Wanderschaft von Otto Spengler 1885-94   -   Die Külsheimer Kolpingfamilie

Im Jahr 2011 feiert die Kolpingfamilie in Külsheim ihr 100-jähriges Bestehen. Um an die Ursprünge und das Entstehen des Kolpingwerks zu erinnern wird am Beispiel des Malermeisters Otto Spengler aus Külsheim aufgezeigt, wie Gesellenvereine und das Kolpingwerk auch den Külsheimer Handwerksgesellen Heimat und Unterkunft boten bei ihrer Wanderschaft.

Auszug aus dem Wanderschaftsbuch Otto Spengler, gez. Lippe 1909

Gesellen-Wanderschaft

Wenn Heranwachsende in vergangenen Epochen nach einem mehr oder weniger langen Besuch der Volksschule bei einem Meister ein Handwerk erlernt hatten, konnten sie nach einigen oftmals harten Lehrjahren die Gesellenprüfung ablegen. Sie wurden dann freigesprochen von ihrem Lehrverhältnis und den Verpflichtungen ihrem Meister gegenüber. Heute erinnert die Redensart an die arbeitsreiche Lehrzeit, dass Lehrjahre keine Herrenjahre seien. Um sich weiterzubilden und selbst Meister werden zu können -und bisweilen wohl auch um der heimatlichen Enge zu entfliehen-, begaben sich die frischgebackenen Gesellen auf eine mehrjährige Wanderschaft. Dabei zogen sie von Dorf zu Dorf, Stadt zu Stadt, manchmal auch ins Ausland und arbeiteten gegen Kost, Logis und ein Handgeld bei einem örtlichen Meister.
Vielerorts war an eine Meisterschaft das Niederlassungsrecht gebunden und damit die Möglichkeit, sich als Bürger in das Bürgerbuch einer Stadt eintragen zu lassen. Darüber hinaus durfte man in manchen Zünften sogar nur als Meister heiraten und eine Familie gründen.

Arbeiter während der Industrialisierung

Im 19.ten Jahrhundert verschlechterte sich die Situation der Arbeiter durch die zunehmende Industrialisierung stark. Grosse Teile der Arbeiterschaft wurden extrem ausgebeutet und lebten unterhalb der Armutsgrenze. Die Wohnsituation war oft erbärmlich. Es gab keinerlei staatliche Sozialsysteme. Soziale Fürsorge, wenn überhaupt vorhanden, wurde hauptsächlich von kirchlicher Seite und Institutionen betrieben.

"Katholischer Gesellenverein" - Kolpingwerk

So wurde 1846 in Elberfeld ein katholischer Gesellenverein gegründet. Der Verein sollte seinen Mitgliedern insbesondere während der Wanderjahren als Gesellen fern der Heimat soziale Unterstützung, Bildung, Geselligkeit und auch religiösen Halt geben. Adolph Kolping war zu dieser Zeit Kaplan in Elberfeld, er wurde 1847 zum zweiten Präses des Gesellenvereins gewählt. Kolping hatte als Schuhmacher-Geselle selbst die grosse Armut, Arbeitsausbeutung und allgemeine Verelendung der Arbeiter erlebt, die sich für viele junge Männer mit geistiger Verwahrlosung und Apathie verband in einem Milieu, das kaum Hoffnung auf ein sinnerfülltes Leben gab. Kolping erkannte die Bedeutung des Gesellenvereins und war bestrebt, die Idee über Elberfeld hinauszutragen, was nach seiner überzeugung jedoch nur von einer größeren Stadt aus möglich war. In Köln gründete Kolping 1849 den Kölner Gesellenverein. Schnell entstanden auch in anderen Städten Gesellenvereine, bis zu Kolpings Tod im Jahr 1865 waren es 418 Vereine mit 24.000 Mitgliedern. Der katholische Gesellenverein war die Keimzelle des heutigen internationalen Kolpingwerkes.

