noch immer in meiner kompletten Aussrüstung wie am ersten Tag, ausser dem Stirnband und den Handschuhen.

Blick über die Bucht zurück auf das Festland.

Entlang des Playa de Langosteira.

Finisterre, oder Fisterra auf galizisch. Wie ich mich fühle am Sehnsuchtsort vieler Pilger? Sehr müde.

Der Wind frischt immer mehr auf, die Fischerboote im Hafen hüpfen auf und ab. Mein erster Gang ist zur Herberge, dort dusche ich und lege ich mich ins Bett. Michael, der Milizionär aus Österreich, ist auch da. Er ist den grössten Teil des Camino mit dem Bus gefahren. Ich hatte ihn erstmals in Burgos getroffen, in Boadilla del Camino haben Christoph, er und ich zusammen übernachtet.

Nun gehen wir zu dritt essen, zuerst die wunderbare galizische Kohlsuppe und danach Fisch.

Die Herberge ist voll, ich nehme an, das wir nur eine Nacht bleiben können. Morgen mache ich einen Ruhetag, Christoph ebenfalls. Übermorgen möchte ich nach Muxia laufen. Christoph und Michael werden dann mit dem Bus zurückfahren nach Santiago.

Tag 78: Finisterre(E), 18°C

Ein herrlicher Morgen, ich habe sogar bis 10 Uhr geschlafen. Wir gehen zu dritt in den Hafen zum Frühstücken. Dann verabschieden wir Michael, er wird zurückfahren nach Santiago und nachhause fliegen.

Christoph und ich suchen uns eine Pension, wir dürfen keine zweite Nacht in der Herberge bleiben. Nachdem wir ein Zimmer haben, gehen wir hinauf zum Kap. Das Kap ist eine Halbinsel, der Weg für stets bergan um den südlichsten Punkt bis zum Leuchtturm.

Oben auf der Kap soll sich eine Einsiedelei des San Guillermo aus dem 7. Jhd befinden mit einem Fruchtbarkeitsbett (Cama de fertilidat), wo sich früher Pärchen zur Überwindung von Infertilität getroffen haben sollen. Leider finden wir die Stelle nicht.

Der Stechginster macht seinem Namen alle Ehre, es ist kein Durchkommen, wo kein vorgetretener Pfad vorhanden ist.

Blick vom höchsten Punkt der Halbinsel auf den Atlantik.

Etwas weiter westlich, oberhalb der Steilküste. Weit unten im Wasser sieht man Fischerboote, die das Kap umfahren, um in den Hafen zurückzukehren.

Blick in den Norden. In der Bucht rechts liegt Finisterre, hinter einem Sattel von nur wenigen dutzend Metern über dem Meer.

Einige Felsen sind dem Kap vorgelagert, sie werden vor der Erfindung des Radars der Schifffahrt bei Nebel sicherlich ernsthafte Probleme bereitet haben.

Und dann der Blick auf den Leuchtturm. Ende des alten Europa. Ende der Pilgerschaft für die meisten.

Ein letzter hoher Bildstock.

Ein Stiefel aus Bronze, Denkmal für die Pilger. Der zweite Stiefel wurde gestohlen. Er wird jetzt irgendwo im Vorgarten stehen, hoffentlich nicht in Deutschland.

Ein letztes Kreuz aus Granit. Auch hierher haben Pilger Steine mitgebracht und abgelegt. Bis diese Steine eine Ansammlung wie beim Cruz de Ferro erreichen, werden noch einige Jahrhunderte vergehen und viele Sünden begangen werden sein müssen.

Mächtige Nebelhörner unterhalb des Leuchtturms, sie werden den Seeleuten bei Nebel desöfteren das Leben gerettet haben.

Der Pilgertradition folgend soll man hier ein abgetragenes Kleidungsstück verbrennen und den Sonnenuntergang beobachten. Ich habe allerdings kein abgetragenes Kleidungsstück, das ich entbehren könnte. Symbolisch verbrenne ich ein Tempo-Taschentuch. Auch besser für die Umwelt. Den Sonnenuntergang hingegen werde ich mir nicht entgehen lassen.

