Der katholische Pfarrer Ludwig Hofmann notierte nach dem Krieg die Ereignisse
rund um das Ende des Zweiten Weltkrieges und ihre Auswirkungen in Külsheim in
seinem 'Memorabilienbuch', redigiert von Otto Spengler anlässlich des
40-jährigen Ende des Krieges.
Das neue Jahr wurde mit Sorge und Bangen angetreten. Es sollte und mußte das
letzte Jahr des furchtbarsten aller Kriege werden. Die Kriegsnot stieg mit jedem
Tag. Die Gefahr der Feindflieger wurde immer größer. Der Krieg rückte von Osten
und von Westen immer näher und mit Bangen sah man dem Tag entgegen, da die
Feinde auf dem Boden der engsten Heimat stehen werden.
Vom Schulknaben bis zum Greis wurden alle waffenfähigen in dem „Volkssturm“
eingesetzt. Die Gewissenlosigkeit der Nazi-Machthaber ging soweit, daß ein Dr.
Goebbels jetzt noch erklären konnte, er sei fester denn je vom deutschen Sieg
überzeugt. Dabei standen die Russen im Osten schon an der Oder und Engländer und
Amerikaner im Westen am Rhein. In Deutschland wurde brutal erhängt und gemordet,
wer nur irgendwie Zweifel am deutschen Sieg äußerte. Die Massenmörder der SS
waren zu allen Bluttaten bereit. Es wurde nicht mehr für Deutschland und sein
Wohl gekämpft, sondern nur noch für das Wohl der Nazi-Bonzen.
Feindliche Flugblätter, die immer wieder in Massen über unsere Gegend und
überall in Deutschland abgeworfen wurden, sollten das deutsche Volk aufklären.
In seiner Mehrheit wußte das das deutsche Volk ohnehin schon, aber gegen den
Blutterror der Nazi konnte die Vernunft nicht aufkommen.
Im Frühjahr trat der Krieg in sein schlimmstes Stadium ein. Man hörte nun nicht
mehr nur das Donnern der Feindbomber, sondern auch das Donnern der feindlichen
Artillerie. Daß die Front uns immer näher rückte, bewies auch die immer
zahlreicher werdenden Einquartierungen deutscher Truppenteile, die auf dem
Rückzug waren. So wurde hier eine Werkstättenabteilung der Marine-Landetruppen
einquartiert, die defekte Kraftwagen reparieren und an die Front wieder
zurückbringen mußte. Im März wurde dann das Schloß von einem Heeres-Stab belegt,
der von Darmstadt plötzlich hierher verlegt wurde, weil die Amerikaner
überraschend schnell über den Rhein vorgestoßen waren.
Ende März, in der Karwoche kam ein ganzer Generalstab hier an, mit dem
kommandierenden General Ritterkreuzträger Ehrenbrecht, welcher im Pfarrhaus
einquartiert wurde, obwohl das Haus schon überbesetzt war. Im Schloß wurde
außerdem einen Funkstation des Flugplatzes Wertheim untergebracht; bei der
wachsenden Fliegergefahr alles für Külsheim bedrohliche Maßnahmen. Es wurde
außerdem Anfang März ein Teil des Telegrafenamtes Mannheim mit General hierher
verlegt, so daß der Ort mit den vielen Evakuierten aus allen Teilen Deutschlands
über und über mit Leuten besetzt war. In der Karwoche erschien dann hier auch
noch der Oberbonze des Bezirks, Kreisleiter Schmitt von Wertheim, wo es ihm
wegen des nahen Flugplatzes wohl zu unsicher geworden war. Von jedem anderen
verlangten aber diese Obernazi, daß sie auf Tod und Leben auf ihrem Posten
aushalten müßten. Es wurde hier an Volkssturm aufgeboten, was noch an
Wehrfähigen übriggeblieben war und mit der „Panzerfaust“ exerziert. Von
Tauberbischofsheim sollten noch Panzerfäuste hierher geliefert werden, was aber
glücklicherweise nicht mehr möglich war, da der Bankrott Deutschlands nun
vollständig war. So hat der Oberbonze sich, zum Glück für Külsheim, weiter
verzogen.