Eigene Spar- und Krankenkassen wurden gebildet und Gesellenheime gebaut. 1871 wurde die Bezeichnung "Kolpingsfamilie" erstmals in einer Ansprache genannt. Es entstand ein Netzwerk, das ganz Deutschland umspannte und den wandernden Gesellen einen ähnlichen Halt geben sollte, wie ihn nach Kolpings Überzeugung nur die Familie bietet. (Quelle Wikipedia)


Adolph Kolping

 

Otto Spengler (1866-1937)

Otto Spengler wurde 1866 als Sohn eines Rentmeisters in Külsheim geboren. Nach der Volksschule verbrachte Otto Spengler seine Lehrzeit bei Maler Jüngt in Karlsruhe. Engelbert Jüngt ist im Karlsruher Adressbuch von 1891 als Tüncher verzeichnet in der Werderstrasse 65. 1882/1883 besuchte Otto Spengler die einjährige Gewerbeschule in Karlsruhe, die er mit Belobigung abschloss

Nachdem er von Lehrzeit abgeschlossen freigesprochen war, begab er sich auf Wanderschaft. 1885 wurde der Tünchner Geselle Otto Spengler Mitglied des Katholischen Gesellenvereins in Karlsruhe. Dabei wurde ein Wander-Büchlein ausgestellt, in dem neben den Statuten und der Hausordnung in den Gesellenheimen ein Adressverzeichnis der Gesellenheime aufgenommen war. Während der Wanderschaft wurden mit Stempel und Unterschrift Zeugnis gegeben über die Zwischenstationen und Arbeitsstellen.

Otto Spengler begann im Mai 1885 seine Gesellenwanderschaft in Karlsruhe. Über Köln, Dortmund, Hannover, Magdeburg, Berlin, Dresden, Bayreuth, München, Frankfurt und Würzburg wanderte und arbeitete er als Geselle, um im Januar 1894 in Karlsruhe die Gesellenzeit zu beenden.

Er konnte dabei auf seiner Wanderschaft, wie Tausende anderer Handwerksgesellen, von der Arbeit und dem Wirken Adolph Kolping profitieren und in dem Gesellenverein eine Heimat finden.

Er war dabei selbst im Vorstand eines Katholischen Jung-Gesellenvereins engagiert, wie das Bild unten beweist. Otto Spengler ist links vorne im Bild.


Der Vorstand des Katholischen Jung-Gesellenvereins, Weihnachten 1892
Das Wanderbüchlein von Otto Spengler ist erhalten geblieben. Es ist 10x14cm gross aus einfachem Papier. Der Deckel ist aus Karton. Es ist nachfolgend digitalisiert wiedergegeben (zum Vergössern der Seiten darauf klicken). Auf den hinteren Seiten sind handgeschriebene Anmerkungen gemacht. Im Adressverzeichnis hat Otto Spengler in feiner Handschrift Aktualisierungen vorgenommen.

Abbildung der Seiten

Beschreibung

DeckblattUmschlag des Wanderbuchs von Otto Spengler, Külsheim
Beschluss der Jahrversammlung 1884Nach Beschluss der Generalversammlung in Cöln, August 1884:

Jeder Präses hat das Recht, dieses Wanderbuch zu confiszieren, wenn ihm dies im Hinblick auf einen unwürdigen Inhaber das Wohl des Vereins zu fordern scheint.

Wanderbüchlein für das ordentliche Mitglied des katholischen GesellenvereinsGott segne das ehrsame Handwerk!

Karte Nr. 22586.

Wander-Büchlein

für das ordentliche Mitglied des katholischen Gesellenvereins Otto Spengler, Tünchner, v. Külsheim/Baden.

Aufgenommen zu Karlsruhe am 1. März 1885.

Adolph KolpingAdolph Kolping

Rektor des Minoritenkirche und Vorsteher des Gesellen-Vereins in Köln, Geheimkämmerer Seiner Heiligkeit des Papstes und Apostolischer Notar,

Gründer und Generalpräses

der katholischen Gesellen-Vereine,

geboren zu Kerpen bei Köln am 8.December 1813,

gestorben zu Köln am 4.December 1865

Denksprüche und Allgemeines StatusWer soll Geselle sein? - Der was kann.
Wer soll Meister sein? - Der was ersann.
Wer soll Lehrling sein? - Jedermann.