Der Leuchtturm ist noch auf beträchtlicher Höhe über dem Meer. Ich klettere weit hinunter, ans das Meer selbst komme ich jedoch nicht.

Jakobus hält die Stellung, während ich am späten Nachmittag zurück zum Städtchen laufe.

Am Ortseingang vom Kap her liegt die Kirche Santa María das Areas.

In der Kirche steht eine Darstellung des Cristo da Barba Dorada aus dem 14. Jahrhundert, übersetzt heisst das Blonder Bart.

Für die Karwoche, die heute beginnt, stehen christliche Figuren auf Tragegestellen bereit, hier die Mutter Maria, von einem grossen Blumenbouquet eingefasst. Die Figuren werden in abendlichen Prozessionen durch die Stadt getragen.

Und gegen Ende der Pilgerschaft sehe ich hier auch nochmals den Hl. Roche als Pilger, mit der Pestwunde am Bein und dem Hund, der ihm das Brot trägt.

Am Playa de Langosteira, der durch das Kap geschützten Bucht, gehen Christoph und ich kurz schwimmen. Das Wasser ist eiskalt, dazu bläst auch ein kalter Wind. Aber wir wollen natürlich zumindest einmal im Atlantik schwimmen, wenn wir schon hier sind. Und wenn dazu noch die Sonne scheint.

Auf der anderen Seite des Kaps, mit freiem Blick auf den Ozean, bewundern wir den Sonnenuntergang. Nach monatelangem laufen in Richtung Westen ist das Ende des Kontinents erreicht. Vom Bodensee bis an den Atlantik, ein bisschen stolz bin ich nun schon.

Tag 79: Finisterre(E)-Muxia(E), 8h, 20°C

Mein letzter Lauftag heute.

Die Etappe von Finisterre nach Muxia ist im Führer des Bergverlag Rother beschrieben, sie

ist nicht im Outdoor Führer vom Stein-Verlag erwähnt.

Ich gehe alleine, Christoph fährt zurück nach Santiago. Das Wetter ist wunderbar, sonnig, aber kalt. Hermedesuxo de Arriba.

Vor mir sehe ich eine Pilgerin, das muss Catharina aus Canada sein. Ich habe sie ein paar mal getroffen unterwegs. Sie ist fast so gross wie ich, läuft schnell. Einholen kann ich sie nicht, sie biegt dann auch ab. Ich bin dann aber auch froh darum. Heute möchte ich eigentlich doch lieber alleine gehen. Abschied nehmen vom Camino.

Nur wenige Meter vom Weg ist der Strand, menschenleer. Ich werde die Ruhe und Einsamkeit vermissen, wenn ich wieder zuhause bin.

Meinen Stock habe ich immer noch, obwohl ich ihn schon ein paarmal habe stehen lassen und zurücklaufen musste um ihn zu holen. Ich habe ihn auf der Etappe hinter Le-Puy aus einem Haselnussstrauch geschnitten, um im tiefen Schnee besser bergauf gehen zu können. Nach einigen Tagen war er getrocknet, nun ist er sehr leicht und trotzdem zäh und stabil.

Seit einigen Tagen schmerzt allerdings mein Unterarm, wie bei einer einsetzenden Sehnenscheidenentzüdung.

Die Fischer sind in Küstennähe unterwegs in ihren kleinen Booten.

Dann führt der Weg wieder etwas landeinwärts.

Auch hier die Maisspeicher, auf Stelzen gegen Mäuse.

Am 19.ten November 2002 ...

... zerbrach und sank vor der Küste der schrottreife Tanker Prestige, mehr als 60.000 Tonnen Schweröl wurden an die Strände getrieben. Auf den ersten Blick ist davon nichts zu sehen. Die Prestige war ein einwandiger Tanker, 26 Jahre alt. Das Schweröl hatte einen solch hohen Schwefelgehalt, dass es in der EU als Sondermüll galt.

Es wird folglich an Drittweltländern verkauft (!) und dient dort als Energiequelle. Es wird verbrannt - wenn es auch hochgiftig ist.