Am Donnerstag den 29. März rückte General Ehrenbrecht von hier ab mit seinem
Stab; nur seine weiblichen Hilfskräfte, sogenannte Stabs-helferinnen, ließ er
hier zurück und überließ diese weinenden Mädchen ihrem Schicksal. Am Karfreitag
Nachmittag rückten auch die Offiziere und Mannschaften der Marinewerkstätten ab.
Abends um 20 Uhr verließen die letzten deutschen Soldaten Külsheim und in
derselben Nacht um 2 Uhr waren bereits die amerikanischen Panzer vor Külsheim an
der Bronnbacher Straße bei der Post aufgefahren. An den Häusern wurden weiße
Fahnen gehißt und zwei beherzte Männer, Lorenz Göbel und Max Knapp, gingen mit
weißer Flagge zu den amerikanischen Panzern. Durch das Rattern und Rasseln der
Panzer, die von Steinbach auf dem Steinbacher Weg anrollten, war der ganze Ort
in Bewegung gekommen und die Straßen von Menschen belebt, wie am Tag des Großen
Marktes. Die Stunde der Freiheit vom Joch der Nazi-Tyrranei war gekommen. In
Külsheim fiel kein einziger Schuß; ohne Schaden an Häusern oder Fluren hatte es
den Krieg überstanden.
Gegen 4 Uhr am Morgen des Karsamstages setzten sich die amerikanischen Panzer
und Fahrzeuge in Bewegung, fuhren die Straße in Richtung Hardheim bis zum
Sägewerk May, bogen dort über die kleine Brücke nach Külsheim ein, den Gänsberg
herunter und nach Uissigheim weiter; von Uissigheim dann an der Hl.Josefskapelle vorbei nach Hochhausen ins Taubertal. Stundenlang rollten die
Panzer und jedem war es klar, daß einer solchen Macht der Sieg gehören müßte.
Eine deutsche geschlossene Faust gab es in diesen Tagen kaum mehr. SS-Verbände
suchten bei Königshofen noch Widerstand zu leisten, erreichten jedoch nur, daß
Königshofen zum größten Teil ein Trümmerhaufen wurde.
In der Morgenfrühe des Karsamstag wurde der Gottesdienst zur festgesetzten
Stunde in üblicher Weise gehalten, begleitet vom Kettengerassel der ständig in
Richtung Uissigheim vorbeirollenden Panzer und Geschütze. Nach Beendigung des
Gottesdienstes erschienen deutsche Flugzeuge und beschossen einige Minuten lang
die amerikanischen Kolonnen, ohne eine Wirkung zu erzielen. Am Abend des
Karsamstag war die Auferstehungsfeier. Das dauernde Surren und Brummen der
Panzer, die hinter der Kirche auf dem Uissigheimerweg vorbeifuhren und der
Donner der Kanonen von Nordwesten her, ließen die ganze Osterfreude nicht
aufkommen. Es war immer noch Krieg. In der Nacht zu Ostersonntag war ziemlich
Ruhe. Am Ostersonntag begann die Besetzung Külsheims durch die Amerikaner.
Mittags mußten von den Einwohnern sämtliche Schuß-, Stich- und Hiebwaffen
abgeliefert werden unter Androhung der Todesstrafe. Verschiedene Häuser wie
Gasthaus zum Adler, die Wohnungen der Post u.a. mußten völlig geräumt werden.
Die Einwohner mußten die Uniformen und Leibwäsche der Amerikaner waschen. Die
Nacht zum Ostermontag war sehr unruhig. Auf dem Galgenberg war amerikanische
Artillerie aufgefahren, die von da aus das Gebiet jenseits Wertheims beschossen
hat. Wertheim sollte verteidigt werden, mußte aber nach 3 Tagen dann doch
kampflos übergeben werden. Dazu kamen in der Ostersonntagnacht auch wieder
Angriffe über Külsheim durch deutsche Flugzeuge. Die Gottesdienste konnten aber
auch an den Ostertagen in feierlicher Weise gehalten werden.