Denksprüche

 

Allgemeines Statut des katholischen Gesellen-Vereins in Bayern.

I. Zweck des Gesellen Vereins.

StatutenII. Vorstandschaft.

 

III. Mitglieder.

StatutenIV. Verbindungen der Zweigvereinde untereinander.
Pflichen des braven Vereinmitglieds.Pflichen des braven Vereinsmitglieds.

1. Ein braves Verinsmitglied soll ein ordentlicher Christ sein und deswegen seinen religiösen Pflichten treu und gewissenhaft nachkommen.

2. Ein braves Mitglied soll ein tüchtiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft sein und immer mehr werden.

Pflichten3. Ein braves Vereinsmitglied soll mit Eifer darauf bedacht sein, das Beste des Vereins zu befördern.
Pflichten5. Ein braves Mitglied des Gesellenvereins ist den Gesetzen der Obrigkeit um des Gewissens willen gehorsam.

 

Einige Wanderregeln für die Vereinsmitglieder.

Pflichten und WanderregelnBeim Kommen und Scheiden sollst du den Vostand und deine Brüder grüssen mit dem Segenswunsche: "Gott segne das ehrsame Handwerk!"
HausordnungHausordnung

im

Gesellenhause München für Zureisende.

 

I. Verhalten im Vereinslokale.

HausordnungII.Verhalten im Schlafzimmer.

 

Liste der bestehenden katholischen Gesellen-Vereine.

I.Königreich Preussen.

A. Erzdiöcese Köln.

B. Diöcese Trier.
C. Diöcese Münster.
D. Diöcese Paderborn.

E. Diöcesen Hildesheim, Osnabrück und Nordische Missionen.

a. Diöcese Hildesheim.

b. Diöcese Osnabrück.

c. Nordische Missionen.

F. Diöcese Limburg.

G. Diöcese Fulda.

H. Diöcese Breslau.

10.Galizien.

Erzdiöcese Lemberg.

11.Ungarn

Erzdiöcese Bran, Erzdiöcese Erlau, Erzdiöcese Cosocha, Diöcese Fünfkirchen, Diöcese Neutrau, Diöcese Steinamanger, Diöcese Raab, Diöcese Stuhlweissenburg, Diöcese Weizen

12. Kroatien

Erzdiöcese Agram.

13. Siebenbürgen

Diöcese Siebenbürgen

VIII. Grossherzogthum Luxemburg.

IX. Königreich der Niederlande (Holland).

X. Belgien.

XI. Schweiz.

XII. Königreich Dänemark.

XIII. Italien.
XIV. Schweden.
XV. England.
XVI. Egypten.
XVII. Amerika.
XVIII. Frankreich.

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Im folgenden handschriftliche Eintragungen der Wanderschaft von Otto Spengler. Unlesbare Stellen sind mit "?" gekennzeichnet, die Übersetzung ist wörtlich.

Spengler Otto, Tüncher wurde am 1. März d. J. in den kathol. Gesellenverein zu Karlsruhe aufgenommen (laut Zeugnis) u. war dort wie auch hier seit 2. Mai ein gutes Mitglied. Gehört auch der H. Jose?-Rentenkasse an. Freiburg, den 2. November 1885 Karcher, Präses.

Übernachtet Aschaffenburg den 24 ten März 86
Berberich Hausmeister.

Übernachtet Frankfurt den 25.März 1886
Löhr Hausmeister.

Übernachtet Mainz den 26.März 1886
A. Rottländer Hausmeister.

Übernachtet Limburg den 27.März 1886
Carl Horn Ordner.

Übernachtet Neuwied, den 27/3 86
Georg Clever Vize Präses.

Passiert Coeln den 28.März 1886
F. Gulde s b ?

 

- Seite 57 -

Spengler war bis heute hier ein ordentliches Mitglied auch der St. Sebastian Krankenkasse wird den Brudervereinen bestens empfohlen. F. Gulde ?
Coeln den 10/1 1887

Übernachtet Opladen, den 11-12. Jan. 1887
? Savelsberg Prs

Übernachtet Elberfeld 13.1.87
? Ebel Hausmeister.