Aus Profitgier fahren tausende solcher schrottreifen Schiffe über die Weltmeere.

Das siebte Gebot sagt "Du sollst nicht stehlen".

"Der Besitz, den dieses Gebot schützt, spricht nicht das Eigentum heilig. ... Die Armen sollen geschützt werden, das wenige, das sie haben, soll ihnen nicht genommen werden. Besitz, der vor unberechtigter Wegnahme gesichert ist, vor Raub und Diebstahl, Betrug und Veruntreuung, wird von der Bibel auf weiten Strecken als eine Leihgabe betrachtet. Der eigentliche Eigentümer (gerade auch des Landes) ist Gott, der Schöpfer und Herr der Geschichte; Menschen empfangen, was sie besitzen, um damit den Willen Gottes zu erfüllen. Das setzt intakte Besitzverhältnisse voraus."(Quelle: Kirchenseite.de)

Ich habe mich verlaufen. Der Weg von Santiago nach Finisterre ist schon wesentlicher schlichter ausgezeichnet als der Camino, hier ist nun fast keine Beschilderung mehr. Das gefällt mir gut, obwohl ich mich verlaufe. Es ist etwas authentischer als die vielen gelbe Pfeile auf jeder Hauswand.

Eine Fabrik in der Nähe von Lires. Es ist vielleicht eine Fisch- oder Garnelenzucht. Eine grosse Menge Möwen fliegt kreischend über den Aussenbecken.

Porcar, ein kleiner Ort mit Bar. Herrlich, eine kleine Pause bei einem starken Café. Ich frage einige der Leute nach dem Weg. Sie sprechen alle Schwiizerdüütsch, sie waren oder sind noch als Gastarbeiter in der Schweiz tätig und verbringen die Osterferien in der Heimat.

Eine alte Frau hütet ihre Kühe. Sie steht einfach da, auf ihren Stock aufgestützt. Hier ist die Zeit stehengeblieben.

Klares Wasser an einem Bach.

Muxia fin de ruta.

Ende der Route. Nur noch wenige Kilometer.

Aber die sind grün und bergen noch eine Überraschung!

In einer Bar an einer Strasse bestelle ich noch eine Café, und dann geschieht es: Ich bekomme ihn spendiert von einem der anwesenden Männer. Ich bin sehr gerührt. Auf der ganzen Reise habe ich (neben dem Essen in den Herbergen in Cluny und Olveiroa) unterwegs keine Einladung erhalten. Am vorletzten Ort dann doch noch. Schön.

Dann komme ich wieder ans Meer.

Muxia, die ersten Häuser. Der Ort soll hässlich sein, während einer kurzen Blütezeit der Fischerei wurde der alte Ortskern abgerissen und viele neue Häuser gebaut.

Muxia ist Teil der Costa da Morte, eine berüchtigte Küste, da sie für die Schifffahrt so gefährlich ist.

Es gibt viele Kirchen in Muxia, auf dem Weg zum Meer komme ich an der Santa María de Muxía vorbei.

Neben der Kirche ist ein Friedhof, von einer hohen Mauer umgeben.

Der Bildstock unten an der Wand steht hier sicher nicht an seinem originalen Standort. Maria auf der Rückseite steht so dicht an der Felswand, dass man sie kaum ansehen kann.

Und, auch ganz am Schluss, sehe ich doch noch ein keltisches Kreuz. Es ist das einzige das ich unterwegs gesehen habe. Ich hatte erwartet, dass ich diese Kreuze wesentlich öfter sehen würde.

Dann komme ich an die bekannteste Kirche, Muxia Virxe de Barca. Die Kirche Nuestra Senora de la Barca.

Direkt am Meer gelegen.

Blick aus dem Kirchenportal. Wie oft werden hier Sturmfluten gegen die Türe angedrückt haben?

Erstmals im Leben sehe ich hier einen Delphin schwimmen, wenn auch nur für Sekunden. Bis die Camera bereit ist, ist er wieder weggetaucht, kommt leider auch nicht mehr zum Vorschein.

Die Legende besagt, dass Jakobus die Bekehrung Spaniens nicht geglückt sei. Trostlos wollte es wieder umkehren, als im Maria zu Hilfe eilte. Ihr Boot sei in Muxia an dieser Stelle gelandet und versteinert. Tatsächlich sieht die Felsformation mit etwas Phantasie aus wie ein umgedrehter Schiffsrumpf.

Diese "Schiffsrippe" soll Wunderkräfte haben. Wer bei Rheuma-Erkrankungen 7 mal unter dem Felsen durchklettert, soll laut Legende Linderung erfahren.

Laut mehr esoterischen Quellen sind die Felsen jedoch von den Kelten behauene Steine.

Es gäbe für mich da noch eine plausible Erklärung. Wenige Meter vom Meer erscheint mir eine stromlinienförmige Felsformation nicht wirklich aussergewöhnlich. Wie auch immer, schöne anzusehen sind die Felsen allemal.

Mein Gepäck konnte ich bei Ankunft in der Touristeninformation einlagern. Gegen Abend treffen sich dort dann alle Pilger um das Gepäck zu holen. Überraschenderweise sind die alle nach mir angekommen in Muxia. Ich habe ich mich trotz meines Verlaufens wacker geschlagen - aber alle haben sich verlaufen, jeder hat den Weg aber als sehr schön empfunden.

Wir werden in der Turnhalle eingelagert und dürfen auf Matten schlafen. Nach der Dusche gehe ich mit Catharina essen. In einer Gaststätte, die eigentlich eher das Wohnzimmer der Familie ist, sehr heimelig.

Tag 80-82: Santiago de Compostela (Semanta Santa)

Morgens fahre ich mit dem ersten Bus von Muxia nach Santiago. Meine erste motorisierte Fahrt seit Wochen. Ich bin wirklich ganz und gar entschleunigt. Die geringe Geschwindigkeit des Busses reicht bereits aus, um mich schwindlig werden zu lassen. Ich hänge zwischen den Sitzen und muss mich an die vorbeirauschenden Bilder wieder gewöhnen.

In Santiago angekommen, empfängt mich eine geschäftige Stadt. Die Ankunft in einem Busbahnhof ist wesentlich unterschiedlich zu einer Ankunft zu Fuss über eine jahrhundertealte Route, auch wenn diese inzwischen asphaltiert ist.

Um mir etwas von meinem bisherigen Tempo zu erhalten, gehe ich erst in Ruhe eine Café trinken.

Ich werde nun noch ein paar Tage in Santiago de Compostela bleiben, es ist die Karwoche - Semanta Santa (heilige Woche). Das ist die Woche zwischen Palmsonntag und Ostern.

"Die Karwoche (althochdeutsch kara: Klage, Kummer, Trauer) ist die Bezeichnung der Trauerwoche vor Ostern, der letzten Woche der Fasten- oder Passionszeit. Die Karwoche umfasst die stillen Tage Montag bis Mittwoch und die eigentlichen Kartage Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag. Sie beginnt am Palmsonntag mit dem Gedächtnis des Einzugs Jesu in Jerusalem und erreicht über den Gründonnerstagabend, an dem die Einsetzung der Eucharistie bzw. des Abendmahls gefeiert wird, ihren Höhepunkt im Gedächtnis des Kreuzestodes Jesu am Karfreitag. Sie mündet am Ende des Karsamstags in die Feier der Osternacht.
Die Karwoche war noch bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts in weiten Teilen Deutschlands eine geschlossene Zeit, in der öffentliche Festlichkeiten und Vergnügungen nicht stattfanden. Heute ist allein in Deutschland der Karfreitag ein gesetzlich geschützter stiller Tag". (Quelle: Wikipedia)

In vielen Kirchen Spaniens sind Statuen der Personen der Passion (der Leidensgeschichte des Jesus) aufgestellt auf Tragebahren. Diese werden in einer Prozession durch die Stadt getragen, begleitet von Trommeln und teilweise Dudelsäcken.

Im folgenden Bilder verschiedener Prozessionszüge. Diese finden vor allem am späten Abend und Nachts statt. Die Teilnehmer sind fast durchgehend vermummt und tragen spitze Hüte, sehen dadurch gespenstisch aus.

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" "Prozessionen finden die gesamte Karwoche über statt, die Hauptprozession ist jedoch in der Regel am Karfreitag. Sie werden von Hermandades bzw. Cofradías genannten Vereinigungen organisiert und durchgeführt. Die Bruderschaften sind in der Regel einer Kirchengemeinde angeschlossen. Zu jeder Prozession gehören mehrere hundert bis zu über tausend Personen. Die Prozessionen setzen sich in der Regel aus den Pasos mit ihren Trägern und Begleitern, den Nazarenos (Büßern) und Musikkapellen bzw. Trommlergruppen zusammen." (Quelle: Wikipedia)

"Wichtiger Bestandteil der Prozessionen sind die Pasos. Dabei handelt es sich um tischförmige Konstruktionen, die eine Marienstatue oder eine Szene des Kreuzwegs mit Jesusstatue zeigen. Sie werden von Trägern (Costaleros), Mitgliedern der Hermandades, auf Schultern getragen. Die Träger befinden sich dabei unter den Konstruktionen. Wegen der Seitenbehänge aus Stoff können die Träger die Umgebung also nicht sehen. Kommandos für die Richtung und das Tempo werden von einem Begleiter gerufen. Kommandos für das gleichzeitige Absetzen und Anheben der Konstruktionen werden durch Klopfzeichen gegeben. Das Hauptelement einer jeden Prozession ist die Virgen (Jungfrau Maria), die mit kostbaren Gewändern, Kerzen und dem typischen Baldachin geschmückt ist." (Quelle: Wikipedia)

Im folgenden eine Serie Bilder aus Santiago, während der drei Tage dort aufgenommen. Überdachte Arkaden gegen den häufigen Regen, Kirchen, die Kathedrale, der Markt.

Der Innenhof des feudalen Hotel de los Reyes Catolicos. Dieses Hotel bietet täglich einer Gruppe von Pilgern ein kostenloses Essen an.

Wider Erwarten treffe ich nur einen anderen Pilger an an der Sammelstelle. Ich hatte erwartet, dass sich dort eine Vielzahl Pilger einfindet.

Nach einer langen Suche in dem 5-Sterne Hotel finden wir die Küche. Dort erhalten wir ein gutes Essen, dürfen es in einem eigenen Pilgerraum zu uns nehmen. Für jeden auch dir traditionelle Flasche Wein oder ersatzweise auch Wasser. Ich bliebe beim Wasser, wie so oft schweren Herzens. Aber nur noch wenige Tage, an Ostern ist die Fastenzeit vorüber.

Jesus und die die Jünger beim letzten Abendmahl, in einer Kirche als lebensgrosse Puppen arrangiert.

Jakobus nochmals in voller Action als Matamoro, Maurentöter. Solche Bilder sind für mich typisch spanisch. Blutrünstig und heldenhaft überzeichnet.

Der Platz vor der Kathedrale. Vor einigen Tagen war ich bei der Ankunft hier völlig überwältigt. Ich hoffe, dieses Gefühl noch lange in mir tragen zu können.

Das Pórtico de la Gloria des Baumeisters Mateo im Eingang des Westportals Fachada del Obradoiro gilt als architektonisches Meisterwerk. Die zentrale Figur der tragenden Säule ist der sitzende Jakobus mit Stab und bronzener Aureole.

Auch wenn ich der Pilgerlegende selbst in Zweifel ziehe, Jakobus ist für mich doch Mittelpunkt dieser Pilgerschaft geworden. Erst bin ich ihm in vielen Symbolen, Namen und Verweisen nähergekommen, am Ende nun doch in Persona, wenn auch steinern. Die kontemplative Haltung und fast demütige Ausstrahlung verkörpern wohl mehr das Wesen dieses langen Weges als das Bild des schwertschwingenden Streiters.

© Copyright 2007 by Andie Kanne