Am Ostermontag rückten neue amerikanische Truppen ein und bezogen im Schloß
Quartier. Am Mittag wurde der Pfarrer mit dem Bürgermeister und der Frau des
hiesigen Arztes zum Kommandanten, einem Oberst, ins Schloß bestellt. Der
Kommandant empfing uns im Schloßhof in der Haltung und Miene des Siegers,
erkundigte sich beim Bürgermeister, ob alle Waffen abgeliefert seien, ob sich
keine Nazi-Soldaten (!) mehr hier aufhalten; ob die Bevölkerung mit
Lebensmitteln versorgt sei, ob Wasser und Elektrizität da sei. Von der Ärztin
Frau Dr. Dietz wollte er wissen, ob ansteckende Krankheiten herrschten. Mir als
Pfarrer wurde nur eröffnet, daß die Gottesdienste und der Religionsunterricht in
gewohnter Weise gehalten werden können. Am Nachmittag wurde ich von drei
amerikanischen Soldaten besucht, 2 Offiziere und ein Dolmetscher. Sie wollten
Bescheid haben über die Nazihaltung des Bürgermeisters und über die maßgebenden
Parteiführer d.h. deren Namen. Über letzten Punkt verwies ich sie an den
Ortsgruppenleiter; über den Bürgermeister bemerkte ich, daß er nur
Stellvertreter sei und daß er sich dem Pfarrer gegenüber immer recht und
wohlwollend verhalten habe. Die Haltung der drei Amerikaner war vornehm; der
Dolmetscher bekannte sich als Katholik und nahm beim Verlassen des Zimmers sogar
Weihwasser.
Am Nachmittag des Ostermontags erschienen wieder deutsche Flugzeuge über
Külsheim. Alsbald setzte Beschuß seitens der Amerikaner ein und auch
amerikanische Jagdflugzeuge waren überraschend schnell zur Stelle. Nach einigen
aufregenden Minuten war der ganze Spuk vorüber. Am Osterdienstag war es ruhig
und still geworden. Hie und da hörte man noch Fliegersurren. Artillerie-
schießen war kaum mehr zu hören. Die Front rückte weiter weg nach Süden und
Osten. Während auf den großen Verkehrsstraßen unaufhörlich die amerikanischen
Kolonnen rollten bei Tag und Nacht Wochen lang, war auf unserer einsamen Höhe
Frieden geworden, Hie und da wurde man noch durch das Dröhnen eines
Bombeneinschlags aufgeschreckt, bis die deutsche Front dann zusammenbrach und am
8. Mai Deutschland durch den Generalstab bedingungslos kapitulieren mußte. Es
begann die Razzia gegen gefährlich Nazis.
Versprengte deutsche Soldaten, heimkehrende Evakuierte und fremdländische
Arbeíter, die in Massen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden
waren, zogen auch durch Külsheim und bettelten Brot und ersuchten um
Nachtquartier. Ein äußeres Zeichen der Niederlage Deutschlands waren auch die
zerstörten und ausgeplünderten Personen- und Lastautomobile, die zu Dutzenden im
Haidbergwald herumlagen.
Da Nordbaden zur amerikanischen Besatzungszone gehört, blieb die amerikanische
Besatzung hier. Es wurde dafür das Schloß beschlagnahmt, Gasthaus zum Adler; zum
Mohren; zur Rose und vorübergehend auch zum Stern, zur Linde, die Wohnungen der
Post, das Haus von Tierarzt Pabst, die neuen Häuser beim Judenfriedhof. Ein
kirchliches Gebäude ist keine Stunde mit Einquartierung belegt worden. Am
Samstag, den 21. Juli, fuhr morgens um 5 Uhr ein amerikanisches Auto durch die
Straßen und ließ durch den Gemeindepolizisten bekanntmachen, daß 48 Stunden lang
niemand das Haus verlassen dürfe, daß nur am Sonntag Nachmittag ein Gottesdienst
sein werde und daß alle Einwohner eines Hauses es zu verlassen habe, wenn die
Soldaten kommen. Es fand eine Hausdurchsuchung statt, nach Waffen und es wurden
die Ausweise der bereits entlassenen deutschen Soldaten geprüft. Manche dieser
Soldaten wurden wieder mitgenommen. Das Pfarrhaus wurde nicht kontrolliert. Am
Abend des Samstag wurde zur großen Freude aller, die Sperre wieder aufgehoben
und am Sonntag konnten die Gottesdienste in üblicher Weise gehalten werden.
Dieser Bericht wurde auch in den Fränkische Nachrichten am 2. April 2005
veröffentlicht.
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