übernachten Witten 14. Januar 1887, Johann Lei?

Übernachtet Dortmund den 15.1.87, Hösel/Gösel Kapl.

Übernachtet Hamm 16.1.87, Rusemann/ Busemann

Übernachtet Beckum 17.1.1887, A. Fring Hausm.

? Oelde 17.1.1887, ?

 

- Seite 59 -

Übernachtet Wiedenbrück den 18.1.87

Durchgereist Bielefeld 18.1.87

Minden, 20. Januar 1887, Bergmann, Präses

Hannover 21.1.87, Schreiber, Pr.

Magdeburg 28.1.87, Leineweber

Übernachtet Berlin d: 8.2.87, A. Kriener Senior?

Übernachtet, Dresden, d.11.2.87, Krah Hausmeister

Übernachtet Chemnitz 12.2.87, B, Salm Kircher?

Durch Plauen 16.2.87, Wierl ?

Übernachtet Hof ? den 18.Febr. 1887, Se?

Übernachtet Bayreuth 20.Febr. 87, Muskat

Erlangen 24.2.87 Zw?

Passiert Ingolstadt den 2.3.87, Anton Galler Cassier

Übernachtet Pfaffenhofen den ?.3.87 Huber

Übernachtet 2 m 8.3.87

Spengler war seit 4 Monaten ordentl. Mitglied, München den 30. Aug. 87 J. Mayr

 

- Seite 61 -

Würzburg 31.8.87 ? Hausmeister

Spengler war seit April 1888 ein braves Mitglied des hiesigen Vereins Frankfurt den 18. Okt. 1888, Löhr Hausmeister

Würzburg 11.3.1888 Bayer Hausmeister

O. Spengler war seit 4. April 1889 ein treues Mitglied unseres Vereins. Er ist seinen Verpflichtungen stets zur Zufriedenheit nachgekommen, hat längere Zeit das Amt eines Ordners mit Geschick verwaltet und war jederzeit mit Erfolg bemüht auf der Bühne sowohl wie mit Gesang u. Zitherspiel seine Mitgesellen in angemessener Weise zu unterhalten.

Gott segne ihn auf seinem künftigen Lebenswege.

Karlsruhe den 18. Januar 1894

Thoma, Präses


 
Nach der Gesellenzeit und Wanderschaft machten Otto Spengler den Meister, kehrte nach Külsheim zurück und eröffnete ein Malergeschäft.

Er belegte neben seiner Arbeit Meisterkurse, wie er in seinem Kassenbuch notiert hat. In obigem Auszug ist zu lesen, dass er vom 12. bis 24. Februar 1906 auf einem Meisterkurs in Karlsruhe war.

Gruppenfoto des Meisterkurses 1906, Otto Spengler ist links hinten im Bild.

Wann Otto Spengler Meister wurde ist nicht geklärt. In seiner Werkstatt in Külsheim steht innen über der Tür "Erbaut 1899". Er muss also 1899 bereits Meister gewesen sein, da dies Bedingung war für Geschäftseröffnungen. Das erwähnte Kassenbuch beginnt im Jahr 1905, da schreibt Otto dass er als Inventar neben Pinseln, Geschirren und Leitern auch eine Farbmühle besitzt. 1905 ist auch die Rede von der Bezahlung des Lehrlings Karl Düll, der ein Schwager von Otto Spengler war. Da man 7 Gesellenjahre haben musste um Meister werden zu können, machte Otto Spengler wohl in den 1890-er Jahren die Meisterprüfung. In seinem Malergeschäft bildete er auch seinen Sohn Rudolf als Maler aus, bis der 1917 die Gesellenprüfung machte und danach gleich als Soldat in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde.

Die Zeit der Wanderschaft für Gesellen war vorbei.

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Copyright © 2011, Übersetzung der Handschrift Otto Spengler otto@spengler.li. Idee und Gestaltung Jan Spengler jan@spengler.li.

Erstellt Mai 2011, letztes Update 25-05-2